Da stand ich also am 1.September, ohne Konzept, ohne Unterlagen, ohne Einschulung, nur mit einer Anwesenheitsliste bewaffnet, mit der vagen Job Description „Mach mit ihnen Berufsorientierung, Lebenslauf und Bewerbungen schreiben!“ vor meiner ersten Gruppe von vierzehn Arbeitslosen und tauchte ein in eine mir bis dahin unbekannte Welt – die Welt der AMS-Kurse, in der ich sechs prägende und äußerst lehrreiche Jahre verbringen sollte, bis ich wieder den Weg hinaus fand…
4 Wie kommen die Bildungsinstitute zu Aufträgen vom AMS?
Clemens Neuhold (Journalist von der "Wiener Zeitung") hat mich gefragt: Welche Alternativen gibt es zu Kursen? Wie sehr schiebt sich Netzwerk von Anbietern Kurse/Steuergeld gegenseitig zu?
Derzeit ist das System AMS zumindest bezüglich der immer wieder heftig kritisierten 6-Wochen-Aktivierungs-Maßnahmen im Umbau begriffen. Auch das Ausschreibungssystem für neue Kursmaßnahmen steht derzeit still (siehe ams.at). Das soll aber nicht heißen, dass es nun keine verpflichtenden Kurse mehr gäbe. Speziell „Arbeitssuchende mit Motivationsproblemen" sollen „natürlich“ weiterhin mit „Elementen der Aktivierungskurse“ beglückt werden (siehe: http://www.ams.at/ueber-ams/medien/ams-oesterreich-news/ende-ams-aktivierungskurse-bleibt-auf-hauptstadt-beschraenkt)
Bis jetzt verlief die Vergabe von Maßnahmen (und damit natürlich nicht unerklecklichen Steuergeldern!) so:
Das AMS schreibt Wettbewerbe für Kursmaßnahmen aus, z.B. eine Maßnahme für Wiedereinsteigerinnen. Dabei unterliegt das AMS bei der Übertragung von Bildungsmaßnahmen den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes. Öffentlich einsehbar sind diese Ausschreibungen auf ams.at
Nun schreiben die KonzeptschreiberInnen der diversen Bildungsinstitute, von denen es größere und kleinere Fische gibt, Maßnahmenkonzepte. In diesen Konzepten beschreiben sie detailliert, mit welchen pädagogischen Methoden, in welchem Stundenausmaß, mit welchem hervorragend pädagogisch geschultem Trainer-Personal und natürlich mit welch niedrigen Kosten sie in ihrem Institut diese Maßnahme durchführen werden. Speziell die Lohnkosten für ihre Trainer halten sie natürlich sehr niedrig, um so im Wettbewerb zu punkten.
Ein Zuschlag für ein Institut bedeutet je nach Maßnahmenpaket mindestens 120.000, oft 600.000 Euro oder auch mehr, je nach Größe und Laufzeit der Maßnahme! Die Vergabekriterien waren für mich als kleinen Trainer und Fließband-Konzeptschreiber nicht transparent, ich weiß also nicht, wen ich als Geschäftsführer eines Instituts zu einem freundschaftlichen Geschäftsessen ausführen muss, um den Zuschlag für eine lukrative Maßnahme zu bekommen. Oder ob schon vor einer Ausschreibung der Kuchen prozentuell verteilt wurde in einem Meeting der großen Kursinstitutsleiter. Oder ob da Gelder fließen, damit die Aufträge zur Zufriedenheit von Geschäftsführern vergeben werden. Oder ob hier weder Proporz noch andere Formen der Freunderlwirtschaft herrschen und streng nach „Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes“ vorgegangen wird. Auf jeden Fall gilt die Korrektheitsvermutung für alle Beteiligten!
Hat ein Institut den Maßnahmenzuschlag erhalten, darf es diese Maßnahme auch umsetzen. Das heißt, es werden hochqualifizierte und natürlich billige Trainer gesucht, Räume organisiert und der bald einsetzende Strom von Kursteilnehmern verwaltet.
Die AMS-Betreuer bekommen die Weisung, eine bestimmte Anzahl an Teilnehmern zu den eingekauften Kursen zuzuweisen, z.B. zu den berühmt-berüchtigten 6-Wochen-Aktivierungstrainings, zu Computerführerscheinkursen u.ä. Dabei können dann auch so absurde Zuweisungen passieren wie dass ein AMS-Kunde, der jahrelang in den USA gearbeitet hat, zu einem Englisch-Kurs für Anfänger geschickt wird oder ein Betriebswirt in den Genuss eines Wirtschaftsführerscheins kommt.
5 Auf welch kreative Weise vom AMS beauftragte Bildungsinstitute die Honorare ihrer Trainer gestalten/ Teil 1
In meinem ersten Jahr als AMS-Trainer arbeitete ich freiberuflich für ein großes, mittlerweile seit Jahren wegen Veruntreuung von Millionenbeträgen in Konkurs gegangenes Institut. Der Name dieses Instituts verschwand nach sehr wenig Präsenz in den Medien (es ging ja glaub ich nur um läppische 60 Millionen) damals sehr schnell von der Bildfläche, als hätte da jemand sehr energisch gewischt.
Einzelcoaching sah in diesem Institut z.B. so aus (wenn ich nicht zwischen „Trennwänden“ aus ausgemusterten PC-Monitoren in größeren Gruppenräumen saß):
Ein Raum war mit Paravents in fünf Einzelcoaching-Kojen unterteilt worden, in denen pro Coach zwei Arbeitssuchende im „Einzelcoaching“ gegenüber saßen. In Spitzenzeiten gab es in diesem Raum also das nicht sonderlich private Stimmengewirr und die Körperausdünstungen von gut 15 Menschen. Die professionelle Gesprächsdurchführung gestaltet sich bei so einem hohen Hintergrundgeräuschpegel auch sehr anstrengend. Ich fühlte mich nach so einem Coachingtag in dem Institut mit dem Charme eines Durchlaufhauses stets total reizüberflutet und ausgelaugt.
Das Institut hatte mehr KundInnen als Einzelcoaches und wusste aus den galoppierend zunehmenden Arbeitslosenzahlen und den daher für Dumpinglöhne zu hochwertiger Arbeit willigen TrainerInnen Kapital zu schlagen. Die Leitung schlug uns Coaches daher vor, doch zwei Teilnehmer pro Einzelcoachingtermin zu buchen. So könnten wir statt 16.- pro Stunde 32.- verrechnen, und falls einer der unzuverlässigen Menschen nicht zum Termin erschien, hatten wir wenigstens 16.- in der Tasche.
Dieses „Einzelcoaching“-Setting würfelte zwei oft sehr ungleiche Leute zusammen und machte es eigentlich unmöglich, vertrauensvolle Gespräche zu führen. Dieses Problem „lösten“ altgediente Trainerkollegen, indem sie statt je eine Doppelstunde mit zwei Coachees zu halten, lieber zwei wirkliche Einzel-Termine zu je einer Stunde vereinbarten, aber natürlich nicht 2 mal 16.-, sondern 2 mal 32.- verrechneten. Das verringerte auch den anstrengenden Lärmpegel in diesem Einzelcoaching-Großbüro.
Dass dieses Institut dem AMS zwar pro Stunde für einen Teilnehmer 30.- verrechnete, egal ob er zum Termin erschien oder nicht, der Trainer davon aber nur 16.- sah, wenn der Teilnehmer auch erschien, wurde mir erst später klar, als ich selbst AMS-Maßnahmen konzipierte.
Im fünften Jahr meiner AMS-„Karriere“ war ich nämlich noch so naiv zu glauben, dass ich mit dem Schreiben von AMS-Maßnahmen-Anträgen etwas in dem System verbessern könnte. Ich entdeckte aber nur neue Abgründe, so wie zum Beispiel, dass das Gehalt der Trainer in den Maßnahmen-Anträgen immer höher war als das, was den Trainern wirklich ausbezahlt wurde…
Besagtes erstes Institut, für das ich tätig war, schlitterte schließlich in den Konkurs. Über die genaueren Umstände will ich mich hier nicht auslassen. Da gab es TrainerInnen, die der Geschäftsführung näher standen als ich. Die aber nach unangenehmem Anecken jetzt lieber doch schweigen.
Mir ging das schon gehörig auf die Nerven, als die Honorarzahlungen immer später auf meinem Konto eintrudelten, das erinnerte mich unangenehm an eine ein paar Jahre zurückliegende Anstellung in einem anderen AMS-beauftragten Bildungsinstitut, wo ich als Lektor für Computerschulungsunterlagen tätig gewesen war. Dieses Institut war in Konkurs gegangen, die Angestellten reichten eine Sammelklage ein, um Monate später die nicht mehr ausbezahlten Gehälter zu bekommen. Nur kurze Zeit später gab es dieses Institut mit leicht geändertem Namen und neuem Geschäftsführer wieder am Markt…
Die Zeichen in dem großen Institut mit den katastrophalen Arbeitsbedingungen standen also auf „Die Ratten verlassen jetzt besser das sinkende Schiff!“ Von denen, die blieben, mussten einige in Folge ihrer Vertrauensseligkeit selbst in Privatkonkurs gehen, weil sie ausständige Honorare nicht mehr bekamen.
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