Draußen war die Luft deutlich besser. Meine Lungen konnten wirklich Frischluft gebrauchen. Ich war echt bedient und überließ den übrigen Nachtschwärmern die Chora. Bergab nahm ich den alten Fußweg, der in unzähligen Treppen abwärts bis zum Bus-Rondell am Hafen zurückführte. Zwischendurch wurde ich mit einem fantastischen Ausblick auf das kykladische Meer belohnt, das im Mondlicht glänzte. Der Spaziergang hatte mich hungrig gemacht. Bei Noda würde es bestimmt noch etwas geben.
„Na, schon wieder zurück? Wie war es?“, empfing er mich grinsend.
„Ich bin begeistert!“, gab ich sarkastisch zurück. „Aber bei dir gefällt es mir besser“, schmeichelte ich ihm.
„To xero, das weiß ich!“, gab er sich selbstbewusst. „Wenn es anders gewesen wäre, hättest du mich schwer enttäuscht. Dann wärst du nicht mehr der Felix, den ich kennengelernt habe.“ Er schob mir einen Teller mit Schafskäse und Oliven zu. Er konnte wohl meine Gedanken lesen.
„Du hast recht, Noda. Das hat alles nichts mehr mit der Kultur zu tun, die dein Land berühmt gemacht hat.“
„Es ist aber noch nicht alles verloren gegangen.“ Er schmunzelte schon wieder so geheimnisvoll. Ich ahnte etwas. „Ich sagte dir ja bereits, dass wir einen Besuch bei unserem Inselheiligen machen werden. Dann wirst du wissen, was ich meine.“ Ich lächelte gequält. Ich war erneut in seine Falle getappt.
„Warum bist du so versessen darauf, mich zu deinem Heiligen zu bringen, Noda?“ Er wirkte wieder sehr ernst.
„Du bist mein Freund. Du trägst ein Zeichen mit dir, das du erst erkennen musst. Und ich sehe es dir an, dass dich etwas quält. Unser Heiliger hat schon vielen Menschen geholfen. Alleine ihm nahe zu sein, hat viele Kranke geheilt. Er kann Wunder tun!“
Ich wagte es nicht, Zweifel an seinem Heiligen zu äußern. Schließlich fühlte ich mich ja nicht krank. Ich gähnte vernehmlich.
„Mein Gott, schon so spät. Ich werde ins Bett gehen. Es ist ja schon bald wieder hell!“ Noda musterte mich mit zusammengekniffenen Augen misstrauisch, sagte aber nichts. Ich hatte das Gefühl, er konnte hinter meine Stirn sehen und meine Gedanken lesen. Es war mir unangenehm, und so verabschiedete ich mich von ihm bei der ersten sich bietenden Gelegenheit. Er musste sich ja noch um die anderen Gäste kümmern.
In meinem Zimmer angekommen, fühlte ich mich sicher. Ich ließ mich erleichtert aufs Bett fallen. Was hatte Noda mit dem Zeichen nur gemeint? Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Allein mit meinen Gedanken döste ich ein, bevor ich meine Kleider abgelegt hatte.
Herr der Kornkammern
Der Morgen brachte eine unerwartete Überraschung. Senenmut hatte noch tief geschlafen, als er von lautem Hufgetrappel geweckt wurde. Aufgeregt kam seine Mutter Hatnofer zu seiner Schlafstatt gerannt.
„Sohn, schau nur, wer draußen auf dich wartet!“ Senenmut erhob sich schlaftrunken von seinem Lager und sah nach draußen. Zwei Soldaten der Leibwache des Pharaos verneigten sich vor ihm.
„Herr, verzeiht uns die Störung, aber wir wurden gesandt, um dich zu den Kornkammern zu geleiten!“ Senenmut war etwas verblüfft. Die Sonne war in der Gestalt des jungen und erneuerten Sonnengottes Cheper gerade dabei, am östlichen Horizont zu erscheinen. Es waren noch ein paar Sterne am Himmel zu sehen.
„Es ist keine Eile, Herr!“, versicherte ihm der ranghöhere Soldat. „Aber wir wurden vom wandelnden Horus hierher befohlen, um dich zu beschützen. Den Nubiern ist es nicht recht, dass wir ihren Gehilfen im Feuermeer verbrannt haben. Ihre Spione werden es schon gemeldet haben. Darum sind wir gekommen, um dein Leben zu bewachen.“
Senenmut erschrak innerlich über die mögliche Gefahr. Er hatte genug damit zu tun gehabt, die sich überstürzenden Ereignisse zu verarbeiten. Er war nun der Herr der Kornkammern, eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Aber er wusste auch, dass er sich damit nicht nur Freunde geschaffen hatte. Niemand wusste genau, wer noch alles in den ungeheuerlichen Verrat verwickelt war und vielleicht den einen oder anderen Scheffel Gold dafür erhalten hatte. Jetzt war ein junger Verwalter am Ruder, den man nicht einschätzen konnte. Manch einer der Beamten würde vielleicht seinen Verdienst geschmälert sehen.
Senenmuts Familie hatte seine Berufung natürlich mit Freude aufgenommen. Hatnofer war stolz auf ihren Sohn. Als er am Tag zuvor vom Hof des Pharaos zurückkam, hatte die Botschaft schon seine Familie erreicht. Er wurde bereits am Eingang von seinen Brüdern stürmisch empfangen. Übermütig verneigten sie sich vor ihm und warfen sich vor ihm in den Sand.
„Willkommen, edler Herr!“, riefen sie und reichten ihm einen Weinkelch. Senenmut griff nach dem Willkommenstrunk und sah das Wasser darin. Er schüttete es lachend über seinen Brüdern aus, was sofort in einer wilden Balgerei endete.
„Kinder, benehmt euch!“, mahnte Hatnofer. „Es ist nicht zu glauben, dass ihr schon so alt sein sollt. Ihr benehmt euch wie kleine Kinder.“ Kichernd hatten seine Schwestern Nofret-Hor und Ah-Hotep die übermütige Szene verfolgt. Jetzt klopften Senenmuts Brüder ihm den Staub von den Kleidern und setzten sich gemeinsam an den Tisch. Sie bestürmten ihn mit Fragen. Er musste ausführlich erzählen, was er erlebt hatte. Er erwähnte auch Hatschepsut, vermied aber die tatsächlichen Hintergründe. Vorläufig wollte er es bei der offiziellen Version belassen. Hatnofer hielt die Hand ihres Sohnes fest.
„Du bereitest deinen Vorfahren und uns große Ehren. Dein Vater wäre stolz auf dich gewesen. Lass uns auf sein Andenken trinken.“ Sie erhoben ihre Kelche und tranken den Wein, den seine Schwestern geöffnet hatten.
„Erzähle uns von ihr, ist sie wirklich so schön, wie man erzählt?“ „Welche Kleider hat sie getragen?“ „Hast du sie berührt?“ „Welche Düfte benutzt sie?“
Seine Schwestern stürmten erneut auf ihn ein. Ihr Interesse galt mehr der Person Hatschepsuts. Senenmut bemühte sich, einen gleichgültigen Eindruck zu erwecken. Aber seine Gefühle konnte er nicht ganz verleugnen.
„Sie ist die schönste Frau auf dieser Erde!“, bekräftigte er. „Sie muss von den Göttern abstammen.“
Hatnofer musterte ihn misstrauisch. „Sohn, die Götter schauen auf dein Tun! Du wirst ihr den Respekt erweisen, der der Tochter des Horus gebührt!“, erinnerte sie ihn. Schmerzvoll blickte Senenmut zu Boden. Wie sollte ihre Liebe jemals eine Zukunft haben? Er schwieg in Gedanken verloren. Seine Geschwister plapperten unterdessen munter weiter. Der Wein löste ihre Zunge.
Hatnofer blickte Senenmut nur an, sagte aber nichts weiter. Es war ihm unangenehm. Er fühlte sich ertappt.
„Ich werde mein Amt so ausüben, dass ich dem Pharao Ehre erweise. Und seine Tochter möchte, dass ich sie in der Schrift unterweise.“ Das wiederum erschien seiner Mutter seltsam.
„Sie ist eine Frau! Warum will sie die Schrift lernen?“
„Sie ist die Tochter des Pharaos und die Erbtochter. Ihre Kinder werden über Ägypten herrschen. Wer könnte sie dann besser unterrichten als ihre Mutter?“, schmeichelte er Hatnofer. „Wenn sie vieles weiß, kann es nur gut für unser Land sein.“
„Wozu soll das denn gut sein?“, warf sein Bruder Minhotep ein.
„Du hast niemals die Pyramiden gesehen! Sie wurden vor über eintausend Schemu erbaut. Aber kein ägyptischer Baumeister ist heute mehr in der Lage, so etwas zu konstruieren. Das ist eine Dummheit! Wenn unsere Vorfahren ihr Wissen mit mehr Menschen geteilt hätten, wüssten wir es heute noch, wie sie gebaut wurden.“, argumentierte Senenmut. Er konnte es selbst kaum glauben, wen er da soeben zitiert hatte. So redeten sie die halbe Nacht, bis ihnen die Augen schwer wurden. Senenmut war erschöpft in tiefen Schlaf gefallen, bis ihn die Soldaten weckten.
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