Der finstere Kerl lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wirkte sehr selbstsicher, beinahe gelangweilt.
„ Und warum kommst du nun zu mir?“ fragte er sein Gegenüber.
Der dicke Mann wand sich ein wenig. Immer wieder schaute er durch den Raum um sicher zu gehen, dass niemand lauschte. Albin spürte seinen unruhigen Blick über sich hinweg streichen.
„ Ich kann diese Risiken nicht länger eingehen. Ich habe schon zwei Schiffe bei den Inseln verloren, ein Vermögen“, sagte er leise.
„ Du wirst sicher nicht so schnell verhungern“, antwortete der andere und grinste kalt. „Und dass es draußen gefährlich geworden ist, weiß ich selbst. Wenn es nicht der südländische Abschaum ist, der die Schiffe kapert, dann verschlingt sie das Meer. Mehr Stürme und Ungeheuer, als ich je gesehen habe.“
„ Es hat Jahrzehnte gedauert, meine Flotte aufzubauen“, fuhr der dicke Mann fort. Er war also einer jener reichen Kaufleute aus Ovesta, die Probleme hatten, ihre Waren sicher zu transportieren. „Irgendwann kommen wieder sichere Zeiten. Dann werden meine eigenen Frachter wieder auslaufen.“
„ Und ich soll also mein Schiff für ein paar Flaschen Wein riskieren?“
„ Ist das nicht das, was du tust? So hat man es mir gesagt.“
„ Dann wurdest du nicht belogen. Wenn der Preis stimmt, laufe ich aus, ganz egal wohin und mit welcher Ladung.“
Der Kaufmann schien erleichtert. „Dann kommen wir also ins Geschäft?“
„ Wie ich schon sagte. Wenn der Preis stimmt.“
„ Ich brauche eine Sicherheit“, sagte der Kaufmann und legte die Hände um seinen Krug mit dampfendem Würzwein. „Die Waren, die ich dir anvertraue sind kostbar. Und du bist…“
„ Ich bin was?“ fragte der Seemann herausfordernd. „Etwa nicht vertrauenswürdig?“
„ Deine Männer sind Verbrecher“, stieß der Kaufmann hervor. „Nicht weniger Abschaum als die südländischen Piraten, die meine Schiffe versenken.“
„ Und trotzdem kommst du zu mir. Es stimmt also, was man sagt. Deine Gier ist größer als jedes Schamgefühl.“
„ Wage es nicht, mich über Moral und Anstand zu belehren“, zischte der Kaufmann.
Die Männer starrten einander für einen Moment an, ein stummes Kräftemessen. Dann nahm der Seemann einen tiefen Schluck aus seinem Krug.
„ Es gibt keine Sicherheit“, sagte er langsam. „Wenn ich deine Waren stehle, sind sie für dich verloren. Aber dann kann ich diesen Hafen nie wieder anlaufen und das wäre schlecht für mich. Im Moment scheint sich hier ein gutes Geschäft für uns zu entwickeln. Viele Händler sehen ihre Lämmchen lieber im Trockenen in diesen Zeiten und sind bereit, ein absurdes Vermögen für eine Überfahrt nach Samatuska zu bezahlen. Ich verdiene mehr, wenn ich für euch arbeite, als wenn ich euch bestehle.“
Der Kaufmann schnaubte. „Absurd ja. Das habe ich schon gehört. Aber ich habe keine Wahl, wenn ich meine Kunden nicht verlieren will. Ich bezahle, was immer du verlangst.“
Selbst Albin stockte der Atem bei dem ungeheuren Betrag, den der Seemann für seine Dienste verlangte. Doch die Männer wurden sich einig und besiegelten ihren Handel mit Handschlag. Sie vereinbarten noch ein paar Details für die Reise. Dann druckste der Kaufmann ein wenig herum.
„ Wie ist es draußen auf dem Meer in diesen Tagen?“ fragte er neugierig. „Es liegt schon viele Monate zurück, dass ich selbst in Samatuska war.“
„ Die See ist düster geworden“, antwortete der andere. „Mein Schiff hat schon viele Gefahren gesehen und doch glaube ich, dass es noch tausende gibt, die wir nicht kennen. Die wir uns nicht einmal vorzustellen wagen. Aber mach dir keine Gedanken darum. Es gibt nichts - nichts - was meine Männer fürchten. Weder auf dem Wasser, noch an Land.“
„ Aber wie kommt ihr noch durch bis nach Samatuska? Es soll keine sichere Route mehr geben, sagen meine Kapitäne.“
Der Seemann warf ihm einen unheimlichen Blick zu. „Wir kennen Wege, die in keiner Karte verzeichnet sind. Weit weg von den üblichen Routen. In magischen Gewässern.“
Die große Narbe auf Albins Rücken prickelte.
„ Was ist los dort unten im Südland?“ fragte der Kaufmann.
Der Seemann zuckte die Schultern. „Futush ist verrückt geworden, aber das konnte jeder vorhersehen, der Augen im Kopf hat. Der kleinen Prinzessin wird die Feierstimmung bald vergehen. Mir soll es recht sein. Krieg ist immer gut für das Geschäft.“
„ Du sprichst von Krieg? Ich denke, davon sind wir weit entfernt. Aber ich habe die Prinzessin gesehen und ich rate dir, sie nicht zu unterschätzen. Irgendwann sitzt sie auf dem Thron und womöglich macht sie eurem Schabernack auf ihren Meeren dann ein schnelles Ende.“
Nun lehnte sich der Seemann ein wenig vor und grinste breit. „Sollte sie das vorhaben, suche ich vielleicht das königliche Schlafzimmer auf und versuche sie umzustimmen.“
Der Kaufmann schüttelte angewidert den Kopf. „Dann ist es also wahr, was man sich erzählt über Kapitän Ared vom Roten Felsen. Dass er vor nichts Respekt hat.“
„ Oh, ich habe großen Respekt. Aber nur vor mir selbst.“
Damit stand der Kapitän auf, er war groß, trug teure Stiefel und einen neuen Mantel aus feinem Leder. An seiner Seite hing ein großes Messer. Albin konnte nicht anders, sein Blick hing an seiner Gestalt, bis er durch die Tür hinausgetreten war. Der Rote Ared war der berüchtigtste Seeräuber zwischen Ovesta und Samatuska. Legenden rankten sich um seine Blutrünstigkeit und seinen Reichtum und die unzähligen Abenteuer, die er erlebt hatte. Und doch war er ein Mann aus Fleisch und Blut. Keiner, dem Albin jemals in der Dunkelheit begegnen wollte, aber doch nur ein Mensch.
Gedankenverloren verließ Albin die Schänke kurz nachdem der Kaufmann gegangen war. Wenn man den Worten des Kapitäns glauben konnte, dann herrschte auf den Meeren bereits Krieg. Dieser Mann neigte sicher nicht zu Übertreibung. Obwohl Albin die Vorstellung mit Grauen erfüllen sollte, verspürte er mit jedem Schritt, den er tat, deutlicher den Wunsch, all das zu sehen, was Ared vom Roten Felsen sehen konnte.
Albin war in Laufschritt verfallen und als er die Eisenfaust erreichte, war er nass bis auf die Haut. Das Wasser spritzte von seinen Stiefeln auf, wenn er durch die Pfützen sprang. Die Fenster des Bergfrieds waren freundlich erleuchtet, wahrscheinlich saßen die Männer beim Mittagessen. Beim Näherkommen sah Albin jedoch, dass Bosco und Dennit unter dem schmalen Vordach saßen und nicht etwa drinnen, wo es warm, trocken und gemütlich war. Ihre Gesichter waren missmutig.
„ Was ist los?“ fragte er. „Wäre es drinnen nicht angenehmer?“
„ Im Moment nicht“, brummte Bosco.
Da hörte Albin, was er meinte. Von drinnen war Rheys ärgerliche Stimme deutlich zu hören. Er schimpfte in einer Lautstärke, die Albin sofort ungewöhnlich fand. Der Zorn, der in seinen Worten mitschwang, war unüberhörbar und jeder, der ihn kannte wusste, dass man ihm aus dem Weg ging, wenn er in dieser Stimmung war.
„ Ist irgendetwas passiert?“ fragte Albin verwundert. Es war lange her, dass er Rheys so erlebt hatte. In den letzten Monaten war er zur Ruhe gekommen.
„ So kann man es eigentlich nicht sagen“, meinte Dennit. Er schien ehrlich verwirrt. „Seit heute Morgen schreit er jeden an, der ihm unter die Augen kommt. Grade ist es, glaube ich, ein Bursche aus der Waffenkammer.“
Im selben Moment stürmte der junge Mann, der gerade Rheys’ Zorn zum Opfer gefallen war, aus der Tür des Bergfrieds an ihnen vorbei. Sein Gesicht war hochrot und er rannte mehr als dass er ging, um nur schnell wieder irgendwo in der Burg unterzukriechen, wo Regen und verrückte Krieger ihm nichts anhaben konnten. Albin hatte soeben den Entschluss gefasst, sich gleichfalls ein gutes Versteck zu suchen, als Rheys in den Regen heraus trat. Düster wie eine Statue und unheilverkündend wie der wolkenverhangene Himmel ragte er über Albin auf.
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