Gespräch stockte. Wir gingen einen schmalen Bergsteig, im tiefsten Schatten dichtbelaubter Buchen, aus denen
einzelne Tannen und Fichten emporstiegen. Die Einsamkeit der Gegend erweckte noch düsterere Gefühle in meiner
Seele, und der Anblick meines Begleiters war nicht geeignet, mich umzustimmen. Ich hatte nun recht lange Zeit, ihn zu
beobachten. Das bleiche, verlebte Gesicht war reich an Ausdruck von Sanftmuth und Güte. Nur der Schmerz lag auf
diesen edlen Zügen; kein Hohn, keine Bitterkeit. Sollte er wahnsinnig sein? fragte ich mich, und als er nun mich
freundlich ansah, als unsere Augen sich begegneten, mußte ich mir sagen: nein!
Gleichsam um das Unrecht gut zu machen, welches ich stillschweigend gegen ihn begangen, reichte ich ihm die
Hand. Er hielt sie lange und fest. Endlich sprach er mit bebenden Lippen: Sollte mir der heutige trübe Tag in Ihnen
zugeführt haben, was ich vergebens suche, einen Freund?
Es hängt nur von Ihnen ab, mich dazu zu machen.
O das sagen Sie nicht; in diesen Worten liegt eine schwere Grausamkeit. Ja, Sie fühlen sich zu mir gezogen, das
fühle ich, indem ich Ihre Hand fasse, indem ich Ihrem Blicke vertraue. Aber es ist mein Schicksal, mein altes Schicksal,
meine Freunde noch schneller zu verlieren, als ich sie gewann. Auch Sie werden sich von mir wenden, wenn Sie mich
kennen, wenn Ihnen meine Erscheinung nicht mehr neu sein wird. Der zerstörte Unglückliche, der Sie jetzt noch
interessirt, wird Ihnen lästig werden, wenn er Ihnen erst Gelegenheit gab, zu bemerken, daß der Kern seines Lebens
von einem Wurme durchnagt ist. Ja, auch Sie werden sich von mir wenden, und wenn Sie das thun wollen, so thun Sie
es jetzt! Lassen Sie mich hier allein, im tiefsten Walde. Stoßen Sie mich zurück, ehe ich noch zu hoffen beginne, daß
ich Sie Freund nennen darf.
Und lastete ein Mord auf Ihrem Gewissen, Sie könnten nicht wüster, nicht verzweifelter sprechen. Ich würde
lügen, wenn ich Ihnen verschweigen wollte, daß dies Zusammentreffen, daß diese halben Bekenntnisse mir peinlich
sind. Auch gehöre ich nicht zu den Menschen, die als Vermittler, Tröster und Berather der Schwachen auftreten
wollen. Wer so wie ich mit sich selbst und seinem eignen Leben nur zu oft uneinig ist, nur zu oft den stützenden Stab,
den sichern Weg verloren hat, der würde einem mit sich Zerfallenen gegenüber ebenso oft in Verlegenheit gerathen.
Deshalb rufe ich den Genius der Freundschaft, die Sie von mir wünschen, ich rufe Ihr Vertrauen auf. Sagen Sie mir,
was Sie quält, und erwarten Sie von mir volle Aufrichtigkeit. Ich werde Ihnen den Eindruck nicht verheimlichen, den
Ihre Geständnisse auf mich machen. Dann wird es sich bald erklären, ob wir Freunde werden können.
Hugo's Antlitz verfinsterte sich; Auge und Mund zuckten unwillkürlich. Mit einem ganz veränderten Tone sagt er:
Sie halten mich für einen Verbrecher, der vor der Polizei flieht und Sie in Verlegenheit setzen könnte durch seinen
Umgang. Sorgen Sie nicht. Meine Papiere sind in der besten Ordnung, und die Gensd'armen sind mir nicht so peinlich,
als der Alte mit dem Barte. Er wendete sich ab und wollte gehen. Ich hielt ihn nicht zurück. Aber nachdem er einige
Schritte von mir war, kehrte er aus eigenem Antriebe um.
Halten Sie mich für einen Verbrecher?
Ich schwieg und schlug die Augen nieder.
Oder für einen Wahnsinnigen?
Ja, erwiederte ich, für einen zerstörten Menschen, auf dessen Seele ein finsteres Bewußtsein lastet, welches ihm
die Freiheit des Willens, die Klarheit des Denkens raubt, die wir als höchstes Gut des gebildeten Menschen
bezeichnen.
Ich gebe Ihnen Recht, sagte Hugo mit schwerem Athemzuge, dieses höchste Gut habe ich verloren. Aber das
Bewußtsein des Frevels gilt nur als Anklage gegen mich selbst. Ich bin Thäter und Erdulder in einer Person. Nur gegen
mich habe ich gesündigt, nur mir habe ich Böses zugefügt. Eine edle Natur, begabt mit allen Vorzügen des Körpers
und Geistes, trat ich in's Leben; früh entwickelten sich die schönsten Keime zu frischen Blüthen; – – ich habe sie
gebrochen, ehe sie mir oder der Welt Früchte tragen konnten, mit wildem Uebermuthe hab' ich an den kräftigen
Stamm Hand gelegt, habe ihn gerüttelt, daß er bis in's innerste Mark es büßte. Ich habe mein Dasein in Nichts
aufgelöst, habe in eitlem Leichtsinn das Schicksal eines liebenden Weibes an das meine gekettet. Weil ich sie liebte,
hab' ich sie unglücklich gemacht; weil sie ohne mich unglücklich wäre, ist sie durch mich elend geworden. Das ist mein
Leiden. Verpfuscht und verdorben ist mir die Zukunft. Regellos liegen meine Talente um mich her, wie ein verwilderter
Garten, den das Unkraut nun einmal erstickt hat. Zur Erhebung fehlt mir der Muth, zur Verzweiflung die Kraft. Natalie
zieht mich mit Liebesbanden in die Wirklichkeit zurück, der mich die wehmüthige Erinnerung an frühere Zeiten oft
entführen möchte. – – Der Tag verschleicht in nächtlichen Träumen, in halber Thätigkeit und fauler Sehnsucht. Die
Nacht bringt glühende Thränen, grauenhafte Ungeduld. Ja, ich bin auf dem Wege, wahnsinnig zu werden – und würde
es schon sein, wenn Natalie mich nicht umgäbe. So lange sie mich erheitert, ist mir wohler. Jetzt, wo sie kränkelt, weiß
ich mir keinen Rath.
Warum aber ziehen Sie sich so geflissentlich von der Welt zurück, von dem Umgange mit Menschen, der sie
zerstreuen würde?
Sie kennen nicht, war seine Antwort, das Schicksal eines Mannes, der eine schöne Frau hat. Ich bin wahrhaftig
nicht zur Eifersucht geneigt, und gegen Natalien wäre sie Frevel. Aber ich kann die Art der jungen Leute nicht ertragen,
die jeder Schönheit mit mehr oder minder versteckten Ansprüchen nahen. Kommt nun gar ein Paar, wie ich und
Natalie, in die schöne Welt, in die gute Gesellschaft, so heißt es: der Mann ist ein Träumer, ein Genie, er vernachläßigt
die arme kleine Frau, und jeder Laffe glaubt ein Recht auf sie zu haben. Es würde mit Mord und Todtschlag enden.
Und dann kommen die Zierlichen, die mit frühem Morgen nach dem Befinden der »Gnädigen« fragen, und wenn sie
des Mittags mit noch Gnädigeren promeniren, die Gnädige von diesem Morgen kaum noch zu kennen scheinen.
Natalie ist zu gut, ich bin zu heftig – –
Und so wäre Ihre Frau Schuld, daß Sie keinen Freund haben – – ?
Beinahe. Aber auch sie ist Schuld, daß sie keine Freundin hat, denn sie ist eifersüchtig.
Weiß sie vielleicht, daß sie Ursache dazu hat, und weiß sie es vielleicht ebenso gewiß, als Sie von ihr das
Gegentheil? fragte ich halb scherzend.
Hugo wurde feuerroth. Sie sollen sie kennen lernen, sagte er. Ich werde Sie bei uns einführen, sobald Natalie sich
wohler fühlt. Wenn Sie wollen, setzte er gleich darauf argwöhnisch hinzu; wenn Sie den Umgang eines Paares nicht
fürchten, dessen eine Hälfte körperlich – – die andere geistig krank ist.
Ich erwiederte: so passe ich vollkommen zu Ihnen, denn daß ich körperlich krank bin, dafür bürge Ihnen mein
Aufenthalt an diesem langweiligen Badeorte; daß ich es geistig bin, werden Sie zeitig genug erfahren. Vielleicht können
wir uns gegenseitig erheitern.
II.
Ich hütete mich wohl, in der Gesellschaft von dieser neuen Bekanntschaft Etwas laut werden zu lassen. Hugo
schien dies Benehmen zu billigen; denn wenn wir uns vor Zeugen sahen, war er so fremd und gleichgültig, wie früher.
Als ich ihn aber nach einigen Tagen an Natalien's Arm erscheinen sah, gab er mir einen Wink, der mir deutlich sagte,
daß er nun meinen Besuch wünsche. Ich machte mich von einer Lustpartie, welche die ganze Gesellschaft an diesem
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