1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Lisa hatte den Tisch bereits gedeckt. Robert nahm die Flasche Wein, die sie auf den Tisch gestellt hatte, und schaute auf das Etikett. Es war ein Rioja, ein Gran Reserva. Er öffnete die Flasche und stellte sie auf den Tisch zurück. Er ging ins Wohnzimmer, in dem eine alte Couch und zwei Sessel, die mit dunkelrotem Ribbelstoff bezogenen waren, sich gegenüberstanden. Über den Kamin hing ein riesiger Spiegel mit einem breiten, geschwungenen Holzrahmen. Die Wand daneben schmückte ein größeres Aquarell, das einen Sandstrand darstellte, der ihm irgendwie bekannt vorkam. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Holzregal, in dem Lisa ihre Bücher und CD-Sammlung untergebracht hatte. Aus den Lautsprechern im Regal erklang eine himmlisch hohe Frauenstimme, die von einem melancholischen, träumerischen Akkordeon, von Gitarren und einem Kontrabass begleitet wurde. Die Musik ging Robert unter die Haut und er warf einen kritischen Blick auf Lisas Musiksammlung. Lisa hatte viel Fado, Tango und Weltmusik von Interpreten, die er gar nicht kannte.
„Komm, wir können essen“, hörte er Lisa aus dem Nachbarraum rufen. Sie stellte eine große, flache, schwarze Pfanne auf den Tisch, schenkte den Wein ein, schaute ihn lächelnd an und wartete offensichtlich auf seine Kommentare.
„Paella!“, stellte Robert begeistert fest.
„Ja, mein Lieblingsgericht“, verriet sie ihm.
Sie fing an ihn die verschiedenen Zutaten auf den Teller zu legen und stieß anschließend mit ihrem Weinglas mit ihm an. Die Paella schmeckte vorzüglich und Robert ließ sich im Detail erklären, wie sie das Gericht hingezaubert hatte. Nach dem Essen räumten sie beide den Tisch ab und stellten das Geschirr in die Spülmaschine. „Die Töpfe spülen wir morgen ab“, sagte sie, als er anfing, heißes Spülwasser einfließen zu lassen. Sie gingen ins Wohnzimmer. Er setzte sich auf die Couch und sie legte Musik auf und setzte sich zu ihm.
„Das Bild auf den Berg dort auf dem Schrank … Wo ist das?“, fragte er.
„Oh… wir haben das Bishorn bestiegen, einen Viertausender im Wallis. Ich war dort zusammen mit Jonas und seinen beiden Freunden, du weißt, jene die in Kaschmir ermordet wurden.“
Sie stand auf und holte das Bild. „Schau!“, sagte sie und zeigte auf die erste Person rechts. „Das ist Jonas, vielleicht drei Monate bevor er verschwunden ist.“
Robert betrachte das Bild genauer: Neben Lisa stand ein lebensfroher, junger Mann, der sie strahlend anhimmelte.
„Der Berg ist fast 4200 Meter hoch. Der letzte Abschnitt läuft man als Seilschaft über einen Gletscher.“
„Wow… schaffst du das?“, staunte er.
Sie legte den Kopf zur Seite und lächelte ihn herausfordernd an. „Und wie! Ich bin zäh wie eine Bergziege."
Er lächelte, zog sie zu sich hin und legte den Arm über ihre Schulter. Sie hörten sich die Musik an und ließen ihre Gedanken schweifen.
„Ich habe noch einen Nachtisch!“, fiel ihr plötzlich ein. Sie verschwand in die Küche und es schepperte im Ofen. Er stand auf und schaute sich das Aquarell genauer an. Es zeigte einen menschenleeren Sandstrand, auf dem vorne Grasbüschel wuchsen. Wellen brachen sich in der Brandung. Im Hintergrund am Ende der Bucht erkannte er eine Felsenküste, die im Meer endete und an deren Spitze ein breiter, weißer Leuchtturm stand. Ganz rechts am Ende des Strandes waren Häuser zu erkennen. Das Bild war mit Lisa signiert.
„Das ist Conil de la Frontera“, hörte er von hinten sagen. Lisa stand mit zwei tönernen Schälchen in den Händen hinter ihm. „Dort kommt meine Mutter her und dort leben meine Großeltern heute noch.“
„Oh… da war ich schon so oft“, rief er verblüfft aus. „Früher, als ich noch Urlaub mit meinen Eltern machte.“
Sie blickte ihn erfreut an. „Oh… so ein Zufall.“
Er nickte. „Ja… das ist Zufall.“
„Das ist eines meiner ersten Bilder“, sagte sie etwas verlegen. „Da hatte ich gerade erst angefangen zu malen, kurz nachdem Jonas verschollen war.“
Er setzte einen Kennerblick auf, betrachtete das Bild genauer, spitzte die Lippen und nickte anerkennend. „Das Bild ist dir aber gut gelungen ... Du hast Talent“
Sie war geschmeichelt, zauberte ein strahlendes Lächeln auf ihr Gesicht und reichte ihm eines der beiden Schälchen.
Er bedanke sich und schnupperte am Nachtisch. „Hmm“, summte er, „Crema Catalana.“
Sie nickte erfreut, weil er den Nachtisch kannte und sie setzten sich in die Couch. Sie ließen sich die Creme auf der Zunge zergehen und unterhielten sich lebhaft über ihre Kind- und Jugenderlebnisse an der Costa de la Luz. Lisa war Feuer und Flamme und es erschien ihm, als wäre ihr spanisches Temperament entflammt. Sie kratzten die letzten Reste vom Nachtisch aus ihren Schälchen und stellten diese beiseite. Sie schenkte einen Sherry ein, legte neue Musik auf und ließ sich in die Couch sinken. Er zog sie zu sich hinüber, legte ihren Kopf auf seinen Schoss und streichelte ihre Stirn. Sie zog die Beine hoch und schaute ihn mit einem schüchternen Lächeln an. Zusammen lauschten sie der Musik. Zwei Gitarren entwickelten ein ruhiges Spiel und eine warme Frauenstimme stimmte ein. Sie schwebte durch den Raum, schlang sich um ihre Körper, betörte ihre Ohren, verführte ihre Sinne, drang tief in ihre Seelen ein und ließ ihre Herzen schneller schlagen.
Robert spitzte die Ohren. „Wessen Stimme ist das“, flüsterte er.
Sie fuhr mit ihrer Hand durch seine Haare, die ihm über die Stirn hingen, und ließ diese durch ihre Finger gleiten. „Ana Moura“, sagte sie leise.
Er küsste sie kurz auf dem Mund. „Es klingt so wehmütig... so gefühlvoll. Verstehst du, was sie singt?“
Sie glitt mit dem Zeigefinger über seine Lippen. „Por minha conta ... das ist portugiesisch … das musst du nicht verstehen ... Robert … die Musik musst du spüren.“
Er schaute tief in die weiten Pupillen ihrer dunklen Augen. „Ja… ich spüre sie“, flüsterte er und küsste nochmals ihre Lippen.
Sie schloss die Augen und seine Blicke wanderten über die sanften Züge ihres Gesichtes und blieben an ihren Lippen kleben. „Die Musik spricht meine Seele an“, klang es sanft aus ihnen.
„Meine auch“, hauchte er.
„Unsere Seelen sind sich sehr ähnlich … Weißt du das?“, flüsterte ihre warme Stimme. Er krabbelte mit dem Finger an ihrem Ohrläppchen. Sie öffnete die Augen, lächelte und berührte seine Stirn. „Du… das habe ich gleich am ersten Tag gespürt“, gestand sie ihm und machte ein glückliches Gesicht. Seine Fingerkuppen berührten ihre Lippen und glitten über ihre Wange und ihre Schläfe und querten ihre Stirn. Sie streiften die Augenbraue auf der anderen Gesichtshälfte, folgten dem Rand ihres Ohrs und erreichten ihren blanken Hals. Vorsichtig glitten sie weiter herunter, trafen auf ihr Schlüsselbein und hielten dort inne. Sie lächelte ihn an und seine Finger fuhren etwas zügiger den gleichen Weg zurück.
„Charmeur“, sagte sie leise und schmunzelte.
Er runzelte kurz die Stirn. „Wieso? ... Magst du das nicht?“
Sie lächelte ihre weißen Zähne frei. „Doch, doch... ich finde das gerade schön.“
„Du bist schön ... Du hast schöne Augen... schöne Wange... schöne Ohren… schöne Lippen... ein schönes Gesicht“, flüsterte er, während er behutsam diese Körperteile antippte. Er berührte ihre Lippen vorsichtig mit den seinigen, sie öffnete den Mund und sie küssten einander und umarmten sich. Sie kamen sich nah, erzählten, was sie fühlten und liebten und die Stunden gingen schnell vorbei… Um halb zwei wollte Robert Heim gehen und er stand auf.
„Bleib doch hier“, schlug sie vor, „du wirst doch nicht den ganzen Weg nach Hause laufen … Es fährt ohnehin keine Straßenbahn mehr um diese Zeit.“
Weil er ihr Problem kannte, wusste er nicht, was sie wollte, und schaute sie etwas verwirrt an.
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