Die vier Nackten, die vor mir in der Reihe stehen, gehen ein paar Schritte bis zum Tisch. Sie heben die Arme, als wollten sie Äpfel pflücken, drehen sich um die eigene Achse, bücken sich wie auf Kommando und greifen mit beiden Händen hinter sich. Ich lache laut auf.
»Schnauze da hinten, Saukerl!«
Aus dem Kragen eines der vier Weißkittel auf der anderen Tischseite reckt ein roter Glatzkopf mit rostfarbenem Vollbart. Dem hat es anscheinend den Haarwuchs nach unten verschlagen. Die Glatze hat mich angeschrieen und schlägt mit der Faust auf den Tisch, dass die Papierstöße, die darauf liegen, erzittern.
Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Wo habe ich so was Ähnliches bloß schon mal erlebt? Ich komme einfach nicht drauf.
Die Jungs haben den Tisch verlassen und gehen in Richtung einer Körperwaage.
»Die nächsten vier vortreten!«
Ich bin der Vierte. Der zweite Weißkittel von rechts winkt mit der Hand, näher zu treten. Wir stehen vor dem Tisch. Ich habe ein saublödes Gefühl, im Adamskostüm vor fremden Leuten zu stehen. Und ausgerechnet natürlich vor der roten Glatze, auf der Schweißperlen wässerig glänzen.
»Name?«
»Wieso?«
»Sie sollen Ihren Namen nennen und nicht mit mir diskutieren!«
Der schwitzt bestimmt, weil er so viel schreit. Den roten Knallkopf habe ich mal irgendwo gesehen und stelle ihn mir in Unterhosen vor. Das ist so ein Tick von mir und ich muss automatisch grinsen. Ganz in Gedanken nenne ich meinen Namen. Der Mensch kritzelt auf ein Blatt Papier. Was soll der ganze Zauber?
»Arme ausstrecken und einmal langsam umdrehen!«
Ach du dickes Ei, das ist ja wie bei der Musterung. Du liebe Zeit, wieso träume ich solch einen Unsinn? Träumen stimmt nicht so ganz, das ist niemals ein Traum, aber ...
Ich kann mich plötzlich ganz genau erinnern. Das war vor etwa 20 Jahren, ich hatte mich freiwillig gemeldet, weil ich von meinem Alten wegwollte. Und Anfang Oktober wurden wir in der Kaserne nochmals untersucht. Wir mussten uns nackt in einem Raum vor vier Männern in weißen Kitteln ... Ich fantasiere mich in eine Szene aus meiner Vergangenheit, klar. Die hatten uns aufgefordert, die Pobacken mit den Händen auseinander zuziehen und uns dann lapidar für tauglich erklärt. Nur schwer konnte ich mir damals das Lachen verkneifen, ohne auch nur im Entferntesten zu begreifen, womit diese Diagnose begründet sein könnte. Unvermittelt muss ich an Milan Kunderas Das Buch vom Lachen und Vergessen denken.
Was mag nur in dem Pillchen gewesen sein, dass mir die Erinnerung so fürchterlich realistisch erscheint – als ob mir dies tatsächlich passiert? Wie war das gestern Abend? Irgendwas mit meinem Leben. Wie zum Henker komme ich hierhin? Das kann doch alles nicht wahr sein. Aber es gibt gar keinen Zweifel, ich stehe vor dem Tisch dieser Musterungskommission. Die drei, die neben mir stehen, können sich kaum beherrschen zu grinsen.
Ich muss mich mal etwas ablenken. Der Bursche, der neben mir steht, hat genau denselben beschnittenen Kolben wie damals. Zu gerne hätte ich schon damals gewusst, ob die Tatsache der Beschneidung Auswirkungen – nun sagen wir mal – auf die Standfestigkeit habe.
»Sag mal«, frage ich ihn deshalb heute immer noch interessiert, »ist deiner«, ich weise mit dem Kinn in Richtung seiner Leistengegend, »abgehärteter? Kannst du länger?«
Jetzt glotzt mich das Rindvieh groß an, wird rot.
»Entschuldigung, hätte mich nur mal interessiert, Mann.«
»Sagen Sie, Hofmann, Sie sind ja wohl völlig verrückt geworden!« Die Glatze wird eine Spur rötlicher – neigt fast zu violett. »Schnauze, Kerl!«
Je mehr der schreit, desto zwanghafter muss ich grinsen. Was bildet der sich bloß ein? Sitzt wie ein Fels auf einem Stuhl und trägt den Betonkopf direkt auf den Schultern.
»Hier rede nur ich, merken Sie sich das gefälligst!«, brüllt er wütend.
»Das nennen Sie reden? Für mich ist das absurdes ... egal. Aber an Ihrer Stelle würde ich auf meinen Blutdruck achten. Weswegen spielen Sie sich so auf? Nur weil Sie anderen Leuten in die Ärsche gucken? Wo haben Sie Medizin geschwänzt? In Auschwitz?«
Es macht Spaß zu beobachten, wie dem Herrn die Adern schwellen. Zwei andere Weißkittel wirken betroffen und einer schaut mich an wie ein kleiner Junge den Weihnachtsbaum – das scheint der Ruhigste zu sein. Er ergreift das Wort.
»Das ist eine Unverschämtheit, junger Mann. Meinen Sie, das macht uns Spaß?«
»Ja, genau das glaube ich! Scheint mir, als ob Sie Spaß dran haben, nackte junge Männer anzuschauen.«
Mal sehen, was jetzt passiert. Ich hätte das damals schon sagen sollen. Ist wirklich drollig zu beobachten, wie der Rotkopf vorm Platzen steht.
»Sie Nachteule! Sie nachgemachter Mensch, Sie! Sie kriegen wir hier schnell kirre!«
Sonderbar. Den Kasernenhofton erfuhren wir seinerzeit erst etwas später.
»Lassen Sie uns mal den Ton etwas dämpfen«, sagt der ruhigere Weißkittel. »So kommen wir nicht weiter. Sie, junger Mann, haben sich freiwillig zum Dienst mit der Waffe gemeldet, wie alle hier. Wir prüfen lediglich abschließend, ob Sie gesundheitlich dazu in der Lage sind. Sie können jederzeit gehen.« Er macht eine Kunstpause, die anderen am Tisch nicken. »Aber dann stehen Sie bald wieder vor uns, weil Sie eingezogen werden, und zwar ohne den Vorteil des Freiwilligenstatus. Das sollten Sie überlegen, bevor Sie Beleidigungen äußern. Und nun tun Sie gefälligst, was man von Ihnen verlangt oder verschwinden Sie!«
Er hat ja recht, ich kann es nur nicht ertragen, wenn man mich anschreit. Na gut, mache ich eben mit, obwohl es in meinem Bauch genauso rumort wie seinerzeit. Ich weiß noch wie heute, dass ich mich nur schwer beherrschen konnte, besonders beim Auseinanderziehen der ... egal.
Verdammt, der rote Brüller hat irgendetwas getobt und ich habe es nicht gehört. Die andern Jungs haben sich schon umgedreht und präsentieren ihre Schließmuskel. Ich stehe als einziger Proband aufrecht. Soll ich auch? Na gut, der Klügere gibt nach, denke ich. Überhaupt wollen wir doch mal sehen, ob dies ein Traum ist oder nicht, also bücke ich mich eben. Aber ich bin viel zu spät dran. Viel später als damals. Wenn ich mich jetzt hinten öffne, geht es böse aus, das weiß ich genau. Aber ich muss, der Kerl will das so. Außerdem, was habe ich zu verlieren? Dieser Traum ist eigentlich ganz lustig.
Mein Furz zerreißt das Geschrei des vorgeblichen Arztes. Ich bin mal gespannt, ob der jetzt platzt. Ich richte mich mit den Kameraden wieder auf. Lauter grinsende Gesichter um mich herum. Mühsam unterdrücktes Gelächter. Hier ist vielleicht was los! Der Pulverkopp ist zurückgesprungen, als hätte ich ihn angeschossen.
Die Weißkittel verkneifen sich ebenfalls das Lachen. Nur ein dunkelviolettes Gesicht grinst nicht, aber der Mund darin schreit wenigstens nicht mehr. Immerhin ein Fortschritt, denke ich erheitert. Die wartenden Jungs hinter mir glucksen vor Vergnügen. Die Freude währt nur kurz. Vielleicht platzt er nun, hoffe ich. Schade, er schreit nur wieder.
»Hier wird nicht gelacht! Wenn ich Sie sehe, fällt mir glatt ein Ei aus der Hose.«
Ich zucke mit den Schultern. Bevor ich eine passende Antwort geben kann, antwortet der Beschnittene neben mir in hessischem Dialekt: »Ha noi, awwer da müsse Se es nur feschthalde.«
Ich wollte damals eigentlich nur so schnell wie möglich von zu Hause weg und kostenlos den Führerschein machen, das weiß ich noch ganz genau.
Punkt eins hat ja auch hingehauen. Bloß mit dem Führerschein hat es leider nicht geklappt, wegen des Unfalls. Verdammte Scheiße! Die kräftige Stimme reißt mich aus den trüben Gedanken.
»Sie«, der Glatzkopf schaut mich vernichtend an, »werde ich ganz persönlich beobachten. Ihnen werde ich helfen!«
»Ach danke, muss nicht sein.«
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