Das war die Erkenntnis, auf die Patterson gewartet hatte. „Professor Seibling“, sprudelte es aus ihm heraus, als wäre endlich der Damm der Geheimniskrämerei gebrochen, hinter dem er sich die letzten Stunden versteckt hatte, „Die Entdeckung des Objekts auf dem Mond ist noch nicht einmal die bemerkenswerteste Tatsache, schließlich ist der Mensch seit 1969 der Reise ins Weltall fähig, und neben den Vereinigten Staaten hat auch die Sowjetunion kurz davor gestanden, einen Menschen auf den Mond zu schicken. Nein, das Interessanteste an dieser Kapsel dort ist ihr Alter.“ Ein zustimmendes Nicken der anderen am Tisch. „Eine genaue Datierung ist durch die Witterungsbedingungen auf dem Mond schwierig, aber wir schätzen die Kapsel auf ein Alter, das irgendwo zwischen 8.000 und 12.000 Jahren liegt.“
10) Portugal, Terras do Sado, 03. Juli 2007
Im Raum war urplötzlich Stille eingekehrt. Ein halbes Dutzend Augenpaare beobachteten Jan interessiert, wie einen Clown im Zirkus, der dem gespannten Publikum ein atemberaubendes Kunststück aufzuführen verspricht. Die Anspannung in dem engen Raum schien fast greifbar zu sein.
Doch Jan wusste nicht, was er sagen sollte, oder welche Reaktion die Anwesenden von ihm erwarteten. Wie sollte er angemessen auf eine solche Behauptung reagieren? Die Tragweite dieser Entdeckung sprengte alles, was er sich in seinen kühnsten Träumen je ausgemalt hatte.
Seit Jahren beschäftigte er sich in seinem Beruf als Historiker mit der technischen Entwicklung der Menschen, aber etwas Vergleichbares war ihm bislang noch nicht begegnet. Es gab in der bekannten Menschheitsgeschichte nichts, das auch nur entfernt auf eine derart fortgeschrittene Zivilisation hingedeutet hätte. Nichts! Bereits seit Jahrhunderten durchsuchten die Menschen die Erde nach den Wurzeln ihrer Vorfahren. Niemals hatten sie etwas entdeckt, das dieser Kapsel auf dem Mond technologisch auch nur annähernd ebenbürtig gewesen wäre. Dieses Bild musste eine Fälschung sein! Ein fremdes Raumschiff auf dem Mond, von der Erde, Jahrtausende Jahre alt, nein, das war schlichtweg unmöglich!
„Wo befindet sich die Kapsel jetzt?“, fragte Jan letztendlich, vollkommen überfordert mit der Situation.
Patterson schüttelte bedauernd den Kopf. „Die Kapsel befindet sich immer noch dort, wo wir sie aufgefunden haben. Wir sind derzeit nicht in der Lage, ein Objekt dieser Größenordnung zu bergen. Die NASA verfügt weder über ein Raumschiff, das auch nur annähernd genügend Ladekapazität hätte, noch über die finanziellen Mittel, ein solches Raumschiff zu bauen.“
Er seufzte schwer. „Wir sind technologisch noch Jahrzehnte davon entfernt, ein Schiff ins All zu bringen, das diese Kapsel bergen könnte. Außerdem würde das dafür erforderliche Budget unbequeme Fragen aufwerfen.“ Er schüttelte resolut den Kopf. „Ich will es möglichst vermeiden, diese Entdeckung an die große Glocke zu hängen.“
„Wir stehen aber nicht mit leeren Händen da“, kommentierte Morden, „Die Astronauten haben praktisch alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war. Jedenfalls, soweit es ihre begrenzten Möglichkeiten zuließen.“
Patterson nickte. „Ihre Raumkapsel verfügte lediglich über einen begrenzten, knapp kalkulierten Treibstoffvorrat. Mit jedem zusätzlichen Kilo riskierte die Mannschaft, auf der Rückreise zur Erde mit leerem Tank im Weltraum zu stranden. Sie haben trotzdem versucht, möglichst viel zu retten.“
„Aber warum wurde die Kapsel nicht schon viel früher entdeckt?“, warf Jan fassungslos ein. „Bereits seit Jahrhunderten erforschen die Menschen mit ihren Teleskopen den Weltraum! Wie lange ist die Mondlandung jetzt her? 1973? Das ist fast 40 Jahre her! Der Mond ist doch nicht 40 Jahre unbeobachtet geblieben!“
Morden schmunzelte. „Nicht ganz. Es war 1972. Aber Sie haben Recht. Seit der Mondlandung wurde der Mond weiterhin erforscht, rund um die Uhr sozusagen. Allerdings hat seit 1972 kein Mensch mehr den Mond aus der Nähe gesehen. Sie sollten nicht vergessen, dass der Mond etwa 385.000 km von der Erde entfernt ist. Sogar Hubble, unser leistungsfähigstes Teleskop, kann auf diese Entfernung nur Objekte erkennen, die mindestens 60 Meter groß sind.“
„Die Mondoberfläche ist zudem nicht gleichmäßig gut kartographiert“, ergänzte Patterson. „Es wurden zwar einige Sonden entsandt, die zur Vorbereitung der Mondlandungen die Landeflächen im Detail aufnehmen sollten, aber selbst diese Bilder weisen lediglich eine Auflösung von 10 Meter pro Pixel auf.“
„Das sind Schwierigkeiten, mit denen wir seit der ersten Landung auf dem Mond zu kämpfen haben“, fügte Morden hinzu. „Neil Armstrong war 1969 dazu gezwungen, die computergesteuerte Landung auf manuell umzuschalten, um Felsbrocken von der Größe eines Mittelklassewagens auszuweichen, die auf den Bilder nicht zu sehen gewesen waren. So viel zum Thema Vorbereitung!“ Er schüttelte den Kopf. „Im Grunde kennen wir den Mond nur in der schimmernden Pracht, wie wir ihn von der Erde aus am Nachthimmel beobachten können; sein vernarbtes Antlitz, sein wahres Gesicht, haben bislang nur wenige gesehen.“
Morden lächelte überlegen. Er wirkte auf unangenehme Weise wie ein Lehrer, der einen Schüler vor der gesammelten Klasse tadelt. „Sie sehen also; mit einem Durchmesser von geschätzten neun Metern nimmt die Kapsel nicht einmal einen Pixel auf den Bildern ein.“ Er hob spöttisch die rechte Augenbraue. „Was machen wir uns vor!? Mit dem verfügbaren Bildmaterial vom Mond und all unseren technischen Möglichkeiten sind wir noch nicht einmal im Stande, unsere eigenen Landemodule ausfindig zu machen. Und dabei wissen wir mit Sicherheit, wo sie zu finden sind!“
„Aber trotzdem behaupten Sie, die Kapsel sei irdischen Ursprungs. Wenn Sie die Kapsel weder bergen, noch aus der Entfernung beobachten können, woher wollen Sie wissen, woher die Kapsel tatsächlich stammt?“, fragte Jan provokativ. Das Gefühl war irrational, aber auf einmal hatte er das dringende Bedürfnis, Morden sprachlos zu sehen.
„Wenn ich diese Frage beantworten darf, Mr. Morden“, fiel jedoch Patterson ins Wort, bevor Morden etwas sagen konnte. „Diese Frage lässt sich sehr leicht beantworten.“ Patterson drücke erneut ein paar Knöpfe auf seinem Notebook und eine weitere Reihe von Bildern flimmerte auf der Leinwand auf. „Der Pilot war noch an Bord“, erklärte er sichtlich mit sich zufrieden.
Die Bilder zeigten einen sterilen, weißen Laborraum. In Zentrum des Raumes waren ein metallischer Labortisch und ein Leichnam zu erkennen. Ein Mensch. Die Leiche trug keine Kleidung. Die Haut erinnerte Jan an seine alte Lederjacke. Sie war braun und spannte sich straff über den gesamten Körper, als hätte der Tote zu lange unter der Sonnenbank gelegen. Aus leeren Höhlen starrte der Leichnam in die Linse der Kamera, den Mund merkwürdig nach links verzogen, als würde er sich darüber beschweren wollen, auf diese menschenunwürdige Art bloßgestellt zu werden.
„Was Sie auf den Bildern sehen, ist die Obduktion des Piloten der Kapsel. Der Kommandant der Mission war zum Glück umsichtig genug, den Piloten zurück zur Erde zu bringen, auch wenn er es eher aus Gründen der Pietät tat.“
„Er wollte seinem Kollegen eine ehrenvolle Beerdigung zukommen lassen“, sagte Susanna leise. Sie hatte bisher geschwiegen, die ganze Unterhaltung jedoch mit Interesse verfolgt. „Eine sehr schöne Geste, wie ich finde.“ Sie schenkte Jan ein aufmunterndes Lächeln, als wollte sie ihm auf diese Weise Mut zusprechen, sich weiterhin dem unangenehmen Wortgefecht mit Patterson und Morden zu stellen.
„Und ein Glücksfall für die Wissenschaft!“, betonte Patterson mit kritischem Blick auf Susanna. Patterson schien Gefühlen nicht allzu viel Bedeutung beizumessen. „Der Leichnam war dank der fehlenden Witterung nahezu perfekt mumifiziert, als wäre der Pilot erst ein paar Monate vor Apollo 17 gelandet.“
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