Tage nach einem benachbarten Berge unternahm, durch nichtigen Vorwand los und ging, nicht ohne Besorgniß, dem
entlegenen Häuschen zu, an dessen Thür mich Hugo schon erwartete. Gottlob, daß Sie mich verstanden haben, rief er
mir entgegen, Sie sind mir heute doppelt willkommen; seit einer Stunde streift der Alte mit dem Barte hier auf und ab,
und einmal machte er schon eine entschiedene Bewegung, in die Thür zu treten.
Natalie empfing mich sehr freundlich. Ich muß Ihnen danken, sagte sie, daß Sie Hugo's Bitten Gehör gegeben, und
will nur um unser Aller Willen wünschen, daß Sie es nicht sehr bald bereuen mögen, in ein Haus getreten zu sein,
dessen Bewohner wunderliche Leute sind. Es giebt übrigens eine Art von stillem Wahnsinn, der sich noch am
leichtesten ertragen läßt. Von einer solchen ist der unsrige, und bis auf einen gewissen Punkt werden Sie mich, denk'
ich, ziemlich vernünftig finden.
Ich wußte nicht recht, was ich antworten sollte, stotterte endlich Etwas von längst gehegten Wünschen einer
solchen Bekanntschaft.
Hugo lachte höhnisch. Ja, sie wünschen es Alle hier, die charmanten Leute. Läßt man sich doch, wenn man einmal
in Pirna ist, gern auf den Sonnenstein locken. Nun, fürchten Sie Nichts, wir wollen uns heute recht gut aufführen. Dies,
liebe Natalie, ist der Mann, den ich eben im Walde kennen lernte, als Du neulich krank warst und der Alte mich
verfolgte. Ich bin diesem Herrn für seine Güte und Geduld viel Dank schuldig. Unterhalte ihn, so gut Du kannst, ich
muß mich zur Ruhe legen. Diese ganze Nacht (fuhr er zu mir gewendet fort) hab' ich kein Auge zugethan; die Hitze ist
drückend. In einer Stunde bin ich wieder hier! – Er ging. Ich war allein mit Natalien. Es herrschte ein langes
Stillschweigen. Nachdem sie mich einige Male fragend angesehen, nahm sie das Wort:
Was mögen Sie nur von uns denken, mein Herr? – Rechnen Sie es nicht einem Mangel an Zartgefühl, rechnen Sie
es vielmehr der Seltsamkeit unserer Lage zu, wenn ich unsere Bekanntschaft damit eröffne, Ihnen von mir und meinen
Verhältnissen zu sprechen. Ich weiß, es ist wider die Formen der großen Welt. Es ist in einem Bade am wenigsten
angebracht, wo man sich nur begegnet, um sich bald wieder, oft für immer, zu trennen. Da pflegen nur die
oberflächlichsten Erörterungen zu erfolgen, und man ist gegenseitig damit zufrieden. Bei mir trifft das nicht zu. Wer allen
Bekanntschaften aus dem Wege geht, sucht, wenn er einmal eine schließt, mehr als eine augenblickliche Unterhaltung.
Hugo hat Sie zum Opfer ausersehen; Sie sind so großmüthig gewesen, ihm nicht zu widerstreben – nun ist kein
Entrinnen mehr. Bedenken Sie, daß ich ein Weib bin, ein Weib, welches Mondenlang über ihr Schicksal geschwiegen;
denn mit Hugo'n darf ich nicht besprechen, was in mir vorgeht; und wenn ich es dürfte, wenn er es duldete, ich würde
es nicht, um ihn zu schonen. Er ist krank; ja, daß ich es Ihnen bekenne: er ist dem Wahnsinn nahe, und oft glaub' ich es
auch zu sein, wenn ich so mit ihm allein bin. Daher meine nur halb scherzhaft gemeinte Begrüßung von vorhin. Ich bin,
was Ihnen ein Blick auf meine Umgebung schon gesagt haben wird, Malerin. Als Lehrerin ihrer Töchter war ich mit
einer vornehmen Dame nach Paris gegangen. Dort lernte ich Hugo kennen und lieben. Wir konnten unsere
Bekanntschaft nur heimlich fortsetzen. Meine Gräfin übte eine Art von Mutterrecht über mich, die, eine Waise, ihren
Wohlthaten viel zu verdanken hatte. Diese war vom ersten Moment an gegen Hugo eingenommen. Unsere Verbindung
war eine heimliche, und unsere Abreise könnte Flucht genannt werden. Nur zu bald kehrte uns die Besinnung zurück,
als die Wirklichkeit und der mit ihr verbundene Mangel uns drückte. Hugo ist ein gebildeter, kenntnißreicher Mann,
Dilettant in allem Schönen, aber in Nichts vollendeter Künstler und, wie es sich später fand, jetzt ganz arm. Ich suchte
Pinsel und Palette hervor, um durch meine Kunst und die Eitelkeit der Menschen bestehen zu können. Bald störte mich
die Krankheit, die Hugo's unerklärliches Benehmen vermehrt. Von dem Tage unserer Verbindung an ist ein anderer
Geist über ihn gekommen. Er fühlt sich unglücklich – ich sehe ihn nur mit Grauen an. Von allen Menschen hat er sich
bisher zurückgezogen. Sie sind der Erste, den er mir zuführt. Ich beschwöre Sie, mein Herr, nehmen Sie sich unserer
an. Entreißen Sie durch das Uebergewicht, welches Sie gegen einen unglücklichen Freund haben, entreißen Sie ihm
sein Geheimniß; denn daß ein Geheimniß, daß eine verborgene Last ihn drückt, ist keinem Zweifel mehr unterworfen.
Vielleicht, daß seinem Herzen die Ruhe wiederkehrt, wenn er sich Luft gemacht hat. Besonders suchen Sie zu
erforschen, warum er den Alten, den unheimlichen Franzosen, fürchtet und flieht; warum dieser mir völlig unbekannte
Mensch ihn sichtbar verfolgt und beobachtet. O, ich bitte, ich beschwöre Sie, handeln Sie männlich und entschieden
und seien Sie meiner ewigen Dankbarkeit gewiß.
Die Besorgniß, in welche mich eine so stürmische Anrede, ein so unbedingtes Zutrauen versetzte, wurde durch den
Anblick der Sprechenden gemildert, deren bleiches Gesicht, jetzt feurig und roth, den schönsten Ausdruck gewonnen
hatte. Ich äußerte mein Befremden, daß hier noch Nichts von ihrer Portraitmalerei in's Publikum gekommen, da doch
eben hier für sie ein bedeutender Gewinn zu hoffen sei.
Wenn ich recht viel gewinnen wollte – unbesorgt um das, was dabei zu verlieren ist, wo häusliche Ruhe und Ehre
au dem Spiele stehen – so müßte ich nur meine Wenigkeit in Farben vervielfältigen, erwiederte sie verschämt. Die
Anträge der jungen Herren verfolgen mich von allen Seiten und peinigen mich nicht minder, als der Alte mit dem Barte
den armen Hugo. In den verschiedensten Gestalten und Formen gelangen sie an mich. Ich heuchle oft Schwäche und
Uebelbefinden, um nur nicht mit an den Brunnen gehen zu dürfen, und will lieber die segensreichen Heilkräfte dieser
Quelle entbehren, als sie zu einer Quelle der Eifersucht für Hugo machen. Auch darin können Sie uns ein gütiger
Freund sein, wenn Sie dazu beitragen wollen, die Ansichten zu berichtigen, die über uns umlaufen mögen, und die ich
am Ende Niemand übel nehmen kann, weil unsere Lebensart sie zum Theil erzeugt.
Eben deshalb, sagte ich, sollten Sie eine Zurückgezogenheit aufgeben, die Sie der Welt – verzeihen Sie den harten
Ausdruck – verdächtig machen muß. Erscheinen Sie mit ihrem Gemahl im Salon, machen Sie von der edlen und feinen
Sicherheit Ihrer Erscheinung den schönsten Gebrauch, indem Sie durch Ihre eigene gesellige Ruhe auch den unruhigen
Hugo erheben und ihm den Platz in unserem Kreise anweisen, auf den ein so gebildeter Mann vollen Anspruch machen
darf. Ich kann mich nach dem, was ich an ihm gesehen und von Ihnen gehört habe, ganz in seine Lage versetzen. Ein
verpfuschtes Leben, eine Reihe unerfüllt gebliebener Hoffnungen, eine Beschränktheit äußerer Mittel – das Alles
erzeugt der Welt gegenüber jene melancholische Schüchternheit, die, mit Argwohn und Mißtrauen gegen sich und alle
Menschen gepaart, zu einer Art von einsiedlerischem Wahnsinn führt. Aber das eben ist das hohe Vorrecht, ist die
heilige Pflicht einer Frau wie Sie, daß sie die Ueberlegenheit des Geschlechts zum Vortheil Ihres Mannes geltend
mache. Die Mythen, in welche Sie Ihre Abgeschiedenheit gleichsam gehüllt hat, werden in Nichts zerfließen bei dem
prosaischen Lichtschein unserer ärmlichen Abendbeleuchtung, und ein Gespräch Hugo's mit irgend einer armen Dame
von Adel, in welchem er ihr die Ahnen für Majoratsgüter anrechnet, stellt ihn in die Zahl der angenehmen jungen
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