Susanne Kilian - Brave Tochter, altes Kind

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Millionen stehen heute vor dem gleichen Problem: Die Eltern werden zunehmend pflegebedürftig und ich fühle mich verpflichtet, meine Verantwortung für sie wahrzunehmen. – Die Autorin Susanne Kilian erzählt aus leidvoller Erfahrung, wie beklemmend diese Situation werden kann.

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Susanne Kilian

Brave Tochter, altes Kind

Wenn Eltern nur noch fordern

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Inhaltsverzeichnis Titel Susanne Kilian Brave Tochter altes Kind Wenn Eltern - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Susanne Kilian Brave Tochter, altes Kind Wenn Eltern nur noch fordern Dieses ebook wurde erstellt bei

Das Medaillon

Der Geburtstag

Die Reise

Noch einmal das Medaillon

Hilfen

Notarzt mit Folgen

Geld

Pause

Reha und Anhörung

Wieder zu Hause

Alltag

Weihnachten

Missverständnis

Nacht zum Fürchten

Der Morgen

Kurzzeitpflege

Ohne ein Wort

Nach Hause

Ordnung machen

Chefbehandlung

Feste feiern

Turbulenzen

Der Anfang …

… vom Ende

Nachwort

Impressum neobooks

Das Medaillon

Ich sehe gar nicht ein,

warum man gegen Ungerechte

gerecht sein soll.

Goethe

Ich bin jetzt fünfzig Jahre alt.

Und was schenken mir meine Eltern aus diesem Anlass?

Endlich das Silberbesteck, das mir meine Oma schon als Kind versprochen hat.

Und was noch?

Ein silbernes Medaillon.

Wenn ich es aufklappe, lächelt mich links meine Mutter und rechts mein Vater an.

Zwischen Girlanden sind auf der Vorderseite drei Buchstaben eingraviert:

M. P. S.

Mama. Papa. Susel.

Wunderbar.

Darüber soll ich mich freuen!

Schwarz könnte ich mich ärgern.

Dieses Silberbesteck hätte ich in all den Jahren so gut gebrauchen können.

Dieses grässliche Medaillon an seinem Silberkettchen.

Soll ich mir meine Eltern auch noch um den Hals hängen, damit ich sie mir immer ansehen kann?

Ich hab sie doch sowieso schon am Hals.

Seit langem bin ich verheiratet, habe Kinder und gerade ist mein erstes Enkelkind geboren.

Ich bin Nachtwache in einem Altenheim und lebe mein Leben so nebenbei.

Denn an erster Stelle bin ich ihre Susel, das alte Kind.

Ich habe nach den Bedürfnissen meiner Eltern zu leben, nicht nach meinen.

Wenn sie rufen, habe ich zu springen; ist ja sonst keiner da.

Trotzdem können sie mir jederzeit mit was auch immer ein schlechtes Gewissen machen.

Sinn und Zweck meiner Existenz ist das Wohl meiner Eltern.

Niemals kämen sie auf die Idee, mich zu fragen, wie es mir dabei geht.

Ich starre die drei Buchstaben M. P. S. an und weiß, dass ich das Ding nie tragen werde.

Aber ich kann es nicht einfach im Rhein versenken, was ich am liebsten tun würde.

Bestimmt werden sie bei irgendeinem ihrer Besuche danach fragen.

Also wickle ich es in ein Taschentuch und lege es zu meinem Schmuck.

So sehe ich es nicht und es soll meine Sachen nicht berühren.

Ja, ich habe gelitten, leide und werde weiter leiden, weil sie mich unter ihrer Fuchtel haben.

Nein, ich weiß nicht, wie ich mich aus ihren Fängen befreien könnte.

Einmal in der Woche gehe ich mit meiner Mutter einkaufen.

Ich begleite beide bei jedem Arzttermin, der ansteht.

Jeden Abend zwischen achtzehn Uhr und achtzehn Uhr dreißig rufe ich pflichtschuldig an.

Wo immer ich bin, was immer ich tue.

Auch aus dem Urlaub.

Natürlich feiern wir zusammen sämtliche Familienfeste und ebenso natürlich, ob Geburtstag, Weihnachten oder sonst was, die Stimmung ist immer angespannt.

Was kriegen sie dieses Mal in die falsche Kehle?

Über welches Familienmitglied regen sie sich heute auf?

Weil es sich falsch benimmt? Das Falsche sagt? Das Falsche an hat?

Jedes Mal ein Horror, wenn der Besuch meiner Eltern bei uns fällig ist.

Der gleiche Horror, wenn etwas im Haus meiner Eltern zu feiern ist.

Wenn es irgendwie geht, drückt sich jeder.

Da stehe ich ganz allein auf weiter Flur.

Ob in der Vergangenheit, jetzt oder in der Zukunft, jedes Fest im Haus meiner Eltern läuft in den letzten Jahren haargenau nach dem gleichen Schema ab.

Das sind meine „Schnittchentage".

Da bin ich fast den ganzen Tag bei meinen Eltern.

Mein Mann bringt mich hin, gratuliert und macht sich - so schnell es geht - aus dem Staub.

Sohn oder Tochter kommen, gratulieren und sind verschwunden.

Oder sie rufen an.

Oder sie rufen nicht an.

Weil sie es vergessen haben oder was weiß denn ich … das ist natürlich unmöglich.

Und wer kriegt dann den ganzen Tag das Gejammer ab?

Klar.

Nächsten Monat steht der Geburtstag meiner Mutter an.

Ab und zu schleichen sich Bemerkungen dazu in die allabendlichen Telefongespräche ein.

Etwa die ewige Frage:

„Wer kommt?"

Aber es ist ja noch Zeit.

Die Tischdecken wird sie schon mal sichten.

Auch Gläser und Geschirr im Schrank schon mal durchspülen.

Das muss ja alles sauber sein.

Wenn man in den Schrank greift und da wäre was staubig, weil ewig nicht gebraucht …

Nicht auszudenken.

Vielleicht macht sie eine Torte?

Vielleicht belegt sie einen Obstboden?

Ich fasse es nicht, das ist immer das Gleiche.

Muss sie ständig ihre genauesten Anweisungen geben?

Könnte sie mich nicht einfach mal machen lassen, wie ich mir das denke?

Das würde mir viel Zeit sparen.

Keine tagelanges Geschwätz, nein, nicht am Telefon.

Da habe ich gefälligst bei ihnen anzutanzen.

Und dann machen wir doch wieder wie eh und je die vermaledeiten „Schnittchen".

Aber es hilft ja nichts.

Morgen ist es wieder so weit.

Eine Woche vor ihrem Geburtstag.

Und wir werden eine Woche lang von nichts anderem reden.

Der Geburtstag

Same procedure as …

Wir sitzen in der Küche und sind wie vor jedem Fest beim ewig gleichen Thema.

Da lagert teurer Wein und kostbarer Sekt im Keller.

Den muss man endlich mal trinken.

Ich lege keine Flasche kühl und kippe das Zeug nachher weg.

Der Keller ist zu warm, die Sachen sind nicht optimal gelagert und mit Sicherheit untrinkbar.

Meine Eltern werden das nie einsehen.

Aber weil sie sich nicht blamieren wollen und ich mich standhaft weigere, erkämpfe ich mir am Ende doch die Erlaubnis, Wein und Sekt zu kaufen.

Das ist wenigstens auch für dieses Mal klar.

Wer kommt?

Kommt überhaupt jemand?

Ich kann’s wirklich nicht mehr hören.

Natürlich kommt immer irgendjemand.

Auf den Einkaufszettel gehören:

Kräcker. Spundekäs'. Trauben.

„Kauf nur keine kernlosen, die schmecken ja nicht."

Wären für mich aber bequemer. Sie braucht die anderen ja nicht zu entkernen.

„Also in zwei Farben. Blau und grün. Die mit Kernen sind auch größer. Kauf die."

Na eben.

Wie immer.

Die kommen auf die mit rosa Spundekäs' bestrichenen Kräcker.

Ich hätte lieber runde, sie besteht auf TUC von ALDI.

Sekt. Orangensaft. Orangensaft mit Sekt. Wasser? Wein?

„Wie Wasser? Wein? Also wirklich! Das trinkt man doch nicht beim Empfang. Wer soll das da schon trinken? Wenn überhaupt jemand kommt. Wasser und Wein gibt’s nicht beim Empfang. Das gibt’s erst später. Wenn jemand kommt."

Tja dann.

Die Schnittchen reicht man auch erst um Viertel vor zwölf und in keinem Fall zusammen mit den Kräckern.

Ja, das kenn ich.

Und dann wird jeder hin und her und vor und zurück genötigt, bis alle aufgegessen sind.

Ein Theater ist das immer.

Peinlich.

Für die Schnittchen schreibe ich endlos lange Listen:

„Unbedingt Hackepeter. Ja. Den isst dein Vater so gern. Der muss sein. Da machst du dann wieder ganz ganz dünne Zwiebelringelchen drauf. Wenn die zu dick sind, kann man die nicht richtig kauen, viel zu hart. Gekochten Schinken auch, dünn geschnitten, aber bloß nicht zu dünn. Der fällt sonst auseinander. Und Kaiserfleisch. Das auch dünn geschnitten. Bring nur keinen rohen Schinken mehr, der ist ja nicht zu beißen mit unseren Zähnen. Nein. Auch hauchdünn geschnitten nicht. Wie sieht das denn aus, da denken die Leute, die kommen, wir wären geizig. Nein. Lass den weg. Gut wäre eine feine Salami. Aber nicht wieder so scharf! Letztes Mal war die viel zu scharf. Guck mal nach einer anderen. Die muss aber hauchdünn geschnitten sein. Da kannst du ja dann drei oder vier Scheibchen drauf legen. Und Silberzwiebelchen. Nicht so groß, die ganz ganz kleinen."

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