Brief 15 - An Atticus
W eil ich zu sehr beschäftigt bin, diktiere ich diesen Brief meinem Schreiber. Seit Deiner Abreise erhielt ich mehrere Briefe, aber sie enthielten nichts anderes als den Ort Deines Aufenthalts und gute Nachrichten über Dein Befinden. Mit Vergnügen las ich die beiden aus Buthrotum, in denen Du mir kurz nacheinander von angenehmer Seefahrt erzählst. Ich danke Dir für die Pünktlichkeit, mit der Du schriebst, obwohl der Brief kürzer war, als ich wünschte... Jetzt muß ich auf Deine Fragen antworten. Ich werde versuchen, Varro in einem meiner Dialoge auftreten zu lassen, aber nach der Art, wie ich sie geplant habe, ist die Sache nicht leicht zu machen. Z. B. in dem über die Redekunst, der Dir so gut gefallen hat, dürfen nur Leute erwähnt werden, die den redenden Personen bekannt sein können oder von denen
sie wenigstens haben sprechen hören. Dieselbe Schwierigkeit liegt bei den Dialogen über den Staat vor, wo ich Scipio, Philus, Laelius und Manilius auftreten lasse. Unter den jungen Leuten jener Zeit wählte ich noch Q. Tubero, R. Rutilius, mit Fannius und Scaevols, den Schwiegersöhnen des Laelius. Aber da ich gewohnt bin, solchen Büchern eine Vorrede mitzugeben, wie es Aristoteles bei jenen tat, die er esoterisch nennt, so habe ich Lust, eine an Varro zu richten, worin ich ihn nach Verdienst loben könnte, ohne meine bisherige Schreibart zu ändern. Ich werde mich daran halten, da Du es gebilligt hast, vorausgesetzt, daß ich mein Ziel damit erreichen kann. Du weißt, es ist eine langatmige Sache, die viel Muße bedarf und ich habe deren so wenig.
Du möchtest, daß in meinem Dialog über die Redekunst, mit dem Du sonst sehr zufrieden bist, Scaevola bis zum Schlusse bleibt. Aber ich habe Gründe, ihn nur im ersten Buch auftreten zu lassen. Ich habe unseren Gott Plato nachgeahmt in seinen Dialogen “über den Staat”. Sokrates kommt, um Pyraeos Kephalos zu finden, den reichen, liebenswürdigen Greis, der seine Ansicht über die im ersten Buch aufgeworfenen Fragen kundgibt. Aber nachdem er eine Zeitlang vernüftig über die Dinge gesprochen hat, die er versteht, verläßt der Greis die Gesellschaft, um ein Opfer zu bringen. Er kommt nicht mehr zurück. Wahrscheinlich hat Plato geglaubt, daß es nicht angängig sei, einen so alten Herren bei einem so langen Gespräch immer anwesend zu lassen. Dieser Grund trifft noch mehr bei Scaevola zu, dem weder Alter, noch Gesundheit, noch Stellung gestatten würden, mehrere Tage hintereinander bei Crassus in Tusculum zu verweilen. Übrigens behandelt gerade mein erstes Buch eine Frage, die den Kenntnissen, in denen sich Scaevola auszeichnete, besonders entspricht, während die beiden folgenden ein Dorngestrüpp von Regeln und Vorschriften
enthalten, die nichts mit dem angenehmen und weltklugen Wesen gemein haben, das auch Du an Scaevola kanntest. ... Messala, unser gemeinsamer Freund, und Domitius, sein Mitbewerber, haben dem Volke eine Freigebigkeit erwiesen, die ihnen alle Stimmen gewann. Sie werden sicher gewählt. Aber man hat im Senat beschlossen, daß man vor der Versammlung eine heimliche Untersuchung über alle Kandidaten anstellen werde. Man hat ihnen Beobachter zugesellt, worüber sie in große Aufregung geraten sind. Doch einige unter den Richtern - unter anderen Opimius Antius, aus den vejentischen Stamm - ließen die Tribunen sich einmischen, die zunächst dafür sorgten, daß man die Sache nicht ohne Zustimmung des Volkes behandle. So wird der Entwurf nicht durchgehen. Man gab nur einen Erlaß, der die Wahlen hinausschob bis nach Veröffentlichung des entsprechenden Gesetzes: aber als man es vorschlug, lehnte sich Terentius dagegen auf. Die Konsuln, die es sehr lässig behandelten, beriefen den Senat, um darüber zu beraten.
Stelle Dir diese Abderitenversammlung vor. Ich konnte nicht schweigen. “Was?” wirst Du fragen, “Du hast Dir doch Zurückhaltung auferlegt?” Es ging nicht mehr. In der Tat, wer würde die Geduld nicht verlieren? Der Senat hatte beschlossen, daß die Wahl nicht vor Gültigkeit des neuen Gesetzes stattfinden solle. Wenn jemand dagegen wäre, würde man es ein zweitesmal zur Beratung stellen. Die Konsuln zeigten Gleichgültigkeit, sie sind entzückt, wenn das Gesetz nicht durchgeht und meinen, man solle unverzüglich die Wahl abhalten, nachdem der Senat befragt worden sei. Unterdessen hat Scaevola bis zum Heutigen, dem 30. September, an dem ich diesen Brief schreibe, an jedem Sitzungstag die Auspizien beobachtet und Scaurus, für den ich mit solchem Erfolg gesprochen habe, daß er vor einigen Tagen freigesprochen wurde, benutzte den Aufschub, um in seinem Haus an die Stimmträger aller Stadtteile größere Summen als seine Nebenbuhler zu verteilen. Aber seine Freigebigkeit kam zu spät und verschaffte ihm wenig Parteigänger. Ich möchte gern Dein Gesicht bei dieser
Nachricht sehen. Denn Du glaubst, daß diese Unordnungen und Machenschaften noch lange dauern.
Heute, am 1. Oktober, soll sich der Senat versammeln. Jetzt dämmert der Morgen. Niemand wird mit Freiheit reden außer Antius und Favonius. Cato ist krank, ich werde mich zu bescheiden wissen. Indessen ich verschwöre nichts. .....
Du fragst wohl, wie ich alles aufnehme? Ich, sehr ruhig und ich bin froh darüber. Wir haben nicht allein Saft und Kraft der alten Republik verloren, auch Form und Ansehen sind dahin. Nichts hält uns mehr und nichts interessiert uns. “Und Du bist nicht untröstlich?” möchtest Du fragen. Im Gegenteil. Ich erinnere mich der blühenden Zeit, in der ich teil an der Regierung hatte. Die Art, wie mir meine Dienste gelohnt wurden, enthebt mich des Jammerns. Diejenigen, die mich um mein bißchen Macht beneideten, verzweifeln nun, weil sie die ganze Gewalt in der Hand eines einzigen sehen. Das ist kein geringer Trost für mich.
Übrigens benehme ich mich mit Würde. In meinen Büchern finde ich Unterhaltung, wie sie meiner Neigung entspricht. Meine Tätigkeit als Anwalt ist unangenehm, aber glänzend. Ich freue mich meines schönen Hauses in Rom und meiner angenehmen Landsitze. Ich denke nicht, wie tief ich gestürzt bin, sondern wie hoch ich mich wieder erhoben habe. Vorausgesetzt, daß ich den Rest meines Lebens mit Dir und meinem Bruder verbringe, kann man meinetwegen alles umstürzen. Man wird uns wenigstens nicht verhindern, zusammen zu philosophieren. Ich habe jene Empfindlichkeit verloren, die meine Ruhe trübte. Dieser Teil meines Wesens ist abgehärtet. Annehmlichkeiten such ich nur mehr in meiner Familie und unter Freunden. Endlich genieße ich jene bewundernswerte Heiterkeit, die nur Deine Rückkehr zu steigern vermag, denn mit niemand auf der Welt stehe ich besser als mit Dir, dessen Charakter wie keiner zu dem meinen stimmt. ....
Was hätte ich Dir noch zu erzählen. Ja, hier ist eine Geschichte, die Dich unterhalten wird. Eine Stunde, nachdem Gabinius freigesprochen war, verurteilten andere Richter, wütend über solche Schmach, einen seiner Freigelassenen und Untergebenen, den Schüler des Malers Sopolides mit Namen Antiochus Gatinius, zu den Strafen der lex Papia. Der Mann rief nach dem Urteil: “Ich habe immer gehört, daß Mars und Venus im selben Netz gefangen wurden.” ...
Ämilius Paulus hat bereits den Tempel beinahe wieder aufgerichtet, der mitten auf dem Platze stand. Er hat die alten Säulen verwendet, aber ein Gebäude von überraschender Schönheit geschaffen. Diese Ausgabe bringt ihm viel Ehre ein und gefällt dem Volke sehr gut. Nach diesem Beispiel haben die Freunde Cäsars (Solltest Du vor Verdruß darüber sterben wollen, mußt Du wenigstens wissen, daß ich von Oppius und von mir rede.), die Freunde Cäsars haben also beschlossen, um seinen Plan auszuführen, der auch Dir gut gefiel, den Platz zu erweitern, den Cäsar machen ließ bis zum Tore der Freiheit. Wir haben schon 60 Millionen Sesterzen zusammenbekommen, um alle Häuser auf diesem Raum zu kaufen. So hat man sich mit den Besitzern geeinigt. Es wird nichts Prachtvolleres geben. Wir machen auch auf dem Campus Martius Höfe und Säulengänge aus Marmor, die von einem großen Porticus von tausend Schritten umgeben sein werden, wo sich das Volk gedeckt versammeln kann. Dies Gebäude wird mit einer öffentlichen Meierei verbunden.
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