Er verfluchte das Mädchen, das er noch vor Kurzem über alles geliebt hatte. Was für ein Fehler, was für ein grandioser Irrtum der Gefühle!
Dabei war bisher doch alles so gut gelaufen, seit seine Truppen vor vier Tagen aus Seramak aufgebrochen waren, hoch motiviert. Lachend hatten sie die Strapazen der Reise auf sich genommen, Trinklieder gesungen und sich derbe Witze erzählt. Mit Übermut hatten sie der grausamen Natur der Wüste und der Gnadenlosigkeit ihres Mordkommandanten getrotzt, der ihnen nur untertags ein paar Pausen gönnte, während derer sie sich in ausgehobenen Höhlen vor der größten Hitze schützen konnten. Sie hatten genug Wüstentiere dabei, um schnell vorwärtszukommen: Riesenskorpione und Mantikore, denen die Hitze nichts anhaben konnte. Die Wüste von Ergian zu durchqueren, war keine leichte Angelegenheit und nur mit ausreichend Vorbereitung und Planung zu bewältigen, aber das hatte die Schwarze Horde schon mehrmals geschafft. Ernie war inzwischen ein Spezialist darin, diese Märsche durchzuführen. Die verfluchte Wüste erstreckte sich im Süden vom Ergian-Gebirge durch ganz Neoperseuon, bis sie im Norden an eine doppelte Gebirgsreihe brandete. Doch um die Sache zu erschweren, lag gleich dahinter die Wüste Nagmar mit ihrem roten Sand. Jene mussten sie allerdings nicht durchqueren, sondern waren dem Verlauf des Gebirges nach Osten gefolgt, bis dieses einen Bogen nach Norden machte und Nagmar abschnitt. Der Weg führte zwischen ausgetrockneten Flusstälern und kargen Steppen bis an die Grenze Hattis und ins Land des widerspenstigen Stammes der Chardoni, deren Hauptstadt Kishon schon seit drei Monaten von den Heeren der Schwarzen Horde belagert wurde. Ernies Brigade sollte Kishon den Todesstoß versetzen. Er war bestens vorbereitet.
Sie hatten Schilde und Decken dabei, um sich vor Sandstürmen zu schützen. Die Mantikore besaßen ein Gespür für Wasser, und so fanden sie jedes noch so versteckte Loch. Die Skorpione hatten dagegen einen inneren Kompass und verliefen sich nie. Ernies Krieger waren zäh und ausdauernd. Lange und schnelle Märsche waren ihre Spezialität, und sie mussten nur kurz rasten, um gleich darauf wie Berserker zu kämpfen. Keine Wüste der Welt würde die Todesbrigade aufhalten können. Dafür war alles zu gut geplant.
Doch jetzt das!
Seine Wunderwaffe, sein Luftschiff. Gestohlen. Von Vanessa und diesem Tom Packard. Was für eine bittere Ironie! Bis vor Kurzem hatte er Vanessa zur Gemahlin nehmen, eines Tages mit ihr Kinder haben wollen. Und Tom Packard? Den hatte er in Fernwelt von all den Blödmännern und Arschlöchern noch am liebsten gemocht. Ein netter Kerl, frei von Vorurteilen.
Ha! Was für ein Witz! Gerade Tom Packard, der nette Tom, erwies sich jetzt als der größte Feind der Schwarzen Horde. Ernie hätte das alles nie für möglich gehalten, hatte keine Ahnung gehabt, wer Tom wirklich war. Jetzt kam er sich unendlich dumm vor. Was für eine Chance war ihm da durch die Finger geschlüpft: Einen persönlichen Feind des Dunklen Meisters zu töten, das wäre es gewesen.
»Ich hätte alle beide sofort erschlagen sollen, diesen Direktor Swift ebenso! Verräter, Verräter, allesamt Verräter«, brüllte er, packte den Tisch in seinem Zelt und warf ihn um. Das ist der Krieg, den wir hier ausfechten. Die dummen, verblendeten Idioten, welche die Wahrheit nicht erkennen und treuherzig den wahren Weg, den Weg des Dunklen Meisters, sabotieren, das sind unsere Feinde. Jeder, der nicht dem Schwarzen Manifest folgt, ist unser Feind. Unsere Feinde müssen sterben. Ich werde sie alle umbringen, jeden Einzelnen!
»Beruhigt Euch, Mordkommandant«, mahnte ihn die Stimme des Achten.
Ernie blickte auf. Die schattenhafte Gestalt des Gründers und Anführers der Schwarzen Horde stand neben dem geschlossenen Eingang des Zelts. Er selbst hatte ihm die furchtbaren Neuigkeiten überbracht.
»Ich werde sofort das Erste Bataillon umkehren lassen, um Seramak wieder einzunehmen. Jeden dort werde ich hängen lassen, an den Dachsparren ihrer eigenen Häuser! Die ganze Welt soll mir das büßen. Seramak lasse ich bluten!«, tobte Ernie. Noch nie in seinem Leben war er so betrogen, so hintergangen worden. Dieser Swift, Tom Packard, Dimm, Vanessa – Vacandor hatte mit all seinen Befürchtungen recht gehabt. Es gab entweder den Weg des Schwarzen Manifests oder den Tod.
»Gehen wir ein Stück«, schlug der Achte vor. Auf den Wink seiner Rechten hin flatterte der Eingang des Zelts auf.
Gehorsam folgte Ernie seinem Gebieter nach draußen. Die Nachrichten vom Ausbruch der Gefangenen, dem Tod Gashkazz’ und der Vernichtung des Kraftwerks hatten sich überall im Lager verbreitet. Menschen und Schrate hockten beisammen, gaben sich dem Hass auf ihre Feinde hin und schworen ihnen Tod und Vernichtung.
»Seramak ist unwichtig. Die Zeit drängt, der Dunkle Meister verlangt Fortschritte. Das Rad des Schicksals dreht sich weiter, es bleibt für unsere eigenen Gelüste nicht stehen, Mordkommandant. So viele Ziele müssen zur gleichen Zeit erreicht werden. Kishon muss fallen, so bald als möglich. Ihr werdet Seramak daher vergessen. Zuerst vernichten wir Kishon, und wenn dieses Ziel erreicht ist, dann dürft Ihr Euch wieder Seramak zuwenden«, befahl der Achte, sein verschleiertes Gesicht auf Ernie gerichtet.
Er spürte förmlich, wie die Blicke seines Gebieters in seinen Gedanken forschten. Dem Achten, so mächtig wie einer der verhassten Simanui, konnte man nichts verheimlichen. In der Schwarzen Horde gingen Gerüchte um, dass er einst sogar zu jenem Orden gehört hatte, bis er die Wahrheit herausfand. Darum hatte der Achte die Schwarze Horde ins Leben gerufen, um mit ihr die Welt vor dem Blendwerk des Lichts zu retten. Die Simanui und all die Völker, die sie unterstützten, musste man ertränken. In Blut, Schweiß und Tränen; sehr vielen Tränen. Ernie nickte grimmig. »Dann wird es so geschehen, aber mein Zorn glüht heiß, Gebieter. Ich will mich rächen für diese Demütigung! Ich verlange es!«, sagte er.
Der Achte lachte unter seiner schwarzen Tiara. »Ihr werdet Eure Rache schon noch bekommen, Mordkommandant. Doch bis dahin kühlt Euren Verstand, auf dass er wieder klar denken kann. Dies alles ist eine komplizierte Affäre. Ihr wisst, was auf dem Spiel steht? Niemand steht dem Dunklen Meister näher als ich. Denkt daran: Mit dem Sieg über Kishon erfüllen wir die Siebte Prophezeiung des Manifests«, mahnte der Achte. Seine Stimme war ein Dröhnen, das den Sand in Schwingung versetzte.
Eine Weile stapften sie durch die Wüste, eine hohe Düne hinauf, von deren höchstem Grat aus sie die schier endlos wirkende Weite Ergians unter sich hatten.
»Euer Aufstieg zum achten Schatten des Dunklen Meisters«, fasste Ernie die Aussage der Siebten Prophezeiung zusammen. Er kannte das Schwarze Manifest durch und durch.
Der Achte musterte ihn erneut. »So lautet der Wille des Dunklen Meisters. Die Verräterin unter den Schatten muss fallen, damit der innere Kreis der Dunkelheit wieder vollkommen und unbefleckt ist. Das wird alles entscheiden, Mordkommandant. Habt Ihr den Schwarzen Schlächtern ihre Aufgaben zugewiesen?«
Ernie nickte. »Einen schickte ich los, um die Verräterin zur Strecke zu bringen. Noch hörte ich nichts von ihm, aber der Weg ist weit. Die Nachricht ihres Todes wird sich in Windeseile verbreiten, da bin ich sicher. Eurem Aufstieg zum Schatten wird sie nicht mehr lange im Wege stehen.«
Der Achte schwieg eine Weile und schien über Ernies Aussage nachzudenken. »Gut. Der Rest der Schlächter wird Euch in Kishon erwarten. Sie werden unsere Geheimwaffe sein und zum rechten Moment ins Schlachtgeschehen eingreifen. Marschiert schnell weiter, brecht noch heute Nacht die Zelte ab. Nehmt keine Rücksicht auf Verluste. Diesmal, Mordkommandant, müsst Ihr an die Grenzen der Kräfte Eurer Männer gehen. Die Feinde der Schwarzen Horde sind zahlreich, und ich hörte, dass sie sich sammeln und einen Angriff gegen uns vorbereiten. Der Fall Kishons wird alles entscheiden.« Mit diesen Worten drehte er sich um und stapfte die Düne wieder hinab.
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