würde mich zu sich zurückführen, um die Tochter dort abzuholen. Aber er deutete stumm und ernst nach Natalien's
Wohnung. Will er in aller Förmlichkeit sich erst allein vorstellen lassen, oder ist das Mädchen schon dort? dachte ich
und folgte ihm still, um ihn nicht zu erzürnen oder vielleicht von seinem Vorhaben abzubringen, was mir leicht möglich
schien. Wir traten ein: Natalie empfing uns mit lächelnder Neugier und freundlicher Ungeduld. Ich stellte Herrn Mortier
vor, den ich gestern schon gemeldet.
Unser Freund hat mir Ihren Wunsch mitgetheilt, nahm sie das Wort, den ich mit wahrer Freude, so gut ich kann,
erfüllen werde; ich bedaure nur, daß meine Bereitwilligkeit, Ihnen zu dienen, so lange auf die erwünschte Gelegenheit
warten mußte. Aber wo ist der geliebte Gegenstand, dessen gewiß anmuthige Züge meine Hand auf Leinwand
darstellen soll? Wo ist die Demoiselle, Ihre Tochter?
Hier, Madame! sagte Mortier trocken, ohne eine Miene zu verziehen, und wies mit der Hand auf die Erde. Erst
jetzt bemerkten wir, daß ihm ein Thier gefolgt war. Hier, riefen wir Beide erstaunt, die Hündin?
Meine Bella, mein Kind! Ist Ihnen gefällig? Er setzte einen Stuhl vor die Staffelei, winkte dem Thiere, und Bella
sprang, ihren Gebieter mit klugen Augen anblickend, sogleich hinauf. Natalie verbarg ihr Lächeln, so gut sie konnte,
und sagte mir auf deutsch: Er ist völlig toll, wir wollen die Komödie fortspielen, so lange ich Fassung behalte.
Mortier nahm in einem Winkel Platz und beobachtete seine Bella sehr scharf. Diese gehörte zur Gattung jener
kleinen zierlichen Windspiele, deren Gesicht wirklich bisweilen eine Art von menschlichem Aussehn hat.
Natalie malte fleißig fort, ich blätterte in einem Buche, und Bella blickte wechselnd ihren schweigenden Herrn und
die emsige Malerin an. So vergingen fast drei Stunden. Bin ich doch erschöpft wie niemals, seufzte sie, Palette und
Pinsel weglegend; nun aber auch heute keinen Strich mehr! Sind Sie zufrieden, mein Herr?
Mortier trat zu, ich folgte ihm. Die Künstlerin hatte sich eine lustige Aufgabe gestellt und sie bewundernswürdig
gelöset. In den Umriß eines jugendlichen Mädchenkopfes hatte sie Bella's blasses Hundeschnäuzchen gesetzt und die
Uebergänge aus dem Thierischen in's Menschliche und wieder umgekehrt so kunstreich verbunden, daß man, trotz der
Aehnlichkeit mit Bella, bisweilen wirklich ein weibliches Portrait zu sehen glaubte und dann immer wieder auf das rothe
Halsband blicken mußte, um die Täuschung zu zerstören. Das Bildchen war unklar angelegt, die Umrisse schwankend,
wie in einem Nebel verschwimmend, und der dunkle Grund trug zur düstern Anschauung das seine bei. Für heute also
mag es genug sein! wiederholte sie. – Eben wollte Mortier mit seinem Kinde davon gehen, als der Blick der Malerin
von diesem noch einmal auf das Bild glitt und sie plötzlich rief: Nein, ich kann es nicht lassen, das muß ich noch hinein
malen; sehen Sie, welch' seltsamen Zug das Thier unter den Augen hat, man könnte ihn schwärmerisch nennen. Den
hab' ich ganz übersehen, und er darf nicht fehlen. Besser, als in diesem Augenblicke, werd' ich ihn nicht mehr
auffassen; schnell, Bella, noch einmal auf den Stuhl!
Bella blieb unbeweglich. Auch Mortier redete ihr vergeblich zu. Sie kratzte an der Thüre. Ei, sei nicht eigensinnig,
dummes Thier! rief in lustiger Aufregung Natalie, faßte das Halsband, Bella aber wüthend und mit einem kreischenden
Geheul wehrte sich, vor Wuth schäumend, und schnappte mehrmals nach Natalien. So laß es bleiben, Närrin, lachte
diese und rief dem gehenden Mortier nach: vielleicht ist das Fräulein morgen bei besserer Laune?!
Nun stellte sie das Bild hinter andere, größere in einen Winkel und sandte die Magd nach dem Mittagsessen. Mir
ist, sprach sie, als hätt' ich heute ein gutes Werk gethan, und als wäre die Arbeit dieses Morgens, obwohl
wahrscheinlich gar nicht einträglich, doch wichtiger und nützlicher für mein häusliches Verhältniß, als jede andere. Ich
kann mich von der Hoffnung nicht losmachen, daß die Erzählung des Vorgefallenen und der Anblick dieses Bildes dazu
beitragen wird, Hugo zu erheitern, dem immer noch eine Beimischung von Geisteskrankheit geblieben ist, obgleich er
sich, seitdem Ihr Rath ihn unter Menschen trieb, viel besser befindet. Ob er es auch nicht eingestand, ich glaube, der
alte Franzose war noch immer sein Aergerniß, und wenn dieser nun abreiset (wie er uns hoffen ließ) und wir Nichts
von ihm behalten, als die Erinnerung an dies Gemälde, so wird es Hugo ergehen, wie Manchen, die von einer fixen
Idee geheilt werden, weil man in ihren stillen Wahnsinn einging und die Komödie bis nach der Heilung mit ihnen spielt.
Ich gab der heitern, liebenswürdigen Frau scheinbar Recht, wenn auch in meinem Innern ihr eine Stimme Unrecht
gab. Wir verbrachten die Zeit bis zu Hugo's Rückkehr mit wechselnden und anziehenden Gesprächen. Ich hatte wohl
bemerkt, daß Natalie während des Essens einige Male aufstand und ihren Arm mit kölnischem Wasser strich, doch
darauf nicht sonderlich geachtet.
Hugo kam und mit ihm neue Heiterkeit in unsere Unterhaltung. Sein Gedicht war glücklich vollendet, er las es uns
vor, wir mußten die Fülle der Gedanken, die Klarheit des Ausdrucks, den Reichthum der Bilder, die Gewandtheit des
Verses bewundern. Der Antheil, den wir ihm gönnten, und den er von seiner Frau nicht gewohnt zu sein schien, machte
ihn so froh, wie ich ihn in der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft gar nicht gesehen. Er begehrte Wein, verlangte ihn
recht dringend, ganz gegen seine Gewohnheit, die Sorte bezeichnend, die er trinken wollte. Laß es guten Ungar sein!
rief er der bestellenden Natalie in die Thüre nach, denn so gut wie hier und so wohlfeil, weil hier drei Grenzen sich
schneiden, bekommt man ihn wohl nirgend. Mit jedem Glase wurd' er heiterer. Wir wollen, rief er mir zu, im Weine
aller Weine Brüderschaft trinken! Es geschah, und Natalie mußte feierlich mit anstoßen. Wir lachten und scherzten viel.
Er trank sogar die Gesundheit sämmtlicher Anbeter Nataliens. O diese jungen Herren, mit ihren Liebschaften und
Eroberungen, sagte er, wie viel Geschrei und wenig Wolle. Gott sei Dank, daß ich nicht eifersüchtig bin – und daß ich
keine Ursach habe, es zu sein. Bei diesen Worten küßte er Natalien verbindlich die Hand. Diese, von einem Glase des
feurigen Weines schon erhitzt, zog sich drohend zurück und sagte im Uebermuth der Laune: Ei, Freund, wie stand es in
Paris mit Dir, ehe Du mich kanntest?
Hugo entfärbte sich und wurde plötzlich stumm. Ich erschrak. – Natalie aber nahm es leichter und fuhr scherzend
fort: da sieht man das böse Gewissen. Ja, wir sind hinter all' Deine Schliche! Was noch mehr, die verlass'nen Geliebten
folgen Dir nach, und eine ist gar hier, Dich auszusuchen.
Nein, sprach Hugo mit bitterm Lächeln, und indem seine Hand über das matte Antlitz fuhr, nein, sie kommt mir
nicht nach.
Er schwieg. Natalie beobachtete ihn erstaunt und aufmerksam; mir schien, daß er jetzt keineswegs an den alten
Franzosen dachte, sondern daß seine Seele mit etwas ganz Anderem, am wahrscheinlichsten mit einer tiefen Wehmuth
erfüllt war.
Laßt diesen Augenblick, liebe Kinder, wo wir unerwartet aus der fröhlichsten Stimmung, ich wenigstens, in eine
traurige versetzt worden sind – begann er nach einer Weile – nicht ungenützt vorüber gehen. So lang' ich Dich besitze,
Natalie, trag' ich ein Geheimniß auf dem Herzen, welches ich trotz Deinen Fragen Dir niemals zu entdecken vermochte;
eine unerklärliche Macht, eine fürchterliche Bangigkeit hielten mich davon ab. Und doch machte mich dieses
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