Verzweifelt wirbelte er herum, um wieder zurück zum Schwimmbecken zu flüchten – und erstarrte im gleichen Augenblick. Mitten in der Therme parkte nun ein Luftschiff! Wimille hatte den gewaltigen Leinenberg zu einem annähernd kapselförmigen Flugkörper aufgepumpt, krumm und schief mit zahlreichen Beulen, eingefangen von einem Fischernetz, das mit Stahlseilen an acht Stellen am Boot verankert war. An den Seiten des Rumpfes waren zwei Propeller befestigt, die offenbar aus den Motoren und Schaufeln einer Ventilatoranlage stammten. Langsam begann sich das Luftschiff aus dem leeren Schwimmbecken zu heben, mit Wimille Swift als Kapitän an Steuerrad und Hebeln.
»Hurtig, hurtig«, rief er. »In ein paar Sekunden sind wir in der Luft!«
Tom und Morga sahen sich kurz an, dann rannten sie mit Brokaris los, erwischten einer nach dem anderen die kleine Leiter und hangelten sich nach oben. Li Su nahm sie in Empfang und halfen ihnen an Bord. Das Deck war wie ausgestorben; die Gefangenen waren wohl ins Unterdeck geflüchtet.
Einen Atemzug später brach die Tür der Therme aus den Angeln, und Krieger der Schwarzen Horde stürmten herein. Bei dem Anblick, der sich ihnen bot, blieben einige vor Staunen stehen und starrten nach oben, andere rannten in sie hinein, bis alle durcheinander purzelten. Das unförmige Luftschiff hob sich indessen lautlos aus dem Thermenbau, glitt durch das offene Dach hinaus in die Freiheit.
»Ich bedaure sehr, dass sie so hässlich geworden ist«, rief Wimille Tom zu. »Aber die Zeit war knapp und die Angst der Schneider und Näher greifbar. Einige der verlangten Tücher fielen zu groß aus, andere zu klein. Aber aus Ermangelung an Zeit musste ich mich mit dem zufriedengeben, was die Leute schafften. Immerhin fliegt sie, und die Steuerflossen sollten genügen, um sie auch sicher navigieren zu können«, fuhr er fort.
Tom lachte auf, noch immer fassungslos vor Staunen.
Neben ihm starrte Brokaris auf den bestimmt einhundert Meter langen und zwanzig Meter dicken Auftriebkörper. »Bei den schwarzen Knochen des Dunklen Meisters … Was ist das?«, keuchte sie.
»Ein Luftschiff, Verehrteste. Zwar ein sehr primitives und einfach gebautes Exemplar, aber für den Zweck unserer Flucht ausreichend«, antwortete Wimille, dann grinste er. »Willkommen an Bord der Allianz der Verlorenen !«
Da fiel Tom noch etwas ein. »Schnell, steuern Sie das Schiff an den Rundbau heran. Wir sind noch nicht komplett. Ich muss Vanessa holen«, rief er.
Wimille nickte nur knapp, kurbelte am Steuerrad und zog an den Gashebeln. Wenigstens erhebt er keine Einwände , dachte Tom. Die beiden Propeller begannen sich schnell zu drehen und ließen das Luftschiff seitwärts schwenken. Das Boot, das als Reisegondel diente, drängte nahe an das Mauerwerk des Rundbaus heran. Tom kletterte über die Reling und suchte sich einen passenden Ort, um hinüberzugelangen. Da, ein Balkon, zwei Meter unter ihm. Das Luftschiff schaukelte, beinahe drohte er zu fallen. Er holte tief Luft und sprang.
Bei der Landung stolperte Tom und stürzte durch die Tür ins Innere des Palastes. Lärm brandete ihm entgegen. Durch das nahe Treppenhaus sah er fünf Kämpfer der Schwarzen Horde heraufstürmen, schnaufend und brüllend: »Wo ist das Flittchen? Wo ist das Flittchen?« Schon bogen sie in den Korridor.
Tom sprang auf, hob das Daring-Schwert und richtete es auf seine Feinde. Blitze schossen aus der Klinge, trafen die ersten beiden Kämpfer und fegten sie zu Boden. Die nächsten beiden trampelten einfach über die Körper ihrer gefallenen Kameraden hinweg, schwangen ihre Äxte und Schwerter. Tom hielt ihnen sein Schwert entgegen, aus dessen Klinge neue Blitze hervorbrachen, die sich einem der Kämpfer durch die Brust brannten. Dem anderen wich Tom einfach aus, parierte seinen Schlag. Funken flogen, als sich die Klingen kreuzten. Die des Schrats zerbrach wie Porzellan. Ungläubig starrte er auf den Stumpf seiner Waffe, während Tom ihm auch schon den Griff seines Schwerts gegen den Kopf hieb. Bewusstlos sackte der Hordling zusammen. Der fünfte und letzte der Krieger stürmte brüllend auf ihn zu, doch ein Blitz aus der Spitze des Daring-Schwerts brachte ihn zu Fall. Ein qualmendes Loch erschien auf seiner Stirn, und er kippte um wie ein gefällter Baum.
Tom atmete tief durch. Kein guter Tag für die Anhänger des Schwarzen Manifests. Aber er war nicht hier, um Schrate und anderes Gesocks zu töten.
»Tom!«, erklang eine gedämpfte Stimme aus einem der angrenzenden Räume. Vanessa! Sie hörte sich verängstigt an.
Tom eilte los. Wo war sie? »Vanessa? Vanessa!«
»Hier«, zischte ihn eine Stimme von der Seite an.
Tom wirbelte herum, aber diesmal war er zu langsam. Gashkazz, in einem der Räume verborgen gewesen, schlug ihm das Daring-Schwert aus der Hand, packte ihn am Arm und schmetterte ihn hart gegen die Wand. Tom blieb die Luft weg, seine Beine knickten ein, er stürzte.
Mordlüstern hob Gashkazz seine eigene Waffe zum Stich. »Hab ich doch gleich gewusst, dass du wegen diesem Prinzesschen noch mal herkommst! Ihr steckt alle unter einer Decke!«, triumphierte der Schrat. Doch schon im nächsten Augenblick schnappte er heiser nach Luft und brach in die Knie. Mit einem erstaunten Keuchen brach er zusammen.
Tom blinzelte verdutzt. In der Seite des Schrats steckte ein Dolch – wo war der hergekommen? Gleich darauf hörte er, wie sein Name gerufen wurde – aus dem Zimmer gegenüber.
»Oh, Tom!«, rief Vanessa. Sie zitterte am ganzen Körper, als sie zu Tom in den Gang trat. »Er hat gedroht, mir die Kehle durchzuschneiden, wenn ich dich nicht rufe«, jammerte sie.
Als Tom sich auf die Füße gekämpft hatte, fiel Vanessa ihm um den Hals. Er drückte sie fest an sich. »Gott sei Dank, Gott sei Dank! Oh, Vanny, was bin ich froh. Ich dachte wirklich, die Mistkerle hätten dich …«
Weiter kam er nicht. Sie verschloss seine Lippen mit einem Kuss und umarmte ihn nur noch fester. Tom horchte verwirrt in sich hinein, aber er fühlte nicht mehr dieses Kribbeln wie früher, wenn sie ihn geküsst hatte. Lag es an ihrer brenzligen Lage, oder war er wirklich über sie hinweg?
Nach einer langen Weile löste sie sich von ihm und plapperte drauflos. »Oh mein Gott, Tom. Es war alles so furchtbar. Ich hatte solche Angst, aber jetzt bist du da. Und du lebst. Oh mein Gott, du bist wirklich noch am Leben!« Tränen standen in ihren Augen.
Vor Freude, ihn unversehrt zu sehen, oder Erleichterung, dass Rettung da war? Ach egal, dafür war jetzt nicht die Zeit! Verwirrt warf er einen Blick auf den toten Gashkazz. »Moment mal«, sagte er. »Wenn du da drüben warst, wer hat dann diesen Mistkerl niedergemacht?«
»Das war ich«, meldete sich eine fremde Stimme.
Tom wirbelte herum, schob sich erst schützend vor Vanessa, dann hechtete er vor, schnappte sich das Daring-Schwert und riss es hoch. Aus dem Raum, in dem Gashkazz gelauert hatte, trat ein schmächtiger alter Mann. Beim Anblick von Toms Waffe hob er erschrocken die Hände.
»Das ist Dimm! Er ist ein Freund! Tu ihm bitte nichts«, rief Vanessa.
Tom sog scharf die Luft ein – er war drauf und dran gewesen, den Alten zu erschlagen! Was tu ich hier denn nur? , fragte er sich. Durch seinen Körper pumpte das Blut heiß und in heftigem Rhythmus, er fühlte sich wie im Wahn. War er in einem Mordrausch, so wie Morga? Er musste sich zusammenreißen. Schnell steckte er das Schwert in den Gürtel, wo es sich augenblicklich auflöste.
Dimm machte große Augen. »Ihr seid ein Simanui!«, rief er. »Vergebt mir, Meister! Ich bin unwürdig!«
Tom zuckte zusammen. »Was? Ach so, wegen des Schwerts. Nein, das ist eine lange Geschichte. Ich bin kein Simanui«, lachte er, ehe er sich wieder Vanessa zuwandte. Ihr Zittern hatte nachgelassen. »Los kommt. Wir verschwinden. Da draußen wartet unser Taxi«, sagte er, nahm sie bei der Hand und führte sie auf den Balkon. Dimm folgte ihnen zögerlich.
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