Manche deutsche Dauerbesorgte sollten sich das Volk der Piraha (nicht zu verwechseln mit den Raubfischen, den Piranhas) zum Beispiel nehmen. Die Pirahas haben ihre Hütten im Amazonasgebiet und leben glücklich und zufrieden nur im Konkreten. Dort spricht nie jemand über etwas, was er nicht selbst gesehen oder erlebt hat. Bei uns in Deutschland hingegen lebt die gesamte Widerstandsgesellschaft davon, dass irgendwann mal irgendwer vor irgendwas Angst gehabt hat, dies in eine akademisch klingende Analyse verpackte (oder hat verpacken lassen) und dann weithin verbreitete. Plötzlich haben dann auch viele andere Menschen die gleichen Ängste vor denselben Erscheinungen.
Ein Umweltaktivist, der in Brasilien die Abholzung des Regenwaldes gesehen hatte, sagte dazu einmal in einem Pressebericht „Ich fand nicht nur, dass die Welt erfahren müsste, was hier passiert, ich fühlte mich geradezu verpflichtet, das auch journalistisch zu verbreiten“. Er mag mit seinem Gefühl der Berufung zur Dokumentation im Prinzip Recht haben, doch gilt das nicht auch für die umgekehrte Zielrichtung, wovon auch kaum jemand etwas erfährt?
Bei uns sind übereifrige Umweltaktivisten im Begriff, mit ihrem Allerwertesten das umzuwerfen, was zuvor in Generationen von fleißigen Händen aufgebaut worden ist. Sicher ist nicht jede Fleißarbeit aus jedermanns Sicht gut, aber allemal besser als das Lamentieren und die oberflächliche Kritik von Leuten, die nur ausgewählte Teilaspekte eines Projektes randlich gestreift, aber hauptsächlich davon nur geschwätzt haben. Leider glauben viele Lamentierer nach voreingenommenem Überfliegen schon, sie könnten das Gesamtgefüge umfassend be- und verurteilen.
Das moderne Schlagwort „Global denken und lokal handeln“ verführte die meisten A44-Kritiker zu der Annahme, dass man mit der Verzögerung der hier lokal wichtigen Autobahnplanung die global vorhandenen Umweltprobleme der Welt in nennenswertem Umfange vermindern könne. Wenn Mandamo das hinterfragte, kam immer die Gegenfrage zurück, ob ihm die Umweltprobleme der Welt nicht ausreichend bewusst wären. Nur ganz wenige Menschen erfuhren, dass sie gerade Mandamo durch seine vielen Weltreisen aus erster Hand bewusst geworden sind.
Allerdings hinkt die Verknüpfung Autobahn versus Umweltschutz gewaltig. Nur leichtfertige Menschen vergleichen Äpfel mit Birnen. Darunter versuchten einige, mit Hinweisen auf spektakulären Aktionen von Greenpeace in aller Welt, sowie symbolträchtigen Aktionen der lokalen Verbände jahrzehntelang, die Autobahn zwischen Kassel und Eisenach zu verzögern. Möglichst sogar zu verhindern. Das sollte dann zur Rettung der Welt beitragen.
Anfangs wurde die Projektverzögerung in recht subtiler Weise probiert, später immer offener. Zuletzt vor Gericht. In der rückblickenden Zusammenstellung sieht man in dem Sammelsurium noch klarer, dass in den Aktionen unendlich viele widersprüchliche und nicht zu Ende gedachte Trugbilder steckten. Manche Konstrukte könnte man gut und gerne auch als Hirngespinste betrachten.
Kleine Tiere stoßen große Projekte um
Wenn der Ökologe Dr. Lütje für eine Planung in der norddeutschen Tiefebene gutachterlich darlegt, dass ein bestimmter Quadratmeter Wiese keinesfalls "überbaut" werden darf, weil dort alljährlich Karl der Käfer mit seiner holden Gattin Hochzeit feiert, könnte man dafür noch ein gewisses Verständnis aufbringen. Denn man weiß, dass dort die Straße planerisch leicht um den Gattungsplatz herum verlegt werden kann, weil nur ein paar Meter weiter im Allgemeinen dieselben Verhältnisse für den Straßenbau vorliegen. Die Trassenverschiebung würde dort nicht gleich einen langen Tunnel oder eine große Talbrücke erforderlich machen.
Völlig anders ist das aber in der bewegten hessischen Mittelgebirgslandschaft. Doch den Umweltplaner Dr. Lütje und sein Team ficht so etwas gar nicht an. Wo streng geschützte Tierarten ihre Hochzeitsbetten und Wochenstuben haben, gibt es kein Pardon. Mit Hinweis auf den sehr geringen Spielraum der dafür geschaffenen Gesetze wird eisern darauf gedrungen, dass die für Menschen wichtigen Wege in ungünstige Bereiche verschoben werden müssen, damit Tiere ihre Promenierwege und Liebeslauben in den Top-Lagen unverändert behalten können. Ist es da ein Wunder, dass sich nicht nur für Hinz und Kunz der Verdacht aufdrängt, dass es den Herren Ökologen weniger um die beiden Käfer, sondern viel mehr um ganz was anderes geht?
Nun wollen wir dem renommierten Wissenschaftler Dr. Lütje und seinen Mannen/Frauen, die zum Mikrozensus für Käfer immer extra von weither (1000 km hin und rück) anreisten, nicht unterstellen, dass sie die Nebenziele mit den Hauptzielen verwechselt haben, damit sie nicht umsonst hergekommen sind. Also das Finden von romantischen Käferpfaden vor dem Finden von halbwegs konfliktarmen Straßenkorridoren für Menschen. Aber in einigen Fällen muss es wohl doch so gewesen sein. Ein Lauschspezialist, der Osterhase, will das jedenfalls von den sich unbelauscht wähnenden Käferzählern im Walde gehört haben und hat es dem Observer erzählt. Der weiß, dass der Hase noch nie gelogen hat und ist daher geneigt, seinen Aussagen Glauben zu schenken. Der Langlöffel ist danach weggehoppelt und kann für sein Petzen nicht mehr belangt werden. Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts.
Eine Reihe von Beispielen zeigt, dass auch kleine Sechsfüßer große Projekte umstoßen können - wenn sie gute Rechtsbeistände auf zwei Beinen haben. Zuletzt war es der Juchtenkäfer (lat. Osmoderma eremita), der für Laien eigentlich mehr wie ein gewöhnlicher Mistkäfer aussieht, der aber im Verbund mit Rebellen der Gattung Homo Sapiens durchaus so mächtig gemacht wurde, dass er beinahe das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 ermordet hätte.
Mandamo konnte in jener Zeit einem hochinteressanten Vortrag zuhören, der in einem Wiesbadener Ministerium gehalten wurde. Dort referierte der bundesweit renommierte Wissenschaftler Dr.Allwissend in einer Projektkonferenz über die herausragende Bedeutung des gemeinen Mistkäfers, lat. Geotrupes stercorarius. Der Großonkel vom o.a. Osmoderma eremita. Nach den gelehrten Ausführungen des Gelehrten gibt es von den Mistkäfern samt Verwandtschaft zwar weltweit über 500 Arten (!) und viele Abermilliarden an Individuen, aber die bedeutendsten Vorkommen befinden sich natürlich - dreimal dürfen Sie raten - genau unter der geplanten A44-Trasse in Nordhessen.
Er doziert weiter, dass der Typus Stercorarius äußerst wichtig ist für den Fortbestand der Erde, denn die kleinen Käfer räumen täglich tonnenweise vacca-cacatus weg (Bauern sagen einfach Kuhfladen dazu). Ohne die unermüdliche Landschaftspflege dieses fleißigen Geotrupes würden die Wiesen und Weiden unter zunehmend dickeren Schichten von Kuhdung ersticken. Dann fänden die Rindviecher kein Futter mehr, auch die Ruzzeschweinchen nicht und in der Folge würden Hungersnöte ausbrechen, welche die gesamte Menschheit gefährden könnten. Fazit: A44-Bau = Käferausrottung = Menschheitsmortalität (so was wie Selbstausrottung).
In der Sachsenmetropole Dresden sorgten die rührigen Anwälte der kleinen Hufeisennase (einer Fledermausart) für einen Baustop der großen Waldschlößchenbrücke. Hier haben aber die von der Verzögerung beeinträchtigten Menschen dafür gesorgt, dass das naseweise Flattertier nicht zur Katastrophe für die Infrastruktur der Stadt wird. Bei einem eigens dafür durchgeführte Bürgerentscheid votierten sie im Verhältnis 68 % zu 32 % für das Bauwerk und damit gegen Zwergnase.
Allerdings versetzte dem Projekt noch eine andere Zunft von ewig Gestrigen einen Dolchstoß. Die Denkmalschützer sprangen den Nasenschützern zur Seite, setzten eine Spezialbrille auf und sahen plötzlich eine Gefährdung der historischen Stadtansicht. Das fanden die Dresdner, die sich gerade erst aus der sozialistischen Knechtschaft befreit hatten, noch ungeheurlicher. Sie nahmen das Risiko in Kauf - und verwirkten tatsächlich die Aberkennung als Weltkulturerbe. Die tüchtigen Sachsen lassen sich nicht so leicht an der Nase herumführen.
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