Dann legte der forsche Polizeibeamte auf.
Mellow kam sich ziemlich alleine gelassen vor.
„Was können wir sonst noch tun?“, fragte er Minja.
Er überlegte für einen kurzen Moment, ob er sie in das Geheimnis um das » Tor des Moooo « einweihen sollte, nur hatte er seiner Großmutter Aurilia hoch und heilig geschworen, niemanden, aber auch absolut niemanden davon zu erzählen.
„Wir können tatsächlich nur abwarten. Auch wenn uns das nicht gefällt.“, sprach Minja.
„Komm, lass uns die restlichen Schokohasen verspeisen!“, forderte Minja ihren Freund auf, bevor er ganz und gar in Trübsal versank.
Die kommenden Tage vertrieben sie sich die Zeit zu Hause, spielten am Computer, aßen was die Küche an Lebensmittel hergab, schmusten mit BigBig und zeichneten fleißig an den Plänen für ihr Teleskop. Mellow war nur mit einem halben Herzen dabei. Ihr Unterschlupf blieb vorerst ungenutzt. Die Sorge um seine Großmutter Aurilia plagte ihn sehr, so sehr, dass er kaum mehr Schlaf fand, was ihn ziemlich reizbar stimmte. Mellow wurde grimmig, ständig pöbelte er Minja an. Sie bemühte sich, ihm aus dem Weg zu gehen. Es fiel ihr von Mal zu Mal schwerer und es war nur eine Frage der Zeit, bis die miese Stimmung endgültig in den Keller stürzte.
„Ich will Spiegeleier, keinen Eiermatsch.“, brüllte Mellow beim
Abendessen los, knallte wutentbrannt die heiße Pfanne in die Spüle.
„Findest du nicht, dass du mit deiner fiesen Laune übertreibst?
Eier sind Eier. Egal ob gespiegelt oder gerührt. Das bleibt sich doch gleich.“, entrüstete sich Minja stocksauer. Sie verspürte riesigen Hunger. „Echt super. Das waren unsere letzten Eier. Schmeiß doch alles weg. Für was mach ich mir die Mühe?“
Sie steigerten sich hitzig in ein Wortgefecht. Es war nur eine Kleinigkeit, aber das Feuer des Streites breitete sich wie ein ungezügelter Brand aus. Sie schubsten sich und schon bald rauften sie sich kreischend am Boden. Mellow packte Minja in den Schwitzkasten, drückte zu bis sie kaum mehr Luft bekam. Erst als ihr Kopf rot wurde, ließ Mellow endlich von ihr ab, verwies sie aber zornig des Hauses. Tief gekränkt schnappte Minja ihren leeren Rucksack und stürmte geschlagen außer Haus. Mellow verzog sich in sein Zimmer, knallte gereizt die Tür hinter sich zu, achtete nicht weiter auf BigBig, der flatternd vor der Türe zurückblieb. Der Eisvogel beschwerte sich mit lautstarken Tschiepen. Mellow empfand sich nicht als glücklicher Gewinner. Ganz im Gegenteil, er fühlte sich traurig und unglücklich. Nicht nur, dass seine Großmutter verschwunden war, jetzt hatte er auch noch seine beste Freundin in die Flucht geschlagen. Er stürzte sich aufs Bett, vergrub den Kopf zwischen seine Arme, bis nur noch sein silberner Schopf zu sehen war, und heulte bitterlich los. Große Tränen kullerten ihm über die Wangen. Sein hilfloses Schluchzen durchzog das Haus. Seine Kraft war erschöpft und missgelaunt glitt er in einem Dämmerzustand ab.
Ein sanftes Rütteln weckte ihn. Mellow öffnete seine bernsteinfarbenen Augen und erschrak bis in die Knochen. Eine wunderschöne Frau beugte sich über ihn, ruckelte an seinem liegenden Körper. Rubinrotes Haar umrahmte ihr Gesicht und ihr Lächeln war eine wahre Wonne.
„Komm, Mellow, es wird Zeit für dich. Steh auf!“, ermunterte sie ihn.
Mellow erhob sich und verschmälerte seine Augen. Sonderbar erschien es ihm, dass er die Frau, die ihn weckte, genauer wahrnehmen konnte, als jemals ein flirrendes Wesen zuvor.
„Bist du es, Mariana?“, fragte er erstaunt nach. Sie bejahte seine Frage mit einem zustimmenden Nicken.
„Wo sind deine Flügel?“, hakte er nach.
Mariana wirbelte herum und es dauerte nur einen Wimpernschlag, sie verwandelte sich schlagartig. Ihre flauschigen Federn schimmerten dunkelviolett. Marianas Auftritt erschien anmutig und ihre Stimme klang zart.
„Ist dieser Ort Wirklichkeit, oder nur ein Traum?“
„Dieser Ort ist die Wirklichkeit. Auch für dich. Selbst wenn du träumst. Dieses Mysterium wird sich für dich bald schon öffnen und dann wirst du ganz klar erkennen, dass es wirklich ist.“
Für einen klitzekleinen Moment fühlte sich Mellow nicht mehr ganz so allein.
„Mariana, aber ich träume doch. Es fällt mir schwer zu glauben, dass dies wirklich geschieht.“
Mariana blickte ihm tief in seine schmalen Augen.
„Träume sind letztendlich nur eine andere Art von Wirklichkeit.
Du kannst mich sehen. Du kannst mich hören. Du sprichst mit
mir. Ist das denn nicht die Wahrheit?“
Mellow nickte, das klang mehr wie einleuchtend.
„Dann sag mir, in welcher Gefahr befinde ich mich?“
Nach einer Pause unterbrach sie die Stille.
„Du suchst noch immer nach Aurilia, oder?“
Mellow horchte gespannt auf.
„Ja, ich suche Großmutter Auri schon seit einigen Tagen. Weißt du vielleicht, wo sie sich befindet?“
Seine Stimme bebte vor Aufregung und er konnte die Spannung kaum mehr ertragen.
„Nein, über den Verbleib Aurilias weiß ich nicht Bescheid.“
Mellow atmete enttäuscht ein und schnaufte entmutigt aus.
„Aber ich kenne jemanden, der vielleicht Auskunft geben kann.“
Noch bevor Mariana weitersprach, verschwand Mellow aus ihrem
Blickfeld und wachte zuhause, noch immer über seinem Bett gebeugt, auf. Mit aller Mühe zwang er sich, erneut einzuschlafen, erkannte aber, dass es sinnlos war. Er war innerlich viel zu aufgewühlt.
Mit einem Satz sprang er hoch, öffnete die Türe, rief laut nach BigBig und rannte mit ihm in der Hand auf die Straße. Er sprintete ohne Umweg zu Minjas Haus. Der Himmel war wolkenlos und er sah die vielen Sternschnuppen auf die Erdoberfläche treffen. Er hämmerte kraftvoll gegen die Türe, aber niemand öffnete. Mellow rüttelte fest am Türknauf, drehte wild in beide Richtungen, es half nicht, die Türe blieb verriegelt. Er rannte ums Haus, überprüfte jedes Fenster, in der Hoffnung, dass er durch eines schlüpfen könnte. Jedoch ohne Erfolg.
„BigBig, ich brauche deine Hilfe. Flieg und wecke Minja!“
BigBig befolgte die Bitte, noch immer gekränkt, weil Mellow ihm die Türe vor dem Schnabel zugeschlagen hatte. Er flog auf den Kamin, blickte nach unten in den Schlot, sah den Ruß und schüttelte sich vor Ekel. Eisvögel achteten peinlich genau darauf, sich nicht zu beschmutzen. Doch dann bemerkte er erleichtert, dass ein Oberlicht geöffnet war. Zu schmal für einen Jungen, für einen kleinen Piepmatz aber eine Leichtigkeit. BigBig tschiepte befreit auf.
Mellow wartete ungeduldig, verkrampfte, fühlte sich abermals beobachtet. Nervös prüfte er die Umgebung, erspähte einen heruntergekommenen bulligen Mann in zerlumpten Klamotten. Der bärtige Mann gammelte auf der gegenüberliegenden Straßenseite, winkte Mellow eifrig zu. Mellow winkte nicht zurück. Der Mann jaulte auf, drehte sich um und schlurfte davon. BigBig flog heran und setzte sich auf Mellows Handrücken. Er drehte seinen Kopf mehrmals von links nach rechts und hob ab in Lüfte. Mellow überlegte nicht lange und rannte die Straße hinunter, auf direktem Weg zum Hauptquartier Wolke 7 am Waldesrand.
Völlig aus der Puste kam er an. Bei dem Versuch die Stahltüre zu öffnen, stellte er fest, dass sie von innen verriegelt war.
„Sind heute alle Türen für mich verschlossen?“
Er klopfte, rief nach Minja, rüttelte und zog mit aller Kraft an der Stahltüre. Vergebens. Die Türe bewegte sich keinen Millimeter. Niedergeschlagen setzte er sich auf den Boden.
„Mist. Echt, wie verhext. Wo seid ihr?“
BigBig landete auf seinem Kopf, rupfte ihm am silbernen Haar. Mellow war froh darüber, dass sich sein kleiner Freund, der Eisvogel, beruhigt hatte. Nach einer geraumen Zeit spitzte Minjas Kopf aus dem Dickicht hervor. Sie hielt nach allen Richtungen Ausschau.
Читать дальше