Merz schüttete das Geld einfach auf den Tisch. Einhundert Stück Tausendmarkscheine.
Er bekam ein winziges Messer gereicht. Wie er das schon im Film gesehen hatte, stach er ein kleines Loch in eine der Tüten und probierte den Inhalt vom Zeigefinger. Natürlich hatte Merz keine Ahnung, wie Kokain schmeckt. Aber dass es sich nicht um Zucker handelte, konnte er immerhin feststellen.
Der Gutangezogene sah ihn fragend an. „Beste Ware, nicht wahr?“
Merz nickte zustimmend, obwohl er keinen Schimmer hatte, was er da kaufte. Er bekam einen Klebestreifen gereicht. Einem Moment zögerte er, bis er begriff, dass er damit das Loch in der Tüte wieder zuzukleben sollte.
„Machen Sie das sonst nicht selbst?“, fragte sein Gegenüber.
„Doch, doch“, beeilte sich Merz, zu sagen. „Ich will nur nichts falsch machen, weil ich keine Handschuhe trage“.
„Kein Problem“, antwortete der Herr, der inzwischen das Geld durchblätterte. „Wenn Sie neue Ware brauchen, Sie wissen, wo Sie mich finden können. Bis zehn Kilo kann ich liefern. Nehmen Sie den Koffer ruhig mit, ich zeige Ihnen den Ausgang.“
Er brachte Merz zu einer Türe, die direkt nach draußen in einen Hof führte. Wieder deutete der Herr zum Abschied nur eine Verbeugung an. Merz passte sich an, und nickte auch nur mit dem Kopf.
Jetzt stand er draußen, mit dem Koffer in der Hand, und plötzlich wurde ihm etwas mulmig. Bloß schnell weg, dachte er. Aber alles blieb ruhig. Ohne Schwierigkeiten erreichte er eine Telefonzelle, bestellte ein Taxi, das ihn ganz normal ins Hotel brachte.
Zur Sicherheit ließ er den Fahrer etwas früher halten und ging ein paar Meter zu Fuß. Erst nachdem er sicher war, dass ihn niemand verfolgte, betrat er das Hotel und schlich auf sein Zimmer. Als Erstes musste er tief durchatmen, aber er war sehr stolz auf sich.
Er hatte das viel besser bewältigt, als befürchtet.
„Ich mache Fortschritte. Schon bald kann ich etwas tatsächlich Gefährliches machen“, sagte er mehr im Spaß zu sich selbst. Er genehmigte sich noch einen Schnaps aus der Zimmerbar, was sonst nicht seiner Art entsprach. Aber diesen hatte er sich redlich verdient.
***
Bereits am nächsten Abend fuhr er mit seinem eigenen Wagen in die Nähe des Lagers, in das er einbrechen wollte.
Er hatte die Tüten sorgfältig gereinigt und nicht mehr ohne Handschuhe angefasst.
Der Koffer blieb vorerst auf seinem Zimmer, er wollte ihn später loswerden.
Das Kokain trug er in einem unauffälligen Beutel mit sich. Sein Werkzeug hatte er in der Jacke verstaut, als er sich langsam dem Gebäude näherte.
Zuerst duckte er sich hinter einen Mauervorsprung und beobachtete eine Weile die Umgebung. Nichts rührte sich. Offenbar wohnte in dieser Gegend niemand, nur gelegentlich fuhr ein Wagen vorbei.
Merz schlich sich zum Tor. Kurzentschlossen kletterte er darüber. Auf der anderen Seite versteckte er sich sofort wieder. Nichts rührte sich.
Anders als bei seinem ersten Besuch, stand ein parkierter Sattelschlepper im Hof. Merz schlich sich hin. Vorsichtig öffnete er die Plane ein Stück weit, um hinein zu sehen. Hunderte kleiner Kartons auf Paletten gestapelt. Offenbar Textilien aus Argentinien.
Wunderbar, dachte Merz. So kann ich mir den Einbruch sparen. Er öffnete einen der Kartons, ließ die Tüten hinein gleiten und verklebte ihn mit dem mitgebrachten Band aufs Neue. Wieder lauschte er eine Weile, bevor er das Fahrzeug verließ. Immer noch alles ruhig. Merz machte sich leise davon. Er hatte sich das Kennzeichen des Lasters notiert. Falls er nicht hier entladen wurde, konnte ihn die Polizei damit trotzdem finden.
Unangefochten erreichte er seinen Wagen und fuhr ins Hotel. Die Falle ist eingerichtet, freute er sich. Morgen früh schnappt sie zu.
***
Er ließ sich um sieben in der Frühe wecken. Zu Fuß schlenderte er zur nächsten Telefonzelle. Über die Zentrale der Polizei ließ er sich mit dem Drogendezernat verbinden.
Er hatte, wie im Film schon gesehen, ein Taschentuch über den Hörer gelegt. Etwas verschlafen meldete sich ein Mann: „Drogendezernat Frankfurt. Polizeimeister Weber. Guten Morgen…“
Merz unterbrach ihn. „Hören Sie gut zu. Ich werde nichts wiederholen. Im Lager der Dornbach Import-Export an der Industriestraße vierundvierzig ist gestern eine Lieferung Kokain angekommen. Die Ware befindet sich in einem Textilkarton. Der Karton liegt auf einem Sattelschlepper mit dem Kennzeichen F, HB, drei, neun, vier. Möglicherweise ist er auch schon entladen. Dann müssten Sie im Lager suchen. Es sind kleine Kartons, voll mit Textilien. Haben Sie das?“
„Ja, aber…“
Merz hängte ein. Zufrieden fuhr er ins Hotel zum Frühstück. Selten hatte es ihm so geschmeckt.
***
Kommissar Hinrichs vom Drogendezernat Frankfurt hatte den anonymen Hinweis vor zehn Minuten erhalten. Er hielt eine schnelle Einsatzbesprechung ab. „Meine Herren, wir müssen eine Überprüfung der Firma Dornbach Import-Export vornehmen. Es gibt einen klaren Hinweis auf Einfuhr von Kokain. Wir untersuchen zuerst das Lager der Firma an der Industriestraße vierundvierzig. Zwei Mann beziehen gleichzeitig Stellung am Hauptsitz der Firma am Rottweiler Platz.
Sie unternehmen nichts, bis sie Instruktionen erhalten. Wer übernimmt das?“ Er warf einen Blick in die Runde.
Zwei Beamte standen auf. „Gut, fahren Sie schon vor! Rudolf, Sie holen unseren Fido ab! Wir treffen uns am Einsatzort. Die anderen halten sich bitte zur Verfügung, bis ich mich melde. Danke meine Herren.“ Er winkte seinem Assistenten. „Los, fahren wir.“
Auf der Fahrt unterhielt sich Kommissar Hinrichs mit seinem Assistenten. „Von dieser Firma habe ich noch nie etwas gehört im Zusammenhang mit Drogen. Aber Import-Export ist natürlich immer ein bisschen verdächtig. Wollen wir hoffen, dass es kein Scherz ist.“
Sie waren mit einem Zivilfahrzeug unterwegs, ohne Sirene. Deshalb konnten sie unauffällig vor dem Lagergebäude anhalten und auf Fido, den vierbeinigen Drogenschnüffler warten.
Im Hof waren offenbar einige Leute damit beschäftigt, einen LKW zu entladen. Kommissar Hinrichs überprüfte das Kennzeichen. „Stimmt, F, HB, drei, neun, vier. Sieht gut aus.“
Neben ihnen stoppte ein Lieferwagen. Polizeimeister Rudolf stieg aus und befreite Fido aus seinem Käfig. Der Hund war gut trainiert und wusste ohne Kommando, was er zu tun hatte.
Alle drei Beamten schritten hinter dem schnüffelnden Tier in den Hof. Jemand rief freundlich, „guten Morgen!“
Hinrichs grüßte zurück und zückte seinen Ausweis. „Kripo Frankfurt. Kommissar Hinrichs. Wir machen eine Kontrolle.“
Der Hund zeigte sich bereits unruhig. Er zog kräftig an seiner Leine. Als Rudolf ihm nachgab, sprang Fido zielstrebig auf die Rampe. Aufgeregt schnüffelte er an einer Palette. Schließlich begann er laut anzuschlagen.
„Treffer“, murmelte der Kommissar.
„Was bedeutet denn das?“, fragte einer der Arbeiter aus dem Lager.
„Wer sind Sie?“, fragte der Kommissar zurück.
„Ich bin der Verwalter. Ich trage hier die Verantwortung. Uwe Müller ist mein Name.“
„Sie sind vorläufig festgenommen“, knurrte der Kommissar.
„Wie bitte, aber warum?“, stammelte der Verwalter.
„Wie viele Leute sind hier anwesend?“, fragte der Kommissar weiter.
„Nur wir zwei“, lautete die Antwort. Der Kommissar wandte sich an den anderen. „Auch Sie sind vorläufig festgenommen.“
„Was ist denn eigentlich los?“, Herr Kommissar.
„Das wissen sie doch ganz genau. Tun sie nicht so!“
Inzwischen hatte Rudolf den Karton, an dem Fido wie verrückt gekratzt hatte, geöffnet, und zwei Tüten mit weißem Pulver herausgenommen.
„Was ist denn das?“, fragte der Verwalter entgeistert.
„Sicher Waschpulver“, knurrte der Kommissar. „Der Hund ist absolut zuverlässig. Es sind Drogen.“
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