„Okay, wir telefonieren einfach, und wenn’s nicht zu spät ist, dann schaue ich mir zumindest die Kapelle nach euch noch mit dir an. Aber versprechen kann ich’s nicht!“ Eine weitere Dosis von Mark am Schlagzeug war einfach zu gefährlich und würde meine Selbstbeherrschung nur drastisch überstrapazieren! Aber was passierte da eigentlich mit uns? Woher kam der stete Wunsch, sich zu verabreden? Und dann seine merkwürdige Anspielung darüber, dass ihn mein Kontakt zu anderen Männern störte? Dass eine Freundschaft in dieser Konstellation nicht möglich sein würde, war streng genommen klar wie Kloßbrühe. Aber seine unverhohlene Erleichterung über meine Zusage räumte jegliche Bedenken beiseite, legte mein Hirn lahm und führte einzig und allein dazu, dass ich mir gedanklich bereits Wickler ins Haar drehte. Welch Irrsinn!
Nachdem ich wusste, wo das Geschehen stattfinden würde, legte ich den Hörer auf und schlief eine weitere Runde.
Noch in meinen Träumen gefangen, wanderten meine Gedanken bereits zum Kleiderschrank, krochen hinein und durchsuchten ihn nach etwas Passendem für den Abend. Und auch nach dem Erwachen half alles Bemühen nichts, ich freute mich auf Mark – nicht als Kollegen, nicht als Freund, sondern als Kerl, den ich gut fand. Gab es denn gar kein Gegenmittel, wie ich das hätte unterbinden können?
Am liebsten wäre ich einfach liegen geblieben. (Wirklich?) Aber ich schleppte mich ins Bad und versuchte mühsam, während ich unter der Dusche stand, meine Gedanken zu ordnen. Glücklicherweise gab es noch viel zu tun, sodass ich kaum merkte, wie die Zeit verging. Und als ich endlich die zweite Variante für das Seniorenheim fertig hatte, blieb mir bereits nicht mehr viel Zeit. Ich druckte die Entwürfe aus, schlüpfte hastig in ein beiges, äußerst kurzes Kleid und schminkte mich.
Bei der Wahl des Schuhwerks zögerte ich erst, entschied mich dann aber doch dafür, mutig zu sein, und zog meine „Schlampenstiefel“ an. Diesen Namen hat meine Mom dem Schuhwerk verliehen. Sie waren braun, reichten bis zum Knie und hatten einen zehn Zentimeter hohen Absatz. Zugegebenermaßen entsprach dieses Outfit nicht unbedingt einem geschäftlichen Anlass, aber ich fühlte mich ganz wohl damit. Schnell packte ich meine sieben Sachen zusammen und düste los.
Um 19:30 Uhr traf ich bei meiner Mutter ein. Sie begrüßte mich herzlich, trat dann einen Schritt zurück und fragte belustigt: „Was machst denn du heute noch, oder hast du dich etwa für mich so in Schale geworfen?“ Warum nur durchschauen Mütter immer alles sofort?
Errötend erzählte ich ihr von Marks Bitte, mich später zu sehen. Das Stirnrunzeln und ihr besorgter Blick verrieten mir sofort, wie skeptisch sie der Sache gegenüber stand. „Und? Wirst du hingehen?“
„Warten wir erst mal ab, ob er sich überhaupt meldet“, versuchte ich auszuweichen. Insgeheim plante ich sehr wohl, ihn vorher anrufen zu lassen und nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn einfach hirnlos draufloszudüsen. Dem Alter eines Groupies war ich dann doch schon etliche Jahre entwachsen. Und egal, ob Chef oder wegen seiner Ehe strengstens verboten, im Grunde genommen sollte jeder Mann sich bis zu einem gewissen Grad ins Zeug legen, wenn es um ein Treffen mit einer Frau ging.
Gütig nickte meine Mom mit dem Kopf und stellte abgeklärt fest: „Du wirst also hingehen.“ Seufzend bot sie mir etwas zu trinken an.
Im Gegensatz zu mir legte meine Mutter eine Gelassenheit an den Tag, um die ich sie nur beneiden konnte. Während ich nervös, immer wieder auf die Uhr blickend, hin und her rutschte, konfrontierte sie mich vorsichtig mit den möglichen Konsequenzen meines Handelns. Als „Außenstehende“ betrachtete sie die Situation weit klarer und umfassender als ich. Und ihrer Ansicht nach gab es durchaus begründeten Anlass zur Sorge, dass Marks Zuneigung für mich bereits über eine geschäftliche Verbindung hinausreichte. Daher riet sie mir dringend, darüber nachzudenken, wie es um meine Gefühle für diesen Mann bestellt war. Sie hielt mich an, seine Familie bei meinen Überlegungen nicht zu vergessen und mich daran zu erinnern, wie wir vor Jahren von meinem Vater verlassen worden sind. (Wie könnte ich das je vergessen!)
Jemand anderen hätte ich wahrscheinlich darum gebeten, mir nicht das Ohr abzukauen, sich nicht in meine Angelegenheiten einzumischen oder einfach seinen Mund nicht zu voll zu nehmen. Bei meiner Mutter aber tat ich das freilich nicht. Sie kannte mich weit besser als sonst ein Mensch auf der Welt, und ihre Lebenserfahrung würde ich nie untergraben. Neben der üblichen Mutter-Tochter-Beziehung verband uns seit Jahren eine enge Freundschaft, in der es keine Geheimnisse gab. Und als zweifach geschiedene Frau zählte sie unbedingt zu meinen wichtigsten Beratern in „Herzensangelegenheiten“.
Das Gespräch mit dem Verweis auf meine eigene Vergangenheit wühlte mich ganz schön auf. Zwar stufte ich die Sichtweise meiner Ratgeberin im Moment noch als stark übertrieben ein, erkannte aber durchaus, was die Message dahinter war. Ich musste wirklich aufpassen und mir eingestehen, dass mein Verhalten Einfluss hatte auf alles, was passiert.
Wie aber zog man in so einem Fall die Notbremse? Durch eine Kündigung? Durch Kontaktentzug? Und wo befand sich der Aus-Knopf für meine Gefühle? Oder machte ich mich nicht vielmehr lächerlich bei der Unterstellung, dass Mark überhaupt mehr für mich empfinden könnte? Zum momentanen Zeitpunkt erschien mir diese Idee nicht nur anmaßend, sondern regelrecht egozentrisch.
Das Liebenswerte an meiner Mutter war, dass sie unschlagbare Tipps gab, solange es nicht sie selbst betraf. Wenn man sie aber auf ihre aktuelle, höchst komplizierte Affäre ansprach, versank sie von jetzt auf gleich im Chaos. Wie sich herausstellte, wartete sie ebenfalls auf einen Anruf. So saßen wir wie zwei Teenager zusammen auf der Couch, jede ein Telefon neben sich, und lachten über unser filmreifes Verhalten.
Gegen elf rechnete ich nicht mehr damit, noch etwas von Mark zu hören, und erhob mich enttäuscht, um langsam den Heimweg anzutreten. Meine Mutter, deren Telefonat bereits stattgefunden hatte, wollte mich gerade damit trösten, dass es so bestimmt besser sei, als mein Handy klingelte. Und allen Vorsätzen zum Trotz jubelte ich innerlich, als hätte ich im Lotto gewonnen. Der Auftritt der „Cultures“ hatte offenbar länger gedauert als erwartet, nun aber wartete der Mann, der mich zum Schwitzen brachte, in der „Bongo Bar“ auf mich.
Meinen schwächlichen Einwand „Es ist doch schon so spät“ überhörte Mark geflissentlich. Dagegen betonte er mit seiner ebenso rauchigen wie sexy Stimme aufs Neue, wie sehr mein Kommen ihn freuen würde. Doch nicht der Inhalt, sondern der Klang seiner Worte veranlasste mich letztendlich zu versprechen, in zwanzig Minuten da zu sein.
Meine Mutter, die erkannte, wie machtlos ich in dieser Situation war, verabschiedete sich liebevoll und wünschte mir viel Spaß. „Aber versprich mir bitte, dass du auf dich aufpassen wirst!“, rief sie mir im Treppenhaus besorgt nach, aber ich hatte die Ohren bereits zugeklappt.
Als ich aus dem Auto stieg, hatte ich vor lauter Aufregung triefend nasse Hände, weswegen ein kurzer Achselcheck vonnöten war, der die Qualität meines Deos aufs Neue unter Beweis stellte. (Die fünfzehn Euro hatten sich echt gelohnt!)
Auf staksigen Beinen lief ich zittrig in Richtung „Bongo Bar“. Voller Vorfreude lauerte ich wie vereinbart im Eingangsbereich auf Mark. Das Warten kam mir endlos lange vor, zumal mein Outfit nicht gerade dafür bestimmt war, nachts alleine vor einer Bar zu stehen. Vor allem dann nicht, wenn man lästige Fragen vermeiden wollte, die darauf abzielten, ob man käuflich zu erwerben sei! Ungeduldig versuchte ich deshalb, meine Verabredung auf dem Handy zu erreichen, doch das war anscheinend ausgeschaltet – „temporary not available“. Hatte Mark mich etwa vergessen? Und weil wir schon dabei sind: Was tat ich überhaupt hier?
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