Daneben steht noch ein anderer Aspekt. Eine wesentliche Voraussetzung für das Gefühl, mit dem Leben einigermaßen zufrieden zu sein, ist die Zufriedenheit mit den Beziehungen, in denen man steht. Das gilt in gleicher Weise für die Beziehung zu Kolleginnen und Kollegen wie für die zu Freundinnen und Freunden. Grundlage und Motivation der jeweiligen Beziehungen ist mit Blick auf ihre Bedeutung für die Lebenszufriedenheit nicht entscheidend.
So wichtig und wesentlich für das Lebensgefühl Beziehungen im hier skizzierten Sinne auch sein mögen, so wenig scheinen sie doch mit dem zu tun zu haben, worum die eingangs erwähnten Bücher kreisen. Wer würde nach Ratschlägen dafür suchen, Freunde, Bekannte oder Kollegen zu finden? Die Kategorie „glücklich“ erscheint auch nicht nahe liegend, um eine solche Beziehung zu beschreiben, wenn sie sich positiv gestaltet. Erst recht scheinen diese Beziehungen nichts zu sein, das gerettet werden könnte, sollte oder müsste. Es muss also eine Art von Beziehungen zwischen Menschen geben, der im Allgemeinen eine solche Bedeutung zugemessen wird. Bevor sich auch dieser Text mit dieser besonderen menschlichen Beziehung auseinandersetzt, soll noch einmal betont werden, dass es nur eine von vielen Beziehungsformen auf dem weiten Feld der menschlichen Beziehungen ist.
Diese spezielle Form wird im Folgenden „Paarbeziehung“ genannt werden. Damit ist zunächst nichts anderes gesagt, als dass eine solche Beziehung zwei Personen umfasst. Das Wesentliche ist damit aber noch nicht getroffen. Für eine Paarbeziehung ist es entscheidend, dass exakt zwei Personen diese Form von Beziehung miteinander führen. Alle anderen sind ausgeschlossen. Eine Paarbeziehung kennzeichnet, dass sie exklusiv ist. Dementsprechend gehören zu jeder Paarbeziehung ihre Exklusivitätskriterien, Dinge, die nach Meinung der Beteiligten nur innerhalb der Beziehung geschehen dürfen.
Dabei sind diese Exklusivitätskriterien in den seltensten Fällen nur individuell. Sie gehören vielmehr zu einem gesellschaftlich anerkannten Ensemble von gemeinsam gestalteten Erlebnissen, die als notwendiger und exklusiver Bestandteil von Paarbeziehungen angesehen werden. Hier ist etwa an den Geschlechtsverkehr oder besondere Formen der Zärtlichkeit zu denken. Möglich ist aber auch, dass es bestimmte Themen gibt, über die man nur innerhalb der Beziehung spricht. Letztlich geht es immer darum, irgendwie zum Ausdruck zu bringen, dass es innerhalb der Beziehung eine Liebe gibt, die mit Menschen außerhalb der Beziehung undenkbar ist. Nur ist die höchste oder auch nur die einzigartige Liebe etwas sehr Abstraktes, weshalb es eindeutige, praktische Zeichen dafür braucht, ob sie gegeben ist oder auch nicht.
Ein Zweites, das neben ihrer Exklusivität Paarbeziehungen aus dem Feld der verschiedenen Beziehungen heraushebt, ist das hohe Maß, in dem es allgemein verbreitete und weitgehend verbindliche Vorstellungen davon gibt, wie das Leben in einer solchen Beziehung aussieht.. Normalerweise entwickeln sich Beziehungen zwischen Menschen entlang der momentanen konkreten Bedürfnisse, Vorstellungen und Möglichkeiten der Beteiligten.
Anders ist das bei der Paarbeziehung. Hier existiert schon ein mehr oder weniger präzises Bild davon, wie die Beziehung auszusehen hat, noch bevor überhaupt ein potentieller Partner aufgetaucht ist. Und in der Phase des Kennenlernens verdrängt leicht die Frage, ob man dem richtigen Menschen für eine Paarbeziehung begegnet ist, die Frage danach, wie eine angemessene und richtige Beziehung zu dem betreffenden Menschen aussehen müsste. Die verinnerlichten Maßstäbe und Bilder können eine mindestens so hohe Bedeutung erlangen, wie die Erfahrungen und Erlebnisse, die man in der Begegnung mit dem Gegenüber sammelt.
Aus den klaren Vorstellungen davon, was eine Paarbeziehung ausmacht und wie sie auszusehen hat, folgt auch, dass man in den meisten Fällen einen klaren Anfangspunkt und gegebenenfalls auch einen Endpunkt dieser Beziehungen angeben kann. Für andere Beziehungsformen, eine Freundschaft etwa, gilt das meistens nicht. Sie entwickeln sich in nicht benennbaren Schritten, vertiefen sich und werden intensiver oder sie werden lockerer und oberflächlicher, aber nichts stellt etwas dar, dass man als Anfang oder Ende einer Freundschaft ansehen könnte. Ganz anders sieht das in einer Paarbeziehung aus. Hier können die meisten angeben, wann und womit sie angefangen hat. Häufig werden sogar Jahrestage gefeiert, die an den Beginn der Paarbeziehung erinnern. Diese können sogar neben Hochzeits- und Verlobungstagen stehen. Noch eindeutiger lassen sich meistens Trennungen datieren. Auch wenn ihnen im Normalfall eine längere Geschichte vorausgeht, so ist doch die Trennung selbst ein punktuelles Ereignis. Im Gegensatz zu anderen Beziehungen, wo es immer verschiedene Formen und auch ein Mehr-oder-weniger gibt, gilt für die Paarbeziehung, dass es sie nur ganz oder gar nicht gibt.
Dass überhaupt von der Paarbeziehung als einer eigenständigen Größe gesprochen werden kann, ist alles andere als selbstverständlich. Noch vor einigen Jahrzehnten hätte man in diesem Zusammenhang unmittelbar an die Ehe gedacht. Eine Nähe zweier Menschen ohne Trauschein war, wenn überhaupt, nur für eine kurze Zeit möglich. Wenn sie längere Zeit anhielt, dann sprach man von einer „wilden Ehe“, was einen massiv negativen Anstrich hatte. Mittlerweile ist die Bedeutung der Eheschließung deutlich zurückgegangen. Für die meisten Menschen, die heiraten, ändert sich nichts in ihrem alltäglichen Umgang miteinander.
Zunächst war es unüblich, schon vor der Hochzeit eine gemeinsame Wohnung zu haben, sozusagen um vorher schon probiert zu haben, ob man zusammen wohnen kann. Inzwischen hat das gemeinsame Wohnen mit einer Hochzeit nur noch wenig zu tun. Ähnlich sieht es mit dem Geschlechtsverkehr aus. Das Bild, und die Vorstellungen von der Ehe sind mehr oder weniger auf die Paarbeziehung übertragen worden. Je mehr sich die Idee durchgesetzt hat, es sei letztlich egal, ob Menschen unterschiedlichen oder desselben Geschlechts einander begehren, desto mehr wird davon ausgegangen, dass auch für Schwule das Modell der Paarbeziehung verbindlichen Charakter hat.
Diese wenigen Bemerkungen mögen ausreichen, um den Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen sichtbar zu machen. Manches wird noch vertieft und genauer erklärt werden, manches wird in seiner Unklarheit noch deutlicher herausgestellt werden. Wie das weitere Nachdenken strukturiert sein wird und in welche Richtung es geht, ist Inhalt des nächsten Abschnitts.
Was auf den nächsten Seiten zu erwarten ist
Wahrscheinlich würde niemand, der sich mit dem Thema beschäftigt, behaupten, alle Aspekte zu bedenken, die mit Blick auf schwule Beziehungen wichtig sein könnten; es muss immer eine Auswahl getroffen werden, die niemals bis zum Letzten begründet werden kann. So erhebt auch der folgende Text keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wird so manches unberührt lassen, was dem einen oder der anderen wichtig gewesen wäre. Die Begrenzungen, die hier getroffen werden, ergeben sich vor allem aus der Konzentration auf zwei Grundfragen. Diese werden aus verschiedenen Blickwinkeln umkreist. Sie sollen vor allem anschaulicher gemacht und vertieft werden. Konkrete Antworten können nicht immer angestrebt werden.
Wie schon mehrfach angedeutet, geht es in der ersten Grundfrage um die Rolle und Stellung der Paarbeziehung, wie sie sich heute darstellt. Aus unterschiedlichen Perspektiven werden die Stärken und Schwächen dieses Beziehungsmodells ins Auge gefasst: was für Möglichkeiten eröffnet es und welche Schwierigkeiten und Konflikte werden in ihm und durch es virulent. Bei der zweiten Grundfrage geht es um die Liebe, die gegenwärtig als Grund und Zentrum der Paarbeziehung angesehen wird. Es wird gefragt, was sie eigentlich ist und wie sie sich ausdrücken und gestalten lässt.
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