Franziska Thiele - Milans Weg

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Nach einem Bruch in seinem Leben muss Milan neu beginnen. Die Stadt hat er nach dem Wetter gewählt, sein zu Hause zufällig. Der Versuch, die Zufälle des Lebens sich zu eigen zu machen, stellt den jungen Mann immer wieder vor neuen Herausforderungen und Entscheidungen. Zugleich komische und abstrakte Szenen bewegen ihn durch die schaukelnde Gegenwart unserer Zeit, die alle Möglichkeiten erdenken, aber nicht alle zu lässt. Die Frage, was einem von dem bisher glebete bleibt, was einem die erinnerung in einem neuen Leben bringt und was was noch wohin mitbnehmen kann, bewegt Milan, dessen einzige verbliebender Kontakt die Freundin Paulette ist, die einige hundert Kilometer weiter entfernt wohnt.

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Franziska Thiele

Milans Weg

Dritter Teil - Neustart

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Inhaltsverzeichnis Titel Franziska Thiele Milans Weg Dritter Teil Neustart - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Franziska Thiele Milans Weg Dritter Teil - Neustart Dieses ebook wurde erstellt bei

Erster Teil – Die Ankunft

Zweiter Teil – zwischen damals und jetzt

Dritter Teil – Die Wiederkehr des Alltags

Vierter Teil: Die Frage der Füllung des Lebens

Fünfter Teil: Wie viele Neubeginne sind möglich?

Sechster Teil: Neues Leben – neues Glück?

Impressum neobooks

Erster Teil – Die Ankunft

-1-

Geht man von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von ungefähr 60 Jahren bei Männern aus, dann wäre ich jetzt genau bei der Hälfte angekommen, dann wäre mein jetzt erreichtes Alter von 30 Jahren gerade einmal die Halbzeit – so gesehen perfekt, geradezu prädestiniert für einen Neustart, dachte Milan, als er sich durch das Gedränge in der Ankunftshalle des Flughafens schob. Die Flugzeit von Mallorca bis nach Köln empfand Milan als viel zu kurz bemessen angesichts der Kluft, die zwischen seinem alten und neuen Leben liegen sollte. Das letzte halbe Jahr hatte der 30-Jährige als Patient in einer psychiatrischen Anstalt auf Mallorca, wo er bereits zuvor einige Zeit gelebt hatte, verbracht. Das Leben mit all seinen kleinen zu erledigenden Notwendigkeiten, welche einen von der Zeit gequälten Menschen die beruhigende Tatsachen vermittelten, dass sie, die Zeit, in Minuten und Stunden Schritt um Schritt voranschreitet – dieses Leben erschien durch das Kürzen dieser Notwendigkeiten dem Patienten beinahe zeitlos. Er, Milan, hatte diese Ahnung erst jetzt, denn die Zeit war ihm über Wochen, in denen er ohne Bewusstsein in ihr wie dahinschritt, entglitten. Er versuchte sich dann, als er es bemerkt hatte, durch den Tag hinweg kleine Notwendigkeiten, so banal sie auch sein gewesen mochten, einzubauen, die einem daran erinnerten, dass der Tag auch wirklich voranschreitet. Freilich sprach Milan all diesen kleinen selbst auferlegten Pflichten keinen Sinn zu, sowie ihm ohnehin jegliche Tätigkeiten, von welcher Natur auch immer sie sein mochten, recht sinnfrei erschienen. Die meisten Menschen fallen, weil sie Dingen und Tätigkeiten einen Sinn geben, durch welchen sie dann ihrem Leben diesem Sinn unterordnen und ihnen plötzlich, oft in einem ganz nebensächlichen Moment, allen Dingen ihre Sinne abhanden kommen und das ganze Leben nackt und sinnlos erscheint. Auch das ahnte Milan mittlerweile, doch wagte er es nicht, es in dieser Deutlichkeit auszusprechen, wo doch jeder an seinen Sinnen hing. Doch wie sollte es ohne Sinn funktionieren?

Nun stand Milan in der Ankunftshalle, die Arme lose nach unten hängend, während die Menschen an ihm vorüber zogen. Die Grübchen um seine Mundwinkel gaben ihm noch immer einen bübischen Ausdruck, der Frauen unwillkürlich lächeln ließ. Sein schwarzes Haar war in den letzten Monaten etwas lichter geworden, was wohl eine Folge der Medikamente war, zeigte aber noch lange keine kahlen Stellen. Auch die ausgeprägten Wangenknochen, die seinen osteuropäischen Einfluss erkennbar machten, sorgten dafür, dass Milan noch immer ein ansehnlicher Mann war. Er folgte den Zeichen für die Toilette, obwohl er keinen Druck verspürte. Das gelbe aus Neonröhren scheinende Licht über dem Spiegel in dem weiß gefliesten Raum ließ Milan müde aussehen. Er öffnete den Hahn für kaltes Wasser und spritzte es sich mit beiden Händen über das Gesicht. Seine schwarzen Augen starrten in die schwarzen Augen, die ihm im Spiegel gegenüber standen. Gerne hätte Milan jetzt eine Grimasse gezogen, die gut zu seinem blassen, fast schon etwas kränklich wirkenden Gesicht gepasst hätte, die Pupillen nach unten verdreht, sodass die Röte im weißen Feld der Augen aufstieg, dazu die Mundwinkel verzerrt, einen nach oben und den anderen nach unten gerichtet, um das Bild seines verzerrten Selbst, das ihn, dachte er, viel besser beschrieb, abzurunden. Milan sah nach links und rechts, sah Männer, meist gut gekleidet in Anzug und Krawatte, nach einem prüfenden Blick in einen der Spiegel an sich vorbeigehen und entschied sich dafür, dass es keine gute Idee wäre als gerade entlassener Patient einer psychiatrischen Klinik, sich hier seltsam aufzuspielen. Er sah sich um und fand nichts, um sein Gesicht abzutrocknen. Auch hätte es reichlich komisch ausgesehen, wenn er sich bückender Weise das Gesicht unter dem Hundetrockner geföhnt hätte, dachte er und ließ die Idee wieder fallen. Milan zog seine Sweatshirt-Jacke hoch und strich sich kurz mit dem Stoff über das Gesicht, bevor er schließlich die Toilette verließ. Wieder bemerkte er Schweiß auf seiner Stirn. Kein Wunder, dachte er, wenn doch so viel nicht möglich war, als befremdlich gesehen werden würde, kein Wunder, dass sich vor Anspannung, Zurückhaltung und Versteifung Schweiß bildete. Er untersuchte die Stirnflächen und Hände anderer vorbei gehender, ohne sie zu auffällig anzustarren, wodurch erneut eine Schweiß bringende Hemmung entstand, und erkannte erleichtert, dass auch sie kleine nasse Flecken und Zeichen der Anspannung aufwiesen. Man konnte sich also nicht an diese stetigen und permanenten Hemmungen gewöhnen, schloss er hieraus, es konnte also nicht im Sinne aller hier sein, so steif und ernst herumlaufen zu müssen.

Dann zwang er sich zur Aufmerksamkeit, sah um sich herum und bekam es kurz mit der Angst zu tun, dass er aufgefallen sein konnte mit seiner sinnlosen herum Steherei. Ihm kam unwillkürlich der Gedanke, dass er vielleicht jetzt sogar noch Schizophren oder Paranoid werden würde, doch schließlich schüttelte er sich, lächelte kurz und sagte sich, dass es wohl nur natürlich wäre, nach einem halben Jahr, dass sich nur um seine psychischen Probleme, deren Aufsuchung und Heilung beschäftigte, auf solche Gedanken zu kommen. Endlich ging er, der wie festgewachsen mitten in der großen Ankunftshalle des Kölner Flughafens stand, weiter, denn auch er musste seinen Koffer abholen. Die wartende Menge um das Kofferband hatte sich bereits gelichtet. Alleine zog sein Koffer Runde um Runde auf dem Förderband, das nicht müde wurde und sich nicht an seiner müßigen Arbeit zu stören schien. Schließlich wurde auch der letzte Koffer endlich von seinem 30. Jährigen Besitzer gegriffen und vom Band gehievt.

-2-

Als sich Paulette noch im Halbschlaf im Bett drehte, sog sie den Geruch von Simon, der neben ihr lag, ein. Der männliche Schweiß und Simons Eigengeruch, der aus einer Mischung von leichten Lavendelnuancen und einem herben Duschgel für Männer bestand, beruhigte die noch nicht gänzlich erwachte und ließ sie wieder in einen morgendlichen Schlaf gleiten. Sie überraschte seit ihrer Wiederkehr aus Mallorca nicht nur Simon, sondern vor allem sich selbst mit einer tiefe Anhänglichkeit gegenüber Simon, die sie zuvor nicht in solchen Maßen von sich gekannt hatte. Sie blieb morgens länger bei ihm, machte zuweilen Kaffee und zögerte den Moment, in dem ein jeder seinem eigenen Tagesgeschehen nachgehen musste, den sie früher gerne als natürliche Trennung bis zum Abend hingenommen hatte, gerne bis zum späten Vormittag hinaus. Sie, die sonst so gerne in den frühen Stunden gleich nach dem Erwachen alleine durch die Stadt streifte, fühlte sich seit ihrer Wiederkehr aus Mallorca, wo sie ihre Wohnung aufgelöst hatte um nun ganz in Berlin zu Hause zu sein, manchmal wie ein kleines Äffchen, dass sich am liebsten doch einfach an ein Fell klammern würde, leise fiepend, um Streicheleinheiten und Nahrung zu bekommen, und sonst die Welt von der Wärme des flauschigen Fells aus betrachten wollte.

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