Männer, bei denen nur zu bedauern bleibt, daß sie nicht von Familie sind! Ich kann Ihre Aufforderung, zur geistigen
Genesung beizutragen, nur dann annehmen, wenn Sie mir das Wort geben, Ihrerseits nicht unthätig zu bleiben. Wir
wollen vereinigt wirken, und es sei unser erstes Geschäft, den Eigensinnigen noch heute unter Menschen zu bringen.
Natalie versprach mir, was ich bat, mit Mund und Hand.
III.
Die segensreichen Folgen dieses Versprechens für Hugo und seine Frau zeigten sich sehr bald. Schon nach Verlauf
einiger Tage hatte sich aus staunendem Anstarren der neuen Gäste ein ihnen freundliches Entgegenkommen gebildet,
und binnen einer Woche war Natalie von der Blüthe der Männerwelt umgeben. Hugo führte im schönen Damenkreise
das Wort. Ich, der ich diese für alle Theile angenehme Veränderung als mein Werk betrachten durfte, begnügte mich,
halb aus der Ferne den frohen Beobachter zu machen und dann in seiner Behausung mich an den guten Folgen zu
ergötzen, die sie bei Hugo hervorbrachte. Aus der Befriedigung, die seiner Eitelkeit zu Theil wurde, entsprang
Heiterkeit, welche den talentvollen Mann zunächst veranlaßte, sich zu beschäftigen, und die sich dann aus dieser
Beschäftigung wieder neu erzeugte. Natalie gewann Zeit, von der trüben Laune des Mannes ungestört, ihre Farben zu
mischen, und ein gelungenes Bildchen nach dem andern ging aus ihren zarten Händen. Wenn sonst junge Herren von
Künstlern als höchste Aufgabe verlangen, daß sie ihnen die Gesichter junger Damen auf Leinwand zaubern sollen, so
nahm hier Niemand Bedenken, sich selbst malen zu lassen, nur daß er stundenlang der Malerin gegenüber sitzen
konnte. Das Geheimniß, welches nach ihrer Meinung den Gemahl belasten, von dem seine Zerstörtheit ausgehen sollte,
war jetzt ganz vergessen, und Natalie Weib genug, zu übersehen, daß Hugo, nur äußerlich verändert, jede Minute
noch einem Rückfall ausgesetzt sei. Ich sah den Augenblick mit banger Ahnung voraus. Diese Ahnung wurde noch
vermehrt, als ich den oben erwähnten, räthselhaften Franzosen jetzt häufiger, doch vorsichtiger als sonst, auf den
Spuren meines Paares fand, welches glücklicherweise in dieser Stimmung ihn kaum der Aufmerksamkeit würdigte.
Und gerade mir kam er jetzt bedeutender vor. In seinem widrigen, aber beredten Gesichte lag der Ausdruck eines
Anspruchs auf Hugo, eines Vorwurfs gegen Natalie. Er schien mir nur auf eine Gelegenheit zu lauern, wo er beide
geltend machen könnte, und da ich nun einmal den lebhaftesten Antheil an Jenen nahm, da meine Anhänglichkeit
vielleicht sogar auf einer tiefer liegenden Neigung ruhte, so war es mir willkommen, daß ich einst auf schmalem
Fußpfade mit dem Alten zusammentraf. Ich redete ihn in der Sprache seines Landes an, so gut ich vermochte, und es
entspann sich ein Gespräch, dessen Haupt-Inhalt etwa folgender war:
Wir begegnen uns so oft, mein Herr, und haben uns noch nicht mit freundlichen Worten begrüßt. An einem
Gesundbrunnen pflegt solche Zurückhaltung sonst nicht statt zu finden.
Nein, mein Herr!
Es würde mich sehr glücklich machen, mit einem Manne, wie Sie, näher bekannt zu werden, insoweit Sie mir diese
Ehre gönnen wollen.
Ja, mein Herr!
Sie werden mich nicht verkennen und mir die freimüthige Aeußerung nicht übel deuten, wenn ich gestehe, daß Ihre
Erscheinung etwas Seltsames und Fremdartiges für mich hat.
Nein, mein Herr!
Aber sehr oft verbirgt sich hinter einer zurückschreckenden Person die liebenswürdigste gesellige Unbefangenheit,
und besonders bei Ihren Landsleuten soll dies öfter der Fall sein.
Ja, mein Herr!
So redete ich eine lange Weile fort, ohne ein anderes Wort, als Ja oder Nein aus ihm hervorzulocken, und schon
wollte ich ungeduldig und beleidigt abbrechen und ihm den Rücken kehren, als plötzlich ein Gedanke ihn zu beleben
und gesprächig machen zu wollen schien.
Sie kennen die junge Malerin?
Ja, mein Herr!
Sie würden mir eine kleine Gefälligkeit nicht versagen?
Nein, mein Herr!
So dürft' ich Sie bitten, mich dort einzuführen?
Ja, mein Herr! – Aber nur unter der Bedingung, daß Sie mir Grund und Ursache Ihres Wunsches anvertrauen.
Sehr gern, nahm er mit französischer Lebendigkeit das Wort, und es ist meine Schuldigkeit. Ich bin alt, wie Sie
sehen. Mit dem Leben hab' ich abgeschlossen, oder vielmehr das Leben mit mir. Ich habe keine Wünsche mehr, denn
ich wüßte manche nicht zu befriedigen – und die leicht erfüllbaren sind, auch gewährt, langweilig. Daß ich von Adel
war, hab' ich vergessen; daß meine Verwandten guillotinirt wurden, ist mir jetzt wie ein Traum; daß die alte Dynastie
hergestellt worden, ist mir um der guten Familie willen lieb, die ohne diese Her- und Anstellung manche Sorge um ihren
Unterhalt haben würde, während sie jetzt nur für ihre Unterhaltung besorgt sein darf, und wenn deshalb der König von
Frankreich selbst seine Messe lieset, so macht er eben von einem alten Rechte seiner Vorfahren Gebrauch. Daß die
Deputirten sich zanken, thut mir Leid um ihre Lungen; daß die Minister sich ärgern, mag ihrer Verdauung nützlich sein,
wenn sie nicht zu viele Galle absetzen; daß Benjamin Constant Zuckerwasser trinkt, interessirt mich weniger, als die
Pariser. Daß man die Emigrirten entschädigt, würde mich vielleicht zum Satyriker gemacht haben, wenn ich dadurch
nicht selbst zu einem kleinen Sümmchen gelangt wäre – und was übrigens in der Welt vorgeht, ist mir gleichgültig –
ganz gleichgültig, mein Herr! Ich habe es nur mit meiner Tochter zu thun. Nun sehen Sie, meine Tochter ist ein
schwächlich kränkliches Ding; wer weiß, wie lange sie's treibt? Auch die hiesige Quelle will ihr nicht mehr munden. Sie
hat Launen und Grillen wie eine kleine Prinzessin. Meine Phantasie ist sehr ausgetrocknet. Was werd' ich haben, wenn
die Tochter mir stirbt? Nicht einmal die Erinnerung, wie sie ausgesehen. Nun wünsch' ich, daß die junge Malerin, der
Sie und alle Herren hier am Orte den Hof machen, sich entschließen wolle, meine Tochter zu malen. Sie soll trefflich
treffen. So hätt' ich doch wenigstens ein Bild von dem Kinde, wenn es zum Aergsten käme. Seitdem ich hier bin, lauf
ich dem Gatten der Malerin nach; der Eigensinnige flieht vor mir, als ob er ein böses Gewissen hätte, und hält mir nicht
so lange Stand, daß ich mein Gesuch anbringen könnte. Ohne vorgestellt zu sein, darf ich der Dame doch nicht in's
Zimmer laufen! Und meine Bella ist ein schönes Mädchen, führt ein sanftes Gesicht, trägt zartere Mienen mit sich
herum, als all' die bärtigen Stutzer, die Madame tagtäglich abschreibt, schlechten Büchern gleich, und auf Leinwand so
sorglich überträgt, wie Ihre deutschen Bühnenschriftsteller, mein Herr, die Werke unserer Boulevard-Dichter auf Ihre
Theater. Sie sind, wenn mich eine alte Praxis nicht täuscht, der Begünstigtste unter vielen Gunstsuchenden. Deshalb
wende ich mich an Sie mit der Bitte: meinen Wunsch und mich bei der Malerin einzuführen. Bezahlen will ich sie, als ob
sie ein weiblicher Gérard wäre, aber zwei Bedingungen muß man mir im Voraus zugestehen. Erstens, daß sie sich nicht
weigert, mein Kind zu malen, wenn ich es ihr zuführe und der erste Eindruck vielleicht nicht günstig ist; daß sie ohne
Ausflucht sogleich die Arbeit beginne. Zweitens, daß bei den Sitzungen ihr Gemahl nicht gegenwärtig sei! Sie, mein
Herr, will ich um die schönen Stunden nicht bringen; vielleicht sind Sie mir dankbar, daß ich Ihnen zu einer vertrauten
Unterredung verhelfe: denn ich bin, wenn Sie deutsch mit ihr sprechen, so gut als nicht da, und mein Kind achtet auf
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