„ Wie ich sehe trägst du das Abzeichen noch nicht, Rheys“, sagte Efrem nun. „Macht Althan seinen Stuhl nun doch nicht frei für dich?“
„ Das wird er“, meinte Bosco voller Überzeugung. „Es ist nur eine Frage der Zeit. Du weißt, wie die alten Krieger nunmal sind. Am Ende haben sie Angst, dass sie in einem Kämmerchen vergessen werden, wenn sie ihren Posten zu früh verlassen.“
„ Dann ist es wahr?“ fragte Mael neugierig. Er musterte Rheys voller Bewunderung. Albin hatte nie zwei unterschiedlichere Männer gesehen. Rheys, finster und undurchschaubar wie immer, Mael der Inbegriff von Fröhlichkeit. „Du wirst die Garde anführen?“
Rheys nickte knapp. Diese scheinbare Gleichgültigkeit war nicht echt, das wusste Albin. In Wahrheit war Rheys nur sehr bescheiden und auch ein wenig überwältigt von der Ehre, die ihm, einem einfachen Jungen aus einem Fischerdorf, zuteil werden sollte. So einen Einblick in sein Gefühlsleben gewährte er natürlich nur Jessy, niemandem sonst.
„ Sobald Althan den richtigen Zeitpunkt für gekommen hält, wird er es mich wissen lassen“, sagte er ruhig.
Efrem lachte. „Gib doch zu, dass du es kaum erwarten kannst, Junge. Alle wissen, dass es längst an der Zeit ist. Ich glaube nicht, dass man dir noch irgendetwas beibringen kann.“
„ Mir vielleicht nicht“, antwortete Rheys. „Aber irgendjemand hier wird etwas lernen. Althan hat Nachricht erhalten, dass uns ein weiterer hoher Besuch ins Haus steht. Bran Borunpan hat sein Kommen angekündigt.“
Die Männer verstummten und auch Albin blieb der Mund offen stehen. Der Ehrwürdige Lehrmeister des Westens war eine Legende unter den Soldaten. Seit vielen Jahren lebte er zurückgezogen in den Wäldern und niemand wusste, ob er überhaupt noch am Leben war. Doch für jeden Krieger in Westland bestand daran kein Zweifel. Manche, die ihn auf dem Schlachtfeld gesehen hatten, behaupteten, er sei unsterblich. Er galt als bester Kämpfer im Königreich und hatte sein Wissen nur an ausgewählte Schüler weitergegeben. Doch diese Zeiten waren vorbei. Bran Borunpan hatte ein Leben in Frieden gewählt und das Kämpfen aufgegeben. So sagten es zumindest die Gerüchte.
„ Jahrzehnte lang verschanzt er sich im Wald und ausgerechnet jetzt, wo die Stadt überquillt vor Besuchern, kommt er her?“ fragte Dennit ungläubig. „Was kann der Grund dafür sein?“
„ Nun, Westland steht kurz davor, eine Frau auf den Thron zu setzen“, sagte Mael nachdenklich. „Das alleine ist schon eine Sensation. Aber wenn man allen Erzählungen glauben darf, ist sie auch noch eine Kriegerin. Sollte das nicht Grund genug sein?“
Wenn der Lehrmeister tatsächlich kam, um Amileehna zu sehen oder gar zu unterrichten, würden fortan nicht nur alle Mädchen im Reich neidisch auf sie sein, sondern auch die jungen Männer.
„ Wir werden es erfahren“, meinte Rheys, der auf Spekulationen nichts gab.
Für den Rest des Abends gerieten die Männer geradezu ins Schwärmen und erzählten davon, wie sie als Kinder Geschichten über den Lehrmeister gehört und immer davon geträumt hatten, ihm zu begegnen. Albin schwieg und grübelte. Einmal mehr wurde ihn deutlich, dass er doch nicht so war, wie die Wölfe. Er war kein Krieger. Ob er in den Genuss kommen würde, Bran Borunpan kämpfen zu sehen oder nicht, war ihm gleich. Ihn interessierte nur - und das brennend - was der Mann mit Amileehna zu besprechen hatte. Was war so wichtig, dass er deshalb sein Exil verließ?
Albins Blick glitt von dem Schriftstück unter seinen Händen hin zu der Schale mit roten Beeren, die auf seinem Tisch stand. Doch er konnte die kleinen, noch fast unreifen Früchte nicht wirklich sehen. Seine Sinne hatten sich nach innen gerichtet, ohne dass er das wollte. Er lauschte, ohne zu wissen worauf. Sein Atem und sein Herzschlag hallten laut in seinem Kopf wider. Da waren Stimmen über ihm. Er konnte die steinernen Mauern um sich fühlen und das Erdreich, das den Kellerraum umgab, in dem er saß. Dann Schritte. Jemand näherte sich schnell. Die pulsierende Energie dieses anderen lebenden Wesens, das durch Stein und Luft zu ihm heran kam, leuchtete vor Albins innerem Auge, wie eine Fackel. Jessy. Es war ganz eindeutig Jessy. Er war sich dessen völlig sicher und konnte trotzdem nicht annähernd erklären, woher er es wusste.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ ihn hochschrecken. Seine Kehle war völlig ausgetrocknet. Jessy streckte den Kopf herein. Sein eigenes Erschrecken über das, was er soeben erlebt hatte, musste sich in Albins Gesicht abzeichnen, denn Jessy hob besorgt die Brauen.
„ Was ist denn mit dir los? Hast du ein Gespenst gesehen?“
Albin schluckte gegen die Heiserkeit an und trank etwas Wasser. Sein Gesicht war rot, das spürte er genau. Und genauso spürte er ihren forschenden Blick. Schnell schüttelte er den Kopf. Jessy kam näher.
„ Lüg mich nicht an! Was ist mit dir?“
Albin wischte sich mit dem Ärmel über die Nase. Eine kindliche Geste, die er in Momenten höchster Unsicherheit noch immer nicht unterdrücken konnte. Jessy kniff die Augen zusammen. Ein Teil von ihm wollte sofort alles erzählen und sie endlich ins Vertrauen ziehen. Er musste einfach mit jemandem darüber sprechen. Aber seine Vernunft hielt ihn zurück. Jessy lehnte sich gegen seinen Tisch und warf einen Blick auf die Seite, an der er gerade arbeitete. Erst jetzt fiel ihm ihre ungewöhnliche Kleidung auf. Sie trug eine dunkelgraue Hose, ein weißes neues Hemd und darüber ein schwarzes Wams aus dickem Leder, in das ein schlichtes Muster eingekerbt war. Albin staunte.
„ Du trägst die Uniform der Wölfe?“
Jessy richtete sich auf und sah an sich hinunter. „Nur die Farben, nicht das Wappen. Ich glaube, Rheys wollte mir bloß den Rücken stärken. Mir zeigen, dass die Wölfe hinter mir stehen. Viele in der Burg glauben, es wäre unpassend und unnötig, was ich tue.“
Albin nickte. Er hatte schon bemerkt, dass die Hofdamen Jessy das Leben schwer machten.
„ Du siehst jedenfalls sehr respekteinflößend aus“, meinte er und wies auf das schlanke Schwert, das an ihrer Seite hing. Zärtlich strich sie über den silbernen Knauf, der wie eine sich öffnende Knospe geformt war. Sie liebte diese Waffe, nicht nur, weil Rheys sie ihr geschenkt hatte. Sondern weil sie ein Teil ihres Körpers war.
„ Ich hoffe, dass ich es nicht brauchen werde. Am besten niemals.“ Sie seufzte. „Alle lieben Amileehna. Niemand wird ihr Schaden zufügen wollen. Es wird bestimmt nichts passieren.“
„ Ich könnte mir vorstellen, dass Rheys diese Denkweise nicht gutheißen würde…“, meinte Albin. „Jedenfalls ist das mit der Kleidung eine nette Geste.“
„ Das ist wohl das Mindeste dafür, dass ich sein Bett wärme.“
Albin stieg wieder die Röte ins Gesicht. Gleichzeitig wunderte er sich. Klang da eine Spur von Bitterkeit in ihren Worten mit? Eigentlich sprach sie niemals über ihre Beziehung zu Rheys und bisher hatte er immer den Eindruck gehabt, dass die beiden sich sehr gern hatten. Doch dieses Thema behagte ihm ebenso wenig wie ihre forschenden Fragen nach seinem Gemütszustand. Jessy kicherte leise und strich ihm über das rote Haar.
„ Schon gut, entschuldige. Was machst du da?“
Sie wandte sich wieder seinen Aufzeichnungen zu. Erleichtert begann Albin zu erzählen.
„ Ich möchte gerne alle Details der verschiedenen Gegenstände festhalten, die wir gefunden haben. Hier und in den anderen Ländern. Ich beschreibe auch die Orte und Umstände, wie wir sie gefunden haben.“
Gerade wollte er ihr weitere Seiten seines Buches zeigen, als er merkte, wie sich ihr Körper versteifte. Auf der anderen Seite des Arbeitstisches stand auf einem Hocker eine kleine Truhe mit geöffnetem Deckel. Er hatte sich die Kiste bringen lassen und ihren Inhalt sorgsam katalogisiert. Dass sie noch dort stand, hatte er völlig vergessen. Jessy ging langsam hinüber und schaute hinein.
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