„ Gönnst du den beiden nicht mal ihre Freundschaft? Du weißt, Albin ist absolut vertrauenswürdig“, hatte sie ein wenig wütend entgegnet.
„ Das weiß ich natürlich. Aber wir sprechen immer noch von der zukünftigen Königin. Ihre Ehre darf nicht einmal ansatzweise in Frage gestellt werden. Und Albin ist kein standesgemäßer Umgang mehr für sie.“
„ Du bist wirklich ein Eisklotz“, sagte Jessy spitz.
„ Bin ich das?“ Plötzlich schien er belustigt und die Strenge wich aus seiner Stimme. Das Sonnenlicht ließ seine Augen verführerisch blitzen. Er saß so nah neben ihr, dass sie den Puls an seinem Hals sehen konnte. Am Nachmittag zeigten sich erste dunkle Barstoppeln auf seinen Wangen.
„ Jedenfalls bist du herzlos“, meinte sie, doch es klang schon nicht mehr gereizt.
„ Glaub mir, ich würde es den beiden ebenso gönnen wie du“, antwortete er. „Aber es geht nun einmal nicht.“
Er trank einen Schluck Wasser aus seiner Flasche und verkorkte sie.
„ Steh auf, wir sind noch nicht fertig.“
Jessy ergriff seine Hand und ließ sich aufhelfen. Zu gerne wäre sie sitzen geblieben, hätte die Ruhe des Waldes und den warmen Sonnenschein genossen. Doch wie immer war es kein Spaziergang, zu dem Rheys sie hierher gebracht hatte. Einige Meter entfernt rauschte ein Bach durch sein steiniges Bett, das beständige Murmeln und Plätschern begleitete sie schon seit einer Stunde. Jessy ging zu Gemma hinüber und löste den Strick, mit dem sie die Stute an einem Baum festgebunden hatte. Rheys’ Hengst war nicht angebunden. Er wäre niemals davon gelaufen und kam nun bereitwillig auf seinen Herrn zu. Jessy hatte mit Gemma den Bach durchquert, zuerst an einer flachen Stelle mit wenigen Steinen und sie hatte das Pferd geführt. Rheys wollte, dass die Stute noch mehr Vertrauen zu Jessy aufbaute.
„ Natürlich kannst du sie zwingen, dich überall hin zu tragen“, erklärte er. „Aber es ist besser, wenn sie es bereitwillig tut, weil sie weiß, dass du sie nicht in Gefahr bringst. Du musst ihr Ruhepol sein.“
„ Aber vielleicht bringe ich sie irgendwann in Gefahr“, wandte Jessy ein und erinnerte sich an die schrecklichen Schlachten, die sie mit ihrer treuen Lia durchgestanden hatte.
„ Ja und bis dahin muss sie gelernt haben, dass du das Leittier bist, dem man folgen kann. Tiere sind loyal bis ins Mark. Ihre Hingabe ist absolut bedingungslos und ohne Hintergedanken. Sie haben keine Launen und sind immer ehrlich. Wenn sie einem blind vertrauen, sollte man sie niemals enttäuschen.“
„ Du kennst dich mit der Liebe von Tieren gut aus“, neckte sie. „Viel besser als mit menschlicher.“
„ Dieser Bach ist übrigens eiskalt“, antwortete er trocken. „Du solltest dir deinen Spott sparen, sonst könnte es passieren, dass du nass wirst.“
„ Das würdest du nicht wagen!“
Doch er war bereits in den Sattel gestiegen und trieb sein Pferd weiter flussabwärts. Raba schoss aus dem Unterholz hervor und trabte an seiner Seite. Mit Tieren besaß er tatsächlich eine Engelsgeduld, wohingegen Menschen sich mit nur einem unbedachten Wort seinen Zorn zuzogen. Jessy wurde tatsächlich nass, denn ihre nächste Aufgabe bestand darin, mit Gemma durchs Wasser zu reiten.
„ Ich werde ertrinken“, wandte sie skeptisch ein, als Rheys auf die Stelle deutete, die er für die Durchquerung des Baches ausgesucht hatte. Ungerührt neigte er den Kopf.
„ Sicher nicht. Die Strömung ist hier sehr schwach. Und du sitzt auf dem Pferd, das tausendmal mehr Kraft hat als du. Wenn sie dich hinüber tragen will, wird sie es auch tun.“
Gemma wollte nicht und das machte sie auch sehr deutlich. Sie scheute und drehte sich im Kreis. Rheys ritt voraus, damit die Stute sich sicherer fühlte. Das Wasser reichte ihm bis knapp unter die Knie. Jessy schwappte es bis zu den Oberschenkeln, als sie schließlich doch in die Fluten ritt. Die Kälte durchdrang sofort ihre Hose und ließ sie keuchen. Gemma warf den Kopf hoch und weigerte sich, weiter zu gehen, als sie die Gewalt des Wassers fühlte, das ihre Beine umspülte. Jessy beruhigte sie und schließlich erreichten sie das andere Ufer. Sie freute sich über den Erfolg und lächelte Rheys zu. Er nickte zufrieden.
„ Und nun?“
„ Wir suchen uns eine sonnige Stelle, wo du deine Hose trocknen kannst.“
Jessy gab ihm einen Stoss. „Also darauf läuft das ganze hinaus!“
Er lachte und etwas in ihrer Brust zog sich zusammen. „Du wirst eine Woche bei der Prinzessin wohnen. Und ich bin immerhin kein Eisklotz.“
Trotz der friedlichen Stimmung und der herrlichen Mischung von Sonnenschein und Rheys’ Atem auf ihrer Haut gerieten sie später doch in Streit. Rheys erzählte ihr von dem berühmten Schwertkämpfer, der die Eisenfaust heimsuchen wollte. Er war der festen Überzeugung, dass der Mann Amileehna treffen und womöglich sogar unterrichten wollte.
„ Das ist doch großartig“, sagte Jessy. So wie Rheys über den Mann sprach, empfand er tiefen Respekt und Bewunderung für ihn und das kam bei Rheys selten vor. „Bestimmt kann sie eine Menge lernen.“
„ Sie ist keine Kriegerin“, wandte er ein. „Was auch immer er sie lehren will - sie wird es nicht brauchen.“
Jessy starrte ihn an. „Woher willst du das wissen? Was, wenn es irgendwann Krieg gibt? Soll sie dann in der Burg warten, bis irgendwelche Männer das für sie klären? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sie das tun würde.“
Rheys Miene verfinsterte sich. „Bis sie Königin ist, werden noch Jahre vergehen. Wenn sie erwachsen ist, wird sie anders denken. Und verstehen, dass sie als Frau…“
Jessy setzte sich auf. „Was? Dass sie als Frau - was? Ich bin auch eine Frau und du lässt mich all das hier lernen, weil du denkst, ich kann es. Warum sollte sie es nicht können?“
„ Es wird nicht ihre Aufgabe sein. Sie hat andere, die für sie kämpfen.“
Jessy schüttelte den Kopf. „Alle maßen sich an, für sie zu entscheiden. Was sie tun und lassen soll, wen sie heiraten soll, wie sie sich benehmen soll. Das ist doch zum Kotzen.“
Rheys runzelte die Stirn, wie immer, wenn sie Ausdrücke gebrauchte, die er nicht kannte.
„ Sie ist die Prinzessin“, sagte er schroff. „Es gehört sich nun einmal so, dass andere für sie entscheiden.“
„ Sag du mir nicht, was sich gehört und was nicht“, zischte sie und zog ihre Hose an.
Er kniff die Augen zusammen. „Gibt es irgendetwas, was du mir sagen möchtest?“
Plötzlich spürte sie wieder eine Spur von der Kälte, die sie anfangs so schrecklich an ihm gefunden hatte. Alles in ihr strebte mit einem Mal von ihm fort, obwohl sie noch vor ein paar Minuten seine Nähe so sehr genossen hatte. Als sie nicht antwortete, klang seine Stimme eisig. Zu allem Überfluss schien er ihre Gedanken zu lesen.
„ Ich glaube nicht, dass ich dir jemals irgendetwas aufgezwungen habe. Und du hast immer gewusst, worauf du dich einlässt.“
Jessy antwortete immer noch nicht, sondern fuhr fort, sich hastig anzuziehen. Ein dicker Kloß saß in ihrer Kehle.
„ Vergiss es“, sagte sie lahm und ging zu ihrem Pferd. „Lass uns heim reiten.“
Schweigend kehrten sie in die Eisenfaust zurück. Jessy fühlte sich elend. Nein, er hatte sie nie gezwungen. Sie war es gewesen, die mit all dem angefangen hatte. Noch immer spürte sie Hitze in ihrem Körper aufsteigen, wenn sie an die schicksalhafte Nacht in Grimmstadt dachte, als sie in sein Schlafzimmer gekommen war. Wochenlang hatte er versucht, sie von sich fern zu halten. Ihm war immer klar gewesen, dass es kein Zurück mehr gab, wenn er seiner Begierde einmal nachgegeben hatte. Und schon nach kurzer Zeit war das auch Jessy bewusst geworden. Doch dass er kein Mensch für eine romantische Beziehung war, hatte sie ebenfalls gewusst. Und sie hatte es akzeptiert. Warum jetzt nicht mehr? Wenn er so abweisend und ruhig war, hasste sie ihn auf eine so leidenschaftliche Art und Weise, wie sie ihn auch liebte. Wie konnte man diese beiden Gefühle gleichzeitig für einen Menschen haben?
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