1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 „Aber Paris! Ich meine, man liest immer, es sei die Stadt der Liebe und Romantik.“
„Geben Sie nicht zu viel darauf, Ira.“
Sie zog einen Schmollmund. „Nehmen Sie mir nicht meine Träume, Ray. Sind Sie kein Romantiker?“
Sein Blick hielt sie gefangen und er bemerkte, wie sich ihr Körper anspannte. Ihre Lippen waren halb geöffnet und schimmerten feucht. Wieder fiel ihm ihr Duft auf, stärker dieses Mal. Iras Finger strichen unruhig über ihren blauen Rock.
„Vielleicht“, sagte er nach langem Schweigen und wandte den Blick ab.
Sie seufzte schwach.
Ray erhob sich. „Ich werde zu Bett gehen.“
Sie sah ihn an, halb ängstlich, halb erwartungsvoll.
„Gute Nacht, Ira.“
„Gute Nacht, Ray.“
Langsam ging er hinaus in den Flur, fühlte, wie ihre Augen seinen Bewegungen folgten, und schloss die Tür hinter sich. Halbdunkel umfing ihn, berührte seine Erinnerungen. Er dachte an Jasper, an ihre Zeit in Frankreich, an das Mädchen, das sie geliebt hatten, und daran, wie sein Freund schließlich nach Amerika zurückgegangen war.
Er strich sich über die Augen, tat einen Schritt in Richtung der Treppe und zögerte. Leise ging er zum Arbeitszimmer hinüber und öffnete die Tür. Fahles Licht fiel durch das breite Fenster und ließ die Einrichtung wie schwache Echos erscheinen. Ray trat zum Schreibtisch, zog die unterste Schublade auf und entnahm ihr eine halb gefüllte Flasche. Dann ging er hinaus, vorbei an der Reihe kaum erkennbarer Photographien, ohne sie anzusehen. Er stieg die Treppe hinauf in sein Zimmer, öffnete das Fenster, zog sich Hemd und Schuhe aus und legte sich auf das Bett.
Die Nacht hatte wenig Abkühlung gebracht. Warme, trockene Luft drängte herein.
Die Flasche balancierte er auf seinem Bauch, sah der Flüssigkeit zu, die sich bei jedem seiner Atemzüge bewegte. Er hörte, wie Ira die Treppe heraufkam, lauschte auf ihr Hantieren im Bad. Er glaubte ein Geräusch vor seinem Zimmer zu hören, war sich aber nicht sicher und wartete, bis der Lichtschimmer unter der Tür verging. Schließlich öffnete er die Flasche und nahm einen tiefen Schluck daraus. Er trank und dachte an Frankreich.
„Mr. Corbin, sind Sie da drin?“ Cora Reed trommelte heftig mit den Fäusten gegen die Tür.
„Was gibt es?“ Er wusch sorgfältig das Rasiermesser im lauwarmen Wasser der Waschschüssel ab.
„Ich muss mit Ihnen sprechen!“ Ihre Stimme klang wütend. Wieder klopfte sie gegen das Holz.
„Hat das nicht einen Augenblick Zeit, Ms. Reed?“
„Nein, hat es nicht!“ Die Antwort kam so heftig, als hätte sie vor Wut mit dem Fuß aufgestampft.
„Von mir aus. Moment …“ Er besah sich sein frisch rasiertes Gesicht im Spiegel, dann nahm er ein Handtuch und wischte den restlichen Seifenschaum fort, während er zur Tür ging. „Was gibt es, Ms. Reed?“
Sie stand vor ihm, das rotblonde Haar zerzaust, die Wangen gerötet und ein seltsames Glitzern in den Augen. Sie setzte zum Sprechen an, dann wurde sie sich bewusst, dass er nur in Hose und Unterhemd vor ihr stand. Ihr Blick wandte sich ab, aber Ray konnte beinahe fühlen, wie er über seine muskulösen Arme strich. Einmal tief Atem holend, meinte sie: „Sie haben es Ira gesagt!“ Ein Anflug von kindlichem Trotz in der Stimme.
Er legte sich das Handtuch um den Hals und sah sie prüfend an: „Was habe ich gesagt?“
„Dass wir einen Ausflug machen wollten. Und jetzt fahren sie und Tony mit!“
„Warum sollte ich es ihr nicht sagen?“
Sie biss sich auf die Unterlippe und antwortete leise: „Es war doch unser Geheimnis.“ Eine leichte Röte stieg ihr in die Wangen, dieses Mal jedoch nicht vor Wut.
„Ich wusste nicht, dass es ein Geheimnis war.“
„Konnten Sie sich das nicht denken?“
Er sah sie an und unter seinem Blick errötete sie noch weiter. „Ich habe nicht gesehen, dass wir ein Geheimnis daraus machen sollten.“
„Es ging doch nicht um das Geheimnis. Ich wollte diesen Ausflug nur mit Ihnen machen.“
„Mit mir allein?“
Sie nickte schüchtern.
Die Haustür wurde geöffnet und Iras Stimme drang nach oben: „Ray, wie weit sind Sie?“
Er sah Cora an, die seinem Blick standhielt. „Bin gleich so weit.“
„Gut; Frühstück lassen wir zugunsten von ein paar Sandwiches ausfallen. Haben Sie Cora gesehen?“
Das Mädchen schaute ihn durchdringend an.
„Sie wird in ihrem Zimmer sein. Ich werde ihr Bescheid sagen“, rief er nach unten.
Ira gab zurück: „Wir warten im Wagen. Lassen Sie sich nicht zu viel Zeit.“
Die Wut war in Coras Augen zurückgekehrt. „Sie reißt einfach alles an sich“, zischte sie.
Ray lächelte sie an: „Ich wusste nicht, dass es Ihnen etwas ausmacht. Wenn Sie wollen, dann fahren wir an einem anderen Tag gemeinsam raus.“
Ihre Mundwinkel glitten nach unten. „Ein anderer Tag, na klar.“
„Versprochen.“
Sie sah ihn an, die Augen auf sein Gesicht gerichtet. „Also gut.“
„Fein. Jetzt muss ich mich fertig machen. Die anderen warten schon.“
Cora atmete tief ein. Ihr Blick streifte noch einmal über seinen Oberkörper. „Versprochen“, sagte sie mehr zu sich selbst.
Er schloss die Tür wieder, blieb einen Augenblick nachdenklich stehen und ging dann langsam daran, sich fertig anzukleiden.
Als er das Haus verließ, stand die Sonne bereits über den Hügeln, die im morgendlichen Licht rotbraun leuchteten. Tony saß hinter dem Steuer des auf Hochglanz polierten Packards, das Grinsen unverrückbar unter der dünnen Linie seines Schnurrbarts eingemeißelt. Seine weiße Kleidung sah mehr danach aus, als wollte er zu einer Partie Golf antreten.
Ira lehnte am Wagen, den Arm auf die offene Tür gelegt. Sie trug ein weißes Kleid mit schwarzen Punkten, kurze weiße Handschuhe und einen breiten Hut in der gleichen Farbe, den sie schräg aufgesetzt hatte. „Guten Morgen, Ray. Sind Sie so weit?“, begrüßte sie ihn.
Er nickte.
Tony beugte sich zu ihnen herüber: „Hallo, Ray. Steigen Sie vorne ein.“ Er klopfte mit der flachen Hand auf den Beifahrersitz.
„In Ordnung.“
„Wo bleibt nur Cora?“, fragte Ira und sah genervt zum Haus hinüber.
Ray nahm Platz. „Sie wird gleich kommen.“
Er beobachtete, wie sie in ihrem gepunkteten Kleid auf und ab schritt.
„Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen, Ray. Sind fit für unsere kleine Spritztour?“ Tony grinste ihn an.
„Klar, alles bestens. Wie lief das Geschäftstreffen?“
Die Hände des Fahrers tätschelten das Lenkrad. „Ganz hervorragend. Sieht mir nach einem guten Abschluss aus.“
„Das freut mich für Sie.“
Cora erschien in der Haustür. Ihr gelbes Kleid leuchtete in der Morgensonne. An ihrem Arm baumelte ein zerbrechlich wirkender Sonnenschirm.
„Da bist du ja. Wir wollen endlich los“, sagte Ira und stieg hinter Ray ein.
Das rotblonde Mädchen warf ihrer Stiefmutter einen giftigen Blick zu. Als sie merkte, dass Ray sie ansah, lächelte sie grimmig, ging entschlossen um den Wagen herum und stieg ein.
„Na, dann los. Alles festhalten, die Reise beginnt.“ Tony lenkte den Wagen die staubige Einfahrt entlang auf die Hauptstraße. Das graue Band zog sich endlos durch die Landschaft dahin. Abgesehen von den Red Hills, die wie erkrankte Berge im Norden lagen, war das Land beinahe eben. Einzig die monotone Reihe der Strommasten entlang der Straße und die verschwommenen Umrisse alter Bohrtürme in der Ferne, kündeten von menschlichen Niederlassungen.
„Da vorne liegt Ashland, Sie werden es allerdings ziemlich langweilig finden, Ray“, erklärte Tony. Die flachen Häuser der Kleinstadt tauchten vor ihnen auf. „Wenn Sie ein bisschen was erleben wollen, müssen Sie rauf nach Dodge City.“ Sie erreichten den Ortseingang. Eine breite Straße mit Parkplätzen links und rechts durchteilte Ashland. Die höchsten Gebäude waren eine weiß gestrichene Kirche und ein vierstöckiges Bürohaus. „Da finden Sie die Lokalredaktion der Zeitung drin. Hat früher einer Ölgesellschaft gehört. Wenn ich mich nicht irre, gibt es im Haus auch einen Anwalt und einen Arzt.“ Es gab eine Bar, die in tiefem Schlaf lag, ein Diner, vor dem etliche Fahrzeuge parkten, sowie einen Eisenwaren- und einen Lebensmittelladen. „Neben der Kirche ist die Stadtverwaltung. Nicht sehr groß, was?“ Tony zeigte auf ein kleines Backsteingebäude im Schatten des Gotteshauses.
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