Schweigen eben unglücklich. Ich fühlte die Pflicht, Dir zu vertrauen; ich fühlte das Bedürfniß, dennoch konnte ich nicht
– und das brachte mich dem Wahnsinne nahe. Seit einem Monat bin ich ruhiger, weil ich thätiger bin. Ich bereite mich
schon seit einigen Tagen auf die Erzählung vor, die ich Euch Beiden geben will. Heute, in diesem Moment zum ersten
Male, ist mir um's Herz, als dürft' ich es wagen. Ich fühle mich rührend bewegt. Ich fühle Trost in meiner Wehmuth,
und auf Eure Nachsicht darf ich rechnen. Du, liebes Weib, wirst mir verzeihen, wenn ich Manches berühre, was Du
schon weißt, weil Du es mit mir erlebt hast. Ich bin es dem Zusammenhange und unserm Freunde schuldig. Hört
geduldig zu. Mir wird besser sein, wenn Ihr Alles wißt, das fühle ich.
Hugo's Erzählung.
In Paris angekommen, fremd, ohne Freund, übermannt von dem großartigen Eindruck, trieb ich mich planlos in
jener Weltstadt herum, wie ein junger Mensch, der im wildesten Gewirr ungeregelter Vergnügungen die Befriedigung
seines geistigen Strebens sucht und von einer mäßigen Börse voll Goldstücke glaubt, sie sei Fortunatus'
unerschöpflicher Säckel, weil beinah' sein ganzes Vermögen darin enthalten ist. Das Herz hatte nicht den geringsten
Antheil an den flüchtigen Bekanntschaften, die da geknüpft wurden, um eben so schnell wieder vergessen zu werden;
der Geist ging nur halb und oberflächlich auf die bunten Zerstreuungen ein, die sich in den gefälligsten Formen
mannichfach darboten, und es war noch kein Monat verstrichen, als ich mitten im Gedränge einer
vergnügungssüchtigen großen Masse mich bang und einsam fühlte, sogar mit einer Art von deutschem Heimweh erfüllt
war. So ging ich denn mit zwiefach lebendigem Wohlgefallen einem jungen Manne entgegen, mit dem mich der Zufall
mehrmals zusammengeführt, und in dessen Pariser Existenz ich eine auffallende Aehnlichkeit mit meiner Lage bemerkt
hatte. Gleiches Alter, ähnliches Temperament, Ungebundenheit und das gemeinsame Vaterland machten bald Freunde
aus Bekannten; wir wurden unzertrennlich und bewohnten sogar Ein Zimmer. – Ich habe Dir schon früher einmal
gesagt, Natalie, daß mich eigentlich Nichts nach Paris gezogen hatte, als der Wunsch, die dortigen Theater, ihre Sitten,
Bräuche, Verhältnisse, ihre Dichter und Darsteller kennen zu lernen und dort an der Quelle zu sein, wo jene
allerliebsten leichten Dichtungen entspringen, die man so gern und so schlecht für Deutschland übersetzt, und die in
bessern Bearbeitungen meinem Vaterlande zuzusenden mir ein würdiges Ziel, ein reichlicher Erwerb schien. Nur zu
bald mußte ich mir selbst gestehen, daß dieser Traum ein thörichter sei; daß das Beste, was Scribe und seine minder
geistreichen Genossen der Pariser Welt dargeboten, eben in der Lokalfarbe ein Haupt-Verdienst besitzt, und daß es
eines deutschen, irgend selbstständigen Talentes unwürdig ist, den Vermittler zwischen Frankreich und Deutschland auf
diese Art zu machen. Je mehr man Paris kennen lernt, je tiefer man sich in das dasige Thun und Treiben einlebt, desto
klarer muß es jedem Verständigen werden, wie nur dort so geschrieben, nur dort so gespielt werden kann. Ich mag
mich hier nicht auf Entwickelung der Gründe einlassen; es ist mir nicht darnach um's Herz, zu dociren. Auch würde ich
diesen Punkt, der in meine Erzählung nicht zu gehören scheint, gar nicht berührt haben, wenn ich ihn nicht zur
Bezeichnung meines damaligen und jetzigen Zustandes für nöthig hielte. Mit einem Herzen voll Hoffnung hatte ich die
Barrièren von Paris betreten. Entmuthigt, in jeder Beziehung hoffnungslos fand mich schon der zweite Monat. Paris
hatte für mich eine Goldgrube werden sollen, – es ward mir eine Grube, in die ich mein Geld warf. Ich mußte meine
eitlen Pläne für unausführbar erklären und somit den Gedanken aufgeben, mir durch schnelle, leichte Arbeiten eine
glänzende Existenz zu gründen. Ich hatte also meine Lage, im Vergleich zur früheren in Deutschland verlebten Zeit, nur
verschlimmert. Dort hatte ich Kraft, Lust und Muth zu eigenen Produktionen gehabt; hier erstarben Muth, Lust und
Kraft, theils im zerstreuenden Geräusch, theils im Vergleiche zwischen dem französischen und deutschen Theater. Bei
uns: getrennte Städte, genirte Hoftheater, prätentiöse Darsteller, regellose Virtuosität, geschmacklose Anarchie,
verletzte Autorrechte, schlechte Honorare, theilnahmlose Zuschauer, leere Bänke; – hier: eine tonangebende
Hauptstadt, fünfzehn Bühnen, volle Häuser, lebendiges Publikum, fleißige Schauspieler, strenger Eifer, goldner Lohn! –
Ohne neidisch zu sein, fühlt' ich, daß wir armselig dagegen wären, und ich ließ entmuthigt die Flügel hängen. Jeden
Abend brachte ich in einem andern Theater zu, jeden Abend lernte ich neue Künstler kennen, jeden Abend kam ich
niedergeschlagener in meine kleine, theure Zelle – und mein Freund lachte den deutschen Schriftsteller aus. So
vorbereitet fand mich der Abend, dessen Wichtigkeit ich nun beschreiben will, in sentimentaler Stimmung. Louis und
ich hatten Plätze zur Porte St. Martin genommen, um den (nun jenseits wandelnden) Affen-Mazurier springen, leiden,
sterben zu sehen. Die Loge, in welche wir traten, war bereits durch zwei Damen besetzt, die, den Rücken kehrend,
uns die hintern Plätze überließen. Wir waren ungewöhnlich heiter; ich übermüthig, wie ich es immer in der dunklen,
düstern Vorahnung schwerer Geschicke zu sein pflege. Louis hatte auf dem Boulevard einen Polichinell gekauft, ein
Kinderspielwerk, durch dessen gelenke Vermittelung wir die Bekanntschaft der beiden Damen suchten, von denen die
eine jung, groß, schön gestaltet, aber nur mäßig hübsch, die andere älter, jedoch regelmäßig schön war. Der
Reihenfolge unserer Platze gemäß schien ich bestimmt, mit der Jüngern ein Gespräch zu beginnen. Auf viele Fragen
erhielten wir kurze und trockne Antworten, Scherze von unserer Seite wurden kaum belacht, und erst als Polichinell
durch eine zu kühne Lenkung meines Freundes sich der haltenden Hand entwunden und einen Sprung über die
Logenbrüstung in den vorderen Balkon gemacht hatte, schienen der Schreck und die Besorgniß über das unter uns
entstehende Gemurmel eine Annäherung von Seiten der Damen herbeizuführen, die freilich mit bittern Vorwürfen über
unsere Etourderie begann. Die Aeltere zog sogleich das Gitter vor, um uns den Blicken der unzufriedenen
Balkonbewohner zu entziehen, und wir saßen nun, mitten im vollen Hause, von aller Welt abgeschieden. Die
Darstellung ging zu Ende, die Damen brachen auf, und wir schieden – noch ziemlich fremd. Unser Anerbieten, die
Begleiter zu machen, wurde so entschieden zurückgewiesen, daß gerade keine deutschen Fremdlinge dazu gehörten,
die Zurückweisung für Ernst zu nehmen; unser anziehendes Paar verlor sich nach einem ziemlich kurzen und kalten
»Guten Abend« im Gedränge. Ich hatte Fassung genug, beim Gehen einen Blick nach der Nummer der Loge zu
werfen, der Schließerin für den mir bewahrten Hut ein großes Silberstück in die Hand zu drücken und ihr zu sagen,
daß wir wieder da zu sitzen wünschten, wenn wir dieselbe Gesellschaft öfter zu finden erwarten dürften.
Das wird die Welt nicht kosten, erwiederte sie schlau, indem sie mich fest in's Auge nahm, und ich war sicher, daß
sie mich nun unter Tausenden nicht mehr verkennen würde. Mein Gespräch mit dem Freunde dauerte bis tief in die
Nacht und wendete sich immer wieder auf unsere Unbekannten. Wir waren einig darüber, daß Beide weder
unzugänglich, noch vom besten Rufe sein konnten; aber es hatte in ihrem Benehmen doch eine gewisse Zurückhaltung
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