Lestopoktus nickte so eifrig, dass er vornüber fiel.
„Das ist gut, du Trampel. Das ist sogar sehr gut. Dann habe ich genügend Zeit, um ihr eine tödliche Falle zu stellen.“
„Wunderbar, Meister. „Ich werde ...“
„Du wirst gar nichts, sondern augenblicklich von hier verschwinden“, unterbrach ihn Teufat unwirsch. „Du wartest in deinem Zimmer, verstanden?“
„Ja, Herr.“
Mit einer Handbewegung scheuchte ihn der Magier wie ein lästiges Insekt hinaus.
Als Lestopoktus verstohlen zu dem Spiegel hinübersah, stellte er überrascht fest, dass er verschwunden war.
Immer wieder nahm Samiras unterwegs die Skizze mit der eingezeichneten „ Straße der Zukunft“ in die Hand, die sie in dem schmalen, roten Buch gefunden hatte. Der Vers in dem Buch warnte vor schrecklichen Gefahren, denen sie nur allzu gern ausgewichen wäre. Andererseits jedoch konnte sie nur dort den „ Stein der Wahrheit“ finden, der ihr helfen und sie leiten würde. Also würde sie sich wohl oder übel den Gefahren stellen müssen.
Nach einer kurzen Rast, sie hatte den letzten Bissen kaum runter geschluckt, sprang Danina auf und machte sich davon. Samiras erhob sich seufzend und eilte ihrer Gefährtin hinterher. Ohne Pause ging es weiter. An brachliegenden, von den Bauern verlassenen Feldern und Gehöften vorbei, die jedoch immer spärlicher wurden, bis nur noch verdorrende Wiesen das Bild bestimmten. Dürre und Verfall, soweit das Auge reichte. Zeichen des immer rascher um sich greifenden Verderbens. Die Zauberin hatte nicht übertrieben, begriff Samiras erschrocken. Die Zeit drängte. Sie mussten sich beeilen.
Irgendwann wurde der Boden hügeliger und das Gehen beschwerlich. Trotzdem kamen sie bis zum Nachmittag gut voran. Doch dann versperrte ihnen eine Hügelkette den Weg, die höchste bislang. „Rasten wir erst oder gehen wir weiter?“, fragte Samiras. Aber die Pantherin war nicht mehr neben ihr. Sie verschwand gerade auf der anderen Seite der Anhöhe. „Also keine Pause“, seufzte Samiras und kletterte ihr hinterher.
Oben angekommen sah sie unter sich eine breite Senke liegen, die sich zwischen mit Felsgestein verstärkten Wällen tief ins Land hineinschob und nicht besonders einladend aussah. Ich gehe da auf keinen Fall hinein! Eher gehe ich den ganzen Weg wieder zurück! Widerstrebend machte sie sich an den Abstieg.
Die Pantherin wartete in einer Lücke zwischen den Wällen auf sie.
„Keine Chance“, sagte Samiras. „Da bringen mich keine zehn Pferde rein. Wir wissen ja noch nicht einmal, wohin die Senke führt. Vielleicht laufen wir geradewegs in eine Falle.“
Daninas Antwort war ein ungeduldiges Fauchen. Als Samiras jedoch keinerlei Anstalten machte ihr zu folgen, kam sie unwillig knurrend heran und riss ihrer Gefährtin den Lederbeutel aus der Hand.
„He! Was soll das?“, rief Samiras überrascht.
Danina beachtete sie nicht. Sie zerrte mit den Zähnen den Verschluss auf, stülpte den Beutel um, schnappte sich die heraus flatternde Skizze und warf sie ihrer verdutzten Gefährtin vor die Füße, die endlich begriff.
„Du meinst, die Senke da ist die „ Straße der Zukunft“ ? Soll das etwa ein Witz sein? Die Vertiefung dort kann man doch nicht als Straße bezeichnen!“
Daninas Antwort war ein kräftiger Stoß in die Seite, der Samiras fast von den Beinen riss.
„Sei nicht so ruppig. Man wird sich ja wohl noch Gedanken machen dürfen. Schließlich kannst selbst du dich ja trotz deiner besonderen Fähigkeiten auch mal irren, oder?“
Doch sie verschwendete nur unnötig ihren Atem. Ihr Protest ging ins Leere, denn Danina verschwand gerade in der Senke. Samiras blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Also warf sie ihre Bedenken über Bord, sammelte hastig ihre Habseligkeiten wieder ein und eilte ihrer Gefährtin hinterher.
Die unvermutete Hitze traf sie wie ein Faustschlag. Als sie Danina endlich eingeholt hatte, war sie in Schweiß gebadet. Anfangs hielt sie das Tempo der Pantherin mit, fiel aber nach einer Weile immer weiter zurück. Sie fühlte sich so matt, als sauge der Boden sämtliche Kraft aus ihren Gliedern. Und die Hitze wurde mit jedem Schritt drückender. Apathisch trottete sie mit gesenktem Kopf hinter Danina her, der die Bruthitze nichts auszumachen schien.
Samiras wusste nicht wie lange sie sich bereits in dieser Hölle aufhielt, als sich die Luft um sie herum plötzlich veränderte. Nebelfetzen die etwas Rotes, Oszillierendes verbargen waberten bebend und schwankend auf sie zu. Und dann bewegte sich auch noch der Boden unter ihren Füßen.
Was war das?!
Die Schwingungen wurden stärker, vermischten sich mit Stimmen und schrillen Geräuschen, die ihren Kopf fast zerspringen ließen. Mit letzter Kraft wehrte sie sich gegen die Stimmen – und plötzlich waren sie fort und ihr Kopf wieder frei.
Sie schloss mit bebenden Fingern den Riegel an der Tasche in der Mawi fest schlief und beeilte sich Danina einzuholen, als sich die grässlichen Stimmen erneut und mit verstärkter Wucht auf sie stürzten und ihren Kopf marterten. Sie versuchte zu schreien, wollte Danina zu Hilfe rufen, doch kein Laut drang über ihre Lippen. Ihre Stimmbänder verweigerten einfach den Dienst.
Wieso hört Danina nichts? fragte sie sich voller Qual und hielt sich die Ohren zu. Aber natürlich half das nicht, denn die Stimmen drangen nicht von außen auf sie ein, sondern schrien in ihrem Schädel, der fast zerbarst. Als sie strauchelte, bemerkte sie schaudernd phosphoreszierendes Leuchten unter ihren Füßen, das ihre Stiefel umklammerte und jeden Schritt zur Qual werden ließ. Und dann sackte plötzlich auch noch der Boden etwa einen halben Meter unter ihr weg, und das Kreischen in ihrem Kopf verstummte abrupt. Doch da nahten neuerliche Schrecken!
Wabernde Schatten sprangen aus dem Nichts, materialisierten zu monströsen Gestalten die ihr den Weg versperrten und sie von ihrer Gefährtin trennten, die noch immer nichts bemerkte.
Samiras blieb wie angewurzelt stehen und starrte fassungslos auf das unglaubliche Szenarium vor sich. Sie versuchte zu schreien. Umsonst. Ihre Stimmbänder waren noch immer blockiert. Einem Albtraum entsprungene Wesen bevölkerten die Straße; und der Boden war mit apfelgroßen Skorpionen übersät. Schreckliche Gesichter wandten sich ihr zu. Klauenhände drohten mit Krummsäbeln und Äxten, Schwertern und Eisenketten. Große und kleine, gesunde und missgestaltete Körper stürmten und humpelten, krochen und taumelten kreischend auf sie zu.
Samiras riss den Dolch, den ihr Xzatra gegeben hatte, aus der Scheide und stach auf alles ein, was sich ihr näherte. In letzter Sekunde wich sie dem Schlag einer Streitaxt aus, der in Brusthöhe an ihr vorbei sauste, und parierte Stahl, der dicht an ihr Gesicht herankam. Sie kämpfte so gekonnt, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Schlagend und stechend versuchte sie Danina zu erreichen, die von alledem nichts bemerkte. Ihr skalpellscharfer Dolch schlug eine Schneise der Vernichtung in die sie bedrängenden Kreaturen, doch diese gaben nicht auf.
Nur für eine Sekunde vergaß Samiras die Gefahr, in der sie schwebte und sah Danina hinterher, die sich immer weiter von ihr entfernte. Und dieser kurze Moment wäre ihr fast zum Verhängnis geworden!
Plötzlich verlor sie den Boden unter den Füßen; Hände wie Eisenklammern rissen sie nach vorne und in die Luft; unaufhaltsam flog sie über den Kopf des Zerrbildes eines Mannes hinweg und stürzte mit einem schrecklichen Aufprall zu Boden. Eine Axt blieb knapp neben ihrem Kopf im Boden stecken; ein Messer schrammte über ihre Hand. Sie warf sich zur Seite und... schrie! Sie hatte ihre Stimme wieder!
„Hilfe Danina! Zu Hilfe!“
Die Pantherin fuhr mit einem Ruck herum. Sekunden später wütete sie wie ein Berserker unter den Angreifern. Aber auch sie stand auf verlorenem Posten, denn dort, wo eine der schaurigen Kreaturen fiel, tauchten zwei neue, noch scheußlichere auf. Es ist sinnlos, dachte die Pantherin. Wir müssen fliehen. Ich muss Samiras auf meinem Rücken aus der Gefahrenzone bringen.
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