Senenmut schrieb währenddessen die Gebete auf Papier, die Hapuseneb während der Zeremonie sprach. Die bereits mumifizierten Organe wurden in vier Kanopen gefüllt. Jeweils eine war bestimmt für Leber, Lungen, Magen und restliche Gedärme. Dann wurden sie versiegelt.
„Die Söhne des Horus wachen über die Unversehrtheit der Innereien. Amset, der menschenköpfige, wache! Hapi, der Pavian, wache! Duamutef, hundeköpfiger, wache! Kebehsenuef, der Falke, wache!“, betete Hapuseneb. Die Priester befestigten Amulette am Körper der Mumie, indem sie viele Meter lange, feine Gaze um sie wickelten. Ein Skarabäus für das Herz, Ringe für die Finger. Breite, parfümierte Stoffbänder bildeten den Abschluss. Eine vergoldete Maske wurde auf das Gesicht des Verstorbenen gelegt, die dessen Züge trug.
Hapuseneb erklärte: „Das Ka kann seinen Körper besser erkennen und sich wieder mit ihm vereinen.“ Senenmut hatte zwischendurch die Papyrusrollen mit den Gebeten an die Priester weitergereicht. Sie wurden unter den Armen und an den Beinen befestigt und mit eingewickelt. Der Duft der Gewürze und Öle füllte die Luft. Hapuseneb zeigte Senenmut die wichtigsten Öle und Kräuter und ließ ihn riechen. „Das hier ist Hekenu-Öl. Es wird aus geharztem Wein hergestellt und verdickt.“ Senenmut hatte viel zu lernen, und ehe man es sich versah, neigte sich der Tag seinem Ende zu.
Zum Sonnenuntergang trafen sich die Priester im Tempel zum Gebet. Man sprach Amun Dank und betete, dass die Sonne morgen wieder aufgehen möge. Nach Ende des Gebets sprach Hapuseneb zu den anwesenden Priestern. „Hört, meine Brüder! Wir alle vermissen Ramose aus Iuni, einen unserer besten Schreiber. Noch bevor wir seinen Körper für das Binsengefilde bereiten, ist heute sein Sohn unter uns, um seine Nachfolge anzutreten. Ich habe ihn geprüft und für würdig befunden. Als sein Fürsprecher bitte ich euch, ihn in unsere Mitte aufzunehmen!“ Hapuseneb war einer der Jüngsten unter ihnen, aber sein Wort hatte Gewicht.
Ein älterer Priester kam auf Senenmut zu und sah ihn prüfend an. „Ja, ich kann mich gut an deinen Vater erinnern. Er war dir gewiss ein guter Lehrer. Du hast die Augen deines Vaters und gewiss auch seinen Verstand. Sei willkommen!“ Er fasste ihn bei den Schultern und zog ihn an sich. Senenmut kamen vor Freude die Tränen. Er war in den Tempel aufgenommen.
Das Grab des Ramose
Der Tag des Begräbnisses war gekommen. Die Priester des Amun, allen voran Hapuseneb, hatten die Vorbereitung für die Grablegung getroffen. Die Mumie des Ramose war den Schriften entsprechend vorbereitet worden. In Binden gehüllt und mit heiligen Schriftzeichen versehen, lag sie auf einer Bahre im Tempel des Amun. Senenmut hatte die ganze Nacht Totenwache gehalten. Er hatte die Gebete des Anubis aufgesagt und Osiris um die Aufnahme in sein Reich gebeten. Am Morgen kamen seine Mutter Hatnofer und Senenmuts Geschwister dazu. Sie führten den Trauerzug an, der sich in Richtung Nilufer in Bewegung setzte. Der schlichte Holz-Sarkophag wurde auf einen Karren gehievt, der von einem Ochsengespann gezogen wurde.
Direkt hinter dem Sarkophag ging Hatnofer, gestützt von ihren Söhnen Amenemhat und Pa-Iri. Dahinter ging Senenmut mit seinem Bruder Minhotep, gefolgt von ihren Schwestern Ah-Hotep und Nofret-Hor. Der ägyptischen Sitte folgend, beklagten die Frauen laut jammernd und Haare raufend den Tod des Ramose. Die Priester des Amun folgten in kleinerem Abstand der Familie, ebenso einige Freunde und Bewohner Thebens, die Ramose verbunden gewesen waren. Am Nilufer warteten einige Barken auf den Trauerzug. Der Sarkophag mit der Mumie wurde umgeladen und die Barken setzten über zum Westufer des Nils.
Am Ufer der westlichen Totenstadt nahm ein weiteres Ochsengespann die sterblichen Überreste auf. Unter Wehgeschrei der Klageweiber und dem Murmeln der betenden Priester setzte Ramose seine letzte Reise fort, bis sie das hügelige Vorgebirge der Wüste erreicht hatten, in das eine kleine Grabkammer getrieben war. Sie war gerade groß genug, um den Sarkophag aufzunehmen. Bevor der Sarkophag geschlossen wurde, stellten die Priester des Amun die Mumie aufrecht.
Hapuseneb trat hinzu, er trug die Maske des Anubis. Mit einem Holzspatel berührte der den Mund der Mumie. „Hört, ihr Sterblichen! Höre, Ramose! Ich, Anubis, der Gott der Unterwelt, führe dich vor das Totengericht. Wenn du Zeugnis abgelegt hast, dein Herz gewogen ist, darfst du das Binsengefilde schauen. Dein Ka und dein Ba werden sich wieder vereinen mit deinem irdischem Körper. Ich habe ihn gewaschen und gereinigt, aber er ist noch ohne Leben. Siehe, ich gebe ihn dir zurück, damit du ewig in ihm wohnen wirst.“
Er öffnete mit einer Hebel-Bewegung symbolisch den Mund der Mumie. „Nimm das Anch als Zeichen des Lebens, das in deinen Leib zurückkehre. Das heilige Wasser erfrische dich!“ Er nahm einen Krug mit gesegnetem Nilwasser und besprengte die Mumie mit Wasser. Gleichzeitig trat ein zweiter Priester hinzu der das Anch, das Symbol des Lebens, unter die Nase der Mumie hielt.
„Lege dich in dein Grab und ruhe, damit du jedes Jahr hinausgehen und die Sonne schauen kannst.“ Sie legten die Mumie gemeinsam in den Sarkophag und verschlossen ihn. Dann wurde Ramose in die Grabkammer gelegt. Dazu wurden die Krüge gestellt, die die mumifizierten Eingeweide enthielten. Ebenso die Uschebtis, kleine Dienerfiguren, die im Jenseits für Ramose die geforderten Arbeiten verrichten würden. Anschließend brachte Senenmuts Familie ein Trank- und Speiseopfer dar.
„Siehe, Vater, ich bringe dir den Leib des Brotes, dazu Bier und Wasser, damit dein Körper stark bleibt. Vereine dich!“, sprach Senenmut. „Vereine dich!“, wiederholten Senenmuts Geschwister und legten ihre Opfergaben dazu. Auch Hatnofer sprach: „Vereine dich!", und legte als Letzte einen geflochtenen Blumenkranz auf den Sarkophag.
Sie strich noch ein letztes Mal zärtlich über das Holz, dann wandte sie sich um und vergrub ihr Gesicht an Senenmuts Brust. Leise zitternd wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Im Kreis der Familie beobachteten sie alle, wie die Graböffnung vermauert wurde. Danach löste sich die Trauergemeinde auf und nahm ihren Weg zurück zum rechten Ufer des Nils.
Senenmut übergab seine Mutter in die Obhut seiner Geschwister und beschloss, noch einmal nach dem kleinen Totentempel seiner Familie zu sehen. Er wollte die Gelegenheit nutzen und dort alles vorbereiten für das kommende Talfest. Die Wüste beschützte mit ihrem trockenen Klima die Farben vor der Zerstörung. Aber gleichzeitig bescherte sie auch Sand, der von draußen herbeigetragen wurde. Er würde unweigerlich den Eingang zudecken. Senenmut hatte noch einen Krug mit Wasser mitgenommen, denn das Arbeiten in der Sonne würde ihn schnell durstig machen. So oft hatte er diesen Weg gemeinsam mit seinem Vater genommen. Jetzt war er verantwortlich dafür. Er legte seine Kleider ab, um sie nicht zu verschmutzen, und begann, den Eingang freizuräumen. Innerhalb eines halben Jahres war der Sand schon kniehoch angeweht worden. Schnell geriet Senenmut ins Schwitzen. Aber er war Arbeit gewohnt und es tat ihm gut. Er begann im Inneren an der Statue des Osiris, nicht ohne ihm zuvor mit einem Gebet Respekt zu erweisen. Hier im Inneren war es erträglicher und deutlich kühler als draußen.
Die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten, als er im äußeren Teil der Stätte angekommen war. Dankbar registrierte er, dass die darüber liegenden Hügel Schatten auf die kleine Terrasse warfen. Im Eingangsbereich konnte er erkennen, dass sich kleine Stücke des Felsens von ihrem Untergrund gelöst hatten. Die starken Temperatur-Unterschiede zwischen Tag und Nacht bewirkten dies. Er würde doch etwas länger benötigen, bestimmt mehrere Tage, um den Fels zu glätten und erneut zu bemalen. Senenmuts Familie konnte es sich nicht erlauben, dafür einen Handwerker zu bezahlen. Aber er würde es selbst versuchen. Oft genug hatte er seinem Vater geholfen.
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