„Ach du. Mama hat schon gesagt, dass du kommst.“
Damit ließ er mich am Eingang stehen. Tommy, der 12-Jährige, rief aus seinem Zimmer: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Onkel Mattes!“ Ich heiße gar nicht Mattes, ich heiße Joachim. Aber den Namen mag ich nicht, und eigentlich nennen mich alle Mattes, schon seit Schulzeiten.
Moni hatte eine Schürze über ihr rotes Lieblingskleid gebunden, ihre blonden Haare zum Pferdeschwanz gebunden und stand am Herd, mit zwei großen Schnitzeln in der Pfanne beschäftigt. Der Salat war schon fertig, und es gab Bratkartoffeln dazu. Es roch gut und ich bekam einen Riesenappetit.
„Tommy, deck doch schon mal den Tisch!“ rief sie in Richtung Kinderzimmer.
„Wieso immer ich?“
„Weil ich sonst dein Schnitzel Onkel Mattes gebe, der guckt schon so gierig.“
Tommy kam aus seinem Zimmer und suchte mürrisch Teller und Besteck zusammen. Inzwischen goss Moni uns zwei Gläser Wein ein.
„Geh doch mal zu John, der hat da ein Problem mit seinem Computer und ich kann ihm nicht helfen.“
„Ja, meinst du, ich kann ihm helfen? Wenn’s nicht am rausgefallenen Stecker liegt, dann weiß ich auch nicht weiter.“
Trotz meiner Proteste schob Moni mich in Richtung Kinderzimmer. Ich weiß nicht, warum sie glaubt, ich könnte auch nur im Entferntesten als Rollenmodell für ihre Jungs herhalten.
„Was ist denn das Problem?“ fragte ich lässig. John ist ungefähr so groß wie ich, allerdings deutlich schlanker. Und natürlich jünger.
„Ich habe eine neue Soundkarte eingebaut, und seitdem funktioniert er nicht mehr.“
„Hast du schon mal runtergefahren und neu gestartet?“
John schickte mir einen mitleidigen Blick zu. Was war jetzt wieder falsch? Das war immer das erste, was die Leute vom Support-Center sagten, wenn ich mal mit einem Problem anrief. Manchmal half es auch tatsächlich.
„Hier, halt mal!“ John hielt mir einen Schraubenzieher hin. Was sollte das jetzt werden? Aber ich nahm ihn doch, weil John anscheinend nur seine Hände frei haben wollte, um etwas aus seinem Computer raus zu ziehen. Prompt fiel mir das Ding aus den Händen.
„Was machst du denn da?“ fragte John, als er mich auf allen vieren unter dem Tisch rumkriechen sah.
„Hier, dir ist eine Schraube runtergefallen, vielleicht brauchst du die?“
„Mensch ja, die hab ich überall gesucht!“ John strahlte glücklich, was mich merkwürdigerweise mit Stolz erfüllte.
Gegen 20 Uhr saßen wir an einem Zweiertisch in Monis Lieblingsitaliener mit Blick auf den Ludwig-Kirchplatz. Wie immer bestellten wir eine gemeinsame Vorspeisenplatte, einen Amarone Corte Brà 2006, als Hauptgang wählte sie Pasta mit Riesengarnelen, und ich nahm Merluzzo Fritto su puré di patate a tartufo piemontese.
Das Gespräch umkreiste noch immer die Essgewohnheiten und Eigenheiten ihrer Söhne, wobei meistens sie redete und ich lediglich von Zeit zu Zeit dazwischen warf: „Ach, ich war auch nicht anders in dem Alter.“ Aber ich merkte schon, dass sie eigentlich von etwas anderem reden wollte. Mehrmals hatte sie bereits einen Satz begonnen und dann wieder abgebrochen. Als sie jetzt zum dritten Mal begann: „Mattes, sag mal“, und dann wieder nur eine Gabel von meinem Kartoffelbrei klaute, hakte ich nach: „Jaaa?“
„Wie geht’s dir eigentlich?“
„Wieso, wie soll’s mir denn gehen? Na gut, wenn ich hier mit dir sitze.“ Ich versuchte, charmant zu grinsen, obwohl ich weiß, dass das nicht der Eindruck war, der rüberkam.
„Also, alles gesund? Keine Sorgen, oder Probleme?“
„Doch, wenn du es wirklich wissen willst!“ Ich senkte die Stimme und warf schnell einen Blick nach links und nach rechts. „Mein Friseur ist im Urlaub und ich traue mich nicht zu seiner Vertretung. Was meinst du, kann ich die Haare drei Wochen lang wachsen lassen, oder sieht das dann lächerlich aus?“
„Mensch, Mattes, kannst du nicht mal ernst sein. Uwe sagt, du hättest so komische Sachen gesagt, als ob du krank seist.“
„Uwe? UWE? Redest du von meinem Steuerberater?“
„Von wem denn sonst? Er hat mich heute angerufen, hast du was dagegen?“
Ich antwortete nicht. Was für Abgründe taten sich denn da auf?
„Also, wenn du es genau wissen willst: Wir beide sind zusammen.“
Donnerschlag! „Uwe Steuerberater und du, ihr seid ZUSAMMEN?“
Die Nachbarn vom Nebentisch guckten neugierig zu uns rüber und Moni rollte die Augen.
„Mann, ich glaub’s einfach nicht! Uwe? Der ist doch total alt. Der ist schon über vierzig!“
„Mattes, ich bin 37! Das Alter spielt doch keine Rolle. Was ist denn nun, freust du dich für mich?“
„Ob ich mich für dich freue? Worüber genau soll ich mich denn freuen?“
Wieder rollte Moni die Augen. „Mein Gott, seit vier Jahren heule ich dir jetzt was vor, wie schwer es ist als alleinerziehende Mutter, wie einsam ich mich fühle, und so weiter und so weiter, und jetzt bin ich wieder glücklich. Merkst du das nicht? Selbst John sagt, ich strahle irgendwie.“
Hatte sie gestrahlt? Jetzt tat sie es jedenfalls nicht.
„Ja, also, wenn du glücklich bist, dann freue ich mich natürlich. Für dich.“ Für Uwe weniger. Warum hatte das Schwein mir vorhin nichts davon erzählt?
Als ob sie meine Gedanken erraten hätte, fuhr Moni fort: „Er hat vorhin angerufen, um mir zu sagen, dass du bei ihm warst, und dass er sich schlecht fühlte, weil er mich nicht erwähnen konnte. Er wollte, dass du es erst von mir erfährst.“
Jetzt strahlte sie doch.
„Hm, ach so. Na ja, jetzt weiß ich es ja.“ Das war wohl doch nicht die richtige Antwort gewesen, Moni sah irgendwie enttäuscht aus. Das tat gut, ich wollte nicht, dass sie so glücklich aussah. Manchmal kann ich auch ein bisschen gemein sein.
„Ich wollte dich was ganz anderes fragen. Wegen Karli.“
Karli war Monis älterer Bruder gewesen, der mit 19 an einer Überdosis gestorben war. Moni und Karli hatten sich nahe gestanden und ich wusste, dass Moni noch immer um ihren Bruder trauerte. Es genügte, den Namen zu erwähnen, und ihr Blick verdüsterte sich.
„Karli? Wie kommst du denn jetzt auf Karli?“
„Ach, ich hab da so was gelesen heute. Weißt du, Männer, also junge Männer, also Männer unter 35, die sterben am häufigsten durch Suizid. Man sagt Suizid, nicht mehr Selbstmord, weißt du das? Da musste ich irgendwie an Karli denken. Meinst du, es war Selbstmord damals? Also, ich meine, meinst du es war Suizid?“
Moni guckte mich an, als hinge mir ein toter Wurm aus der Nase. Aber dann kriegte sie sich wieder ein und sie sagte leise: „Drogen zu nehmen ist doch sowieso Selbstmord auf Raten. Ob er da die letzte Dosis absichtlich oder unabsichtlich eingenommen hat, ist da gar nicht so wichtig. Findest du nicht?“
„Hat er denn einen Abschiedsbrief oder so was in der Art hinterlassen?“
Wieder brauchte Moni eine ganze Weile, ehe sie antwortete. „Nein, nicht wirklich. Aber er hat mich am Tag vorher gefragt, ob es für mich schlimm wäre, wenn er sterben würde. Komisch nicht?“
Ja, das fand ich auch. Das konnte kein Zufall sein!
„Mein Gott, ich war 18“, herrschte Moni mich an, als ob ich ihr einen Vorwurf gemacht hätte. „Ich wusste überhaupt nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich hab halt gesagt, Mensch, krieg ich dann deine Stereoanlage? Er hat gegrinst, ich hab gedacht, er meint das witzig.“
Moni wischte sich ein paar Tränen aus den Augen. Ich konnte ihr Problem irgendwie nachvollziehen: Diese Art von Missverständnis passierte mir ganz häufig. Ich machte einen Witz, und die anderen dachten, ich meinte es ernst. Oder die anderen meinten etwas ernst, und ich dachte, es sei ein Witz. Aber bis jetzt war noch nie jemand daran gestorben.
„Was hättest du denn sagen wollen?“
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