Zum Beispiel ist im Judasevangelium (das übrigens auch nicht von Judas selbst geschrieben wurde) der Apostel Judas selbstredend nicht der Verräter Jesu. Vielmehr war der bekannteste Sündenbock der Bibel und der Welt bis zu Jesu Tod am Kreuz dessen engster Vertrauter! Welch ein krasser Widerspruch zum Lukasevangelium und zu anderen. Wie kam es zu den eklatanten Differenzen? Weil es bei vielen Niederschriften keine Zeitzeugen mehr gab. Niemand konnte mehr authentische Aussagen zu Jesu Leben und Wirken machen, nicht mal aus zweiter Hand. So sind später sehr unterschiedliche Texte verfasst worden, die dann in den vergangenen Zeiten von religiösen Eiferern nach eigenem Gusto umgeschrieben worden sind. Einige davon wurden später als Ketzerschriften verdammt und verbrannt.
Man kann also nicht mal den allerhöchsten moralischen Institutionen, wie eben auch der Bibel, ohne weiteres glauben. Die Bibelquellen sind so widersprüchlich, weil verschiedene Dogmatiker aufgrund fehlender Primärquellen später jeweils ihre eigene Heilsbotschaft in die Welt setzen wollten. Noch heute gibt es viele verschiedene Glaubensbekenntnisse und einige Priester erkennen als einzig wahre Lehre hinter der Soutane insgeheim nur Ihre eigene an. Viele Priester verschiedener Religionen bezeichnen sich gegenseitig als bloße Sektenführer. Noch schlimmer ist das beim Islam, wo sich Sunniten und Schiiten bis aufs Messer bekämpfen, beide im Namen Allahs.
Zu den Religionen bemerkte schon der deutsche Physiker Lichtenberg (+1799 in Göttingen) dass es doch sonderbar sei, dass viele Menschen so gerne und so heftig für ihre Religion kämpfen, aber so ungern nach ihren Vorschriften leben. Im Prinzip genau das gleiche und oft noch verbissener gilt das für die grünen Ersatzreligionen heutiger Tage in Deutschland. Sie haben manchmal schon was von Götzenverehrung. Inklusive den pseudoreligiösen Drohungen „wenn Du das vorgebetete nicht glauben willst, kommst Du in die Hölle“.
Legendenbildungen
Aus diffizilen Gemengelagen werden Legenden gebildet und das zu jeder Zeit und zu allen Themen. Auch zu ganz anderen als den biblischen, nämlich der zur vorliegenden Thematik aus der Neuzeit. Angeblich „hat Hitler die Autobahnen geplant“. Das stimmt so nicht ganz. Doch hält sich diese Legende einiger politischer Dogmatiker, obwohl es noch Zeitzeugen dazu und viele Originaltexte gibt, die anderes belegen. Daher wird in den folgenden Kapiteln auf diese Mär eingegangen. Heute gilt es zu vermeiden, dass die Grundsteine so gesetzt werden, dass auch zur A44 Legenden gebildet werden können, die sich womöglich ebenfalls so verbreiten, dass sie irgendwann unausrottbar sind.
Meistens ist es besser, wenn Chronisten mit einer gewissen Distanz und Neutralität zu umstrittenen Ereignissen ihrer Zeit informieren, aber dann können sie nicht gleichzeitig direkt aus den Werkstätten berichten. Dieser Spagat ist dem neutraleren Observer ebenso bewusst, wie dem Planer Mandamo. Beim vorliegenden Thema ist es nun einmal so, dass ein Verkehrsplaner und langjährige Projektleiter selbstredend keine echte Distanz zu dieser Thematik haben kann.
Zwar wäre die Darstellung der bloßen Chronologie der Ereignisse als solche relativ neutral machbar, aber wenn das vorliegende Werk auch den jeweiligen Zeitgeist widerspiegeln soll, kommt der Erzähler nicht umhin, hier und da auch diverse Bewertungen abzugeben und andere zu reflektieren. Naturgemäß lässt sich solches nicht ganz so neutral darstellen. Die davon Verschreckten können aber damit beruhigt werden, dass in einem Roman „sowieso alles reine Erfindung“ ist (insbesondere alles Unliebsame). Lassen wir ihnen dieses Hintertürchen offen.
Hinterher sind alle schlauer…
.... aber das vorausahnen dessen, was aller Voraussicht nach eintreten wird, ist so schwierig wie das Kaffeesatzlesen. Bei der Autobahnplanung ist das mindestens so problematisch, wie bei der Wettervorhersage. Das Thema ist zwar sehr ernst und nicht witzig, dennoch liest sich manches in der ironischen Form besser. Die folgende Anekdote beschreibt das Problem kurz und treffend:
Im wilden Westen fragt ein Siedler im Herbst beim Holzsammeln einen alten Indianer, der als besonders weise galt: „Wie wird der Winter?“ „Kalt“ ist die kurze Antwort. Und der Siedler sammelt noch mehr Holz. Bei nächster Gelegenheit fragt er den Indianer nochmals nach der Wettervorausschau. Der sagt nun „es wird sehr kalt“ und der weiße Mann sammelt noch mehr Brennholz. Als sich das eine Weile weiter aufschaukelt und der Holzstapel inzwischen riesig geworden ist, fragte der Siedler den Indianer, worauf er denn seine Vorausschau eigentlich begründe. Da sagt dieser lapidar „Bleichgesicht holt viel Holz“.
Obwohl Vergleiche immer hinken, erinnerte die Geschichte fatal an die Autobahnplanung, wo auch ständig neue "Empfehlungen" ausgerufen wurden. Veränderte Gesetzestexte, neue Gerichtsurteile, Verordnungen, Erlasse, Verfügungen, Statuten, Annahmen, Vermutungen, Hoffnungen und Unkenrufe der Kritiker, die in Nachforderungen von weiteren Untersuchungen mündeten. Auch dabei hat oft eine Aussage die andere beflügelt. Und nicht selten wurden welche mit der Drohung verbunden, dass die im Zusammenhang mit der A44 geplanten umweltfachlichen Maßnahmen allesamt noch immer nicht „gerichtsfest“ sein würden. Also wurde noch mehr Umweltplanungsaufwand erforderlich. Dazu sammelte man fleißig weiter unterstützende Gutachten. So wie die Leute im Wilden Westen Holz sammelten und weitere Meinungen.
Dass ein Autobahngegner aus dem Witz mit dem Indianer und dem Trapper, gegenüber dem Planer Mandamo eine andere Lehre zog, zeigte, dass man alles auch aus einem entgegen gesetzten Blickwinkel betrachten kann. Er sagte "Ihr Betonköpfe redet Euch gegenseitig immer mehr ein, wie wichtig die Autobahn sei, aber wirklich notwendig ist sie nicht". Jedenfalls ihm erschien das so. Er sah das alles umgekehrt, der gute Herr Feigenbaum.
Mandamo hatte ihm darauf vorgehalten, dass das ständige Warnen der Umweltschützer vor dem angeblich drohenden Weltuntergang noch viel weniger glaubwürdig bzw. rational begründet sei. Oder soll versucht werden, den bevorstehenden Untergang der Welt tatsächlich auch mit kleinen Autobahnplanungen zu begründen?
Magnus Antipode beobachtet gern Pferdesport und Kutschwagenrennen. Er fiebert immer mit, wenn die von eifrigen Kutschern angetriebenen Zugpferde dahin stürmen. Seit den legendären Wagenrennen im Circus Maximus in Rom vor 2000 Jahren lief das immer relativ regelgerecht ab, doch in den letzten Jahren kamen neue Gepflogenheiten hinzu. Nun kam es mehrmals vor, dass die Pferde kurz vor dem Ziel plötzlich von grünen Absperrordnern mit grellroten Fahnen scheu gemacht wurden und sie dann vom rechten Weg abkamen.
Nach dem Beruhigen der aufgeregten Tiere und des Kutschers wurden die Gespanne dann nicht etwa wieder in die Zielrichtung gestellt, um weiter dem Ziel entgegen zu rennen, nein, sie wurden in die weit zurück liegenden Startpositionen getrieben. Aller Protest der Kutscher nutzte nichts, denn die oberste Rennleitung stellte sich blind. Welchen Zweck sollte das haben, wenn die geheimnisvollen Ordner doch aus demselben Rennstall zu kommen vorgaben?
Dann wurde es klar. Wieder einmal hatten sich die Regularien geändert. Mitten im Rennen. Die grünen Brems-Ordner bemerkten schnell, dass es nun auf jede Sekunde ankam. Wenn es gelang, den bis hierhin gut gelaufenen Wagen vor der nahen Ziellinie abzufangen, musste neu gestartet werden. Das dann natürlich erst in der nächsten Saison und unter den gerade wieder geänderten Bedingungen. Gewonnen! Das konnten nun nicht mehr die rufen, die auf eine frühe Zielerreichung gewettet hatten, so wie es bisher immer üblich war, sondern ominöse andere "Vorhabensträger".
Vor und zurück wie bei Sisyphus
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