Katia Weber - Dutzendgeschöpfe

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Die Geschichte ist in einen Prolog und zwölf Kurzgeschichten unterteilt, die aber inhaltlich aufeinander aufbauen bzw. zusammengehören. Die letzte Geschichte knüpft an den Prolog an. Der Schauplatz ist Bonn, meine Heimatstadt. Bonner werden viele Orte wiedererkennen, das Mietshaus selbst habe ich mir allerdings ausgedacht. Die Geschichten sind nicht chronologisch angeordnet. Viele Details, die in einer Geschichte beschrieben werden, werden in der folgenden aufgegriffen und erklärt – man versteht nach und nach, wie alles zusammengehört. Im Vordergrund stehen die Beschreibungen der einzelnen Charaktere, die in einer Geschichte Hauptfigur und in der nächsten Nebendarsteller sind.

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Katia Weber

Dutzendgeschöpfe

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Inhaltsverzeichnis Titel Katia Weber Dutzendgeschöpfe Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Katia Weber Dutzendgeschöpfe Dieses ebook wurde erstellt bei

Prolog

Magdalena und der schwule Architekt

Kurt

Hand aufs Herz

Dinge

Ein zerfledderter Regenschirm I

Ein zerfledderter Regenschirm II

Wolle und Mia

Ein Ei

Bleischwer

Kurzschluss

Orthopädische Matratzen

Probeliegen

Impressum neobooks

Prolog

13.5.2003

Mia schließt die Tür hinter sich ab und betrachtet das fremde Badezimmer. Es ist das Bad eines Junggesellen, den sie eigentlich nicht kennt. Ihr erster Eindruck ist, dass es sich um einen sehr ordentlichen Mann handelt: Die Fliesen sind sauber, in den Ecken liegen weder Haare noch Staubflusen, der Spiegel über dem Waschbecken ist streifenfrei. Auf der Porzellankonsole steht ein Becher aus Plexiglas mit einer ausgefransten Zahnbürste darin, daneben liegen eine zur Hälfte aufgerollte Tube Zahncreme und ein Päckchen Zahnseide. Neben dem Waschbecken hängen zwei sorgfältig gefaltete orangefarbene Handtücher, die ganz offensichtlich als Set gekauft wurden. Mia berührt das linke Handtuch. Es ist weich und sieht schön fluffig aus. Sie verzieht den Mund. Die Handtücher bei ihr zuhause sind immer bretthart und knuspern beim Zusammenfalten, weil ihr Vater sich weigert, Weichspüler zu benutzen. Denn das ist schlecht für die Umwelt.

Mia zieht eine Schublade des Badezimmerschranks heraus. Sie enthält einen schwarzen Hornkamm mit leicht öligem Schimmer (Igitt), ein Nageletui aus irgendeinem billigen Synthetikmaterial und einen Rasierapparat mit Netzteil. Auf dem Boden der Schublade liegen ein paar dunkle Bartstoppeln. Alles eher uninteressant. Mia wendet sich der nächsten Schublade zu.

Aha. Vorräte, denkt sie.

Ein paar Shampooflaschen (der Mann hat ein Schuppenproblem), eine noch ungeöffnete 50er-Packung Kondome (Verfallsdatum: Dezember 2002), zweimal Flüssigseife mit Mandelöl, eine angebrochene Dreierpackung Seife mit Fliederduft. Sie erkennt die Verpackung sofort. Die Seife stammt aus dem Laden ihres Vaters. Er hat erzählt, dass Herr Probsthof, der Mann, dem all diese Dinge gehören, ab und zu bei ihm einkauft.

Die unterste Schublade ist leer. Vielleicht sind Standardschränke von IKEA einfach zu groß, wenn man allein lebt, überlegt Mia. Der Gedanke macht sie traurig. Sie schließt die Schublade und versichert sich, dass alles genauso aussieht wie vorher.

Sie ist nicht nur zum Schnüffeln auf Klo gegangen. Sie muss tatsächlich. Dringend sogar. Ihr Blick fällt auf die WC-Bürste in der verchromten Halterung. Dann greift sie nach dem Toilettenpapier, das sehr dick und weich aussieht. Bestimmt vierlagig, denkt sie.

Sie zieht ihre Jeans herunter. Mit einem metallischen Klirren landet die Gürtelschnalle auf den Fliesen, ihre Turnschuhe auf dem kleinen U-förmigen WC-Vorleger verschwinden unter dem Jeansstoff, der sich wie eine knotige Wurst um ihre bleichen Fußknöchel legt.

Sie hockt sich über die Toilettenschüssel, schließt die Augen und lässt die Arme hängen. In der Wohnung eines alleinstehenden Mannes würde sie sich nie auf die Klobrille setzen, sie lebt schließlich mit einem Mann zusammen, der aus Überzeugung im Stehen pinkelt, und weiß allzu gut, was dabei alles schiefgehen kann. Sie spürt, dass der Urin laufen will, und spannt die Oberschenkelmuskulatur ein wenig stärker an. Dann bemerkt sie den Fußabdruck in dem viereckigen Duschbecken in der Ecke und wundert sich. Der Abdruck ist groß und hellbraun, die Ränder sind ein wenig verlaufen. Wasser tropft von dem schlichten weißen Duschvorhang in das flache Becken. Es ist ganz offensichtlich noch gar nicht so lange her, dass Herr Probsthof geduscht hat. Aber wieso ist er mit Schuhen in die Dusche gestiegen?

Mia betrachtet den Fleck fasziniert.

Schade eigentlich, denkt sie, dass ihre Beobachtungsgabe zu nichts taugt. Sie verschafft ihr keine Anerkennung, sie verdient kein Geld damit und damit brüsten kann sie sich auch nicht, weil all ihre kleinen Beobachtungen im Endeffekt niemanden interessieren. Im Grunde genommen nicht mal sie selbst.

Da vernimmt sie ein eigenartig hohles Geräusch, das sie nicht sofort einordnen kann, und schon geht alles ganz schnell: Etwas spritzt an die Innenseiten ihrer Oberschenkel.

„Was zum…!“, entfährt es ihr.

Der Deckel, denkt sie, der Deckel war nicht oben. Herr Probsthof ist ein so ordentlicher Mann, dass er den Toilettendeckel wieder nach unten klappt, nachdem er sich erleichtert hat.

Mia macht instinktiv das Falsche, und zwar einen Schritt nach vorn. Die warme Flüssigkeit läuft an ihren Beinen herab und tropft in die Jeanswurst zu ihren Füßen, spritzt aber auch auf den flauschigen WC-Vorleger und die Fliesen. Sie versucht, den nicht übermäßig starken, aber steten Urinstrahl aufzuhalten, aber es geht nicht. Bis ihr einfällt, sich einfach in die Dusche zu stellen, ist ihre Blase fast leer. Mit den letzten hellgelben Tröpfchen spült Mia den geheimnisvollen Fußabdruck in den Abfluss.

Bestandsaufnahme. Alles gelb und nass.

Wow, denkt Mia, was für ein Bild der Verwüstung.

Sie beißt sich auf die Lippen.

Pisse. Literweise.

Oh Mann, wie peinlich, murmelt sie. Scheiße. Wenn das einer merkt.

Mit zitternden Händen und immer noch heruntergelassenen Hosen steigt Mia aus der Dusche und geht auf Zehenspitzen zur Toilette hinüber, zieht an der Klopapierrolle und reißt ein langes Stück ab. Die Halterung quietscht. Mia blickt an ihren dünnen Beinen hinunter und betrachtet den dunklen Fleck, der sich auf dem Jeansstoff zwischen ihren Füßen gebildet hat.

Es hilft alles nichts.

„Tja“, flüstert sie, „dann werde ich wohl mal saubermachen.“

Als sie den Toilettendeckel anhebt, um das zusammengeknüllte Klopapier in die Schüssel zu werfen, läuft die blassgelbe Flüssigkeit zu beiden Seiten an dem Porzellansockel herunter.

Magdalena und der schwule Architekt

17.11.2002

Er wohnt jetzt hier. Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Irgendwie hat es sich so ergeben.

Er ist ein Freund von einem Freund von einem Freund und neu in der Stadt. Ich habe mich wohl dazu verpflichtet gefühlt, ihn bei mir aufzunehmen. Zuerst sollte es nur für ein paar Tage sein, aber dann ist er noch einen Tag länger geblieben. Und noch einen Tag. Man kennt das ja.

Eines Morgens stand er also auf meiner Fußmatte. Er hatte nichts dabei außer einer Aktentasche aus Leder. Als ich sie sah, dachte ich:

„Typisch.“

Es fehlten nur noch die gespitzten Bleistifte hinter den Ohren und die Papierrollen unterm Arm. Ich habe ein zugegebenermaßen altmodisches Bild von Architekten.

Davon abgesehen, dass der Mann auf meiner Fußmatte wie ein richtiger Architekt aussah, sah er auch noch richtig schwul aus. Seine Finger waren so gepflegt, dass ich mich schämte und die ganze Zeit damit beschäftigt war, meine abgekauten Nägel vor ihm zu verbergen. Ich steckte meine Hände in die Taschen meiner grünen Jogginghose (für die hätte ich mich eigentlich eher schämen sollen) oder verschränkte die Arme hinter dem Rücken.

Als er sich mir vorstellte, grinste er breit und zeigte mir seine strahlend weißen Zähne.

„Ich heiße Arne“, sagte er und streckte mir seine perfekte Hand hin.

Ich hielt sie unsicher fest und erwiderte:

„Magdalena. Angenehm.“

Dabei dachte ich, dass angenehm ein komisches Wort ist.

Wir setzten uns in die Küche.

Meine Küche besteht aus einem mit Duplo-Bildern (Fußball-WM 1990) beklebten Hängeschrank mit ausgeleierten Scharnieren, einem Kühlschrank, der so laut brummt, dass ich die Küchentür geschlossen halten muss, wenn ich die Nachrichten im Wohnzimmer verstehen will, zwei verklebten Herdplatten und einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen, die ich auf dem Sperrmüll gefunden habe. Ich weiß, dass meine Mutter sie am liebsten mit Desinfektionsspray einsprühen würde, wenn sie mich besucht.

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