„Hey Babe, bist du noch da?“
„Ja“, kam die schwache Antwort zurück, „der Chip ist drin.“
„Ich bin so stolz auf dich. Rafa übrigens auch. Dem ist so schlecht, dass er wohl die nächsten Tage nicht aus dem Bett kommt.“
Mary lächelte.
„So, jetzt rufe ich Sven an, der gibt mir deine Position durch und morgen früh bin ich bei dir und nehme dich mit zu mir nach Hause. Dort bist du in Sicherheit und bleibst auch eine Weile, ob du nun willst oder nicht. Hast du gehört?“
„Ja, du glaubst gar nicht, wie gerne ich jetzt bei dir wäre.“
Marys Körper war am Ende. Sie zitterte am ganzen Leib. Langsam stand sie auf und tastete sich zum Waschbecken um ihre blutigen Hände zu waschen.
„Mir ist ganz übel, ich glaube, mein Kreislauf macht gerade schlapp.“
„Halte dich irgendwo fest, dass du nicht umkippst, und trinke einen Schluck Wasser.“
Mary hörte noch, wie Be Wasser sagte und kotzte in hohem Bogen ins Waschbecken. Vollkommen erledigt hielt sie sich am Beckenrand fest.
Die beiden Männer konnten das alles mit verfolgen und waren immer noch fassungslos über das, was Mary gerade eben getan hatte. Be musste sich schwer konzentrieren, dass seine Stimme ausgeglichen und beruhigend klang.
„He Babe, geht es jetzt besser? Du bist ein tapferes Mädchen. Rafa hätte das nicht geschafft! Außerdem ist er total besoffen.“
„Ich bin übershaupt nicht bezoffen“, lallte Rafa von der Couch herüber, drehte sich ein wenig zu heftig und krachte auf den Boden, „aua, verdammt! Wieso ist denn das Sofa hier schon aus.“
Mary schmunzelte trotz ihrer Erschöpfung. „Be ...?“
„Ja Kleines?“
Sie war jetzt wieder den Tränen nah. Irgendwie wollten die gar nicht mehr verschwinden. Tatsächlich machte im Moment ihr Körper sowieso was er wollte. Sie setzte sich wieder auf den Badezimmerboden und heulte wie ein Schloßhund. Die Anspannung und die Angst waren zu groß und sie musste dies alles jetzt rauslassen.
„Warum ...“
Be hörte sie weinen und fragte sanft nach. „Was meinst du?“
„Warum immer ich? Ich will nicht mehr!“
Be konnte sie sehr gut verstehen, waren doch die letzten Tage und Stunden sehr aufregend.
„Das kann ich dir leider nicht sagen, Liebling, Vielleicht bist du ja eine einsame Kriegerin, die das aushalten muss.“
„Nein, muss ich nicht!“
„Ich glaube, das hast du soeben bewiesen. Du schaffst alles. Nicht einmal die komplett irre Colin hätte sich einen Chip verpasst.“
Mary konnte jetzt nicht mehr und wollte nur noch nach Hause, all dies hinter sich lassen.
„Holst du mich?“
„Natürlich Schatz. Das habe ich dir doch versprochen. Hab keine Angst, morgen bin ich bei dir, hole dich da raus und dann fahren wir ein paar Tage nach Hawaii. Wie findest du das?“
„Das wäre toll!“ Schweißgebadet und zitternd saß sie zusammengekauert am Boden, umklammerte ein Handtuch und träumte davon, sich einfach weg zu beamen. Aber da war wohl der Wunsch des Gedankens größer als die nackte Wahrheit. Sie dachte an Be, die Jungs und Hawaii und versuchte ruhiger zu werden. Mit der Bande hatte sie immer so viel Spaß. Ein zaghaftes Lächeln wurde auf ihren Lippen sichtbar und langsam viel die Anspannung von ihr ab.
„Wie geht es Rafa?“
„Och dem geht’s bestens. Wenn er jetzt auch noch anfängt Trinklieder zu singen, werfe ich ihn aus dem Fenster.“
„Be ... vielen Dank, dass du da bist. Es tut mir leid, dass du ausgerechnet mir begegnen musstest.
„Spinnst du? So viel Spaß wie mit dir hatte ich mein ganzes Leben noch nicht.“
„Tas is richtig, so luztig war der Brummbär noch nie“, Rafa lachte laut und schlug sich beim Versuch aufzustehen den Kopf an der Tischplatte an.
„Der hat morgen höllische Kopfschmerzen“, sagte Be.
„Das hast du bestimmt auch wegen mir“, gab Mary zur Antwort.
„Lass dir mal wegen mir keine grauen Haare wachsen, wäre schade! Bist du jetzt schon ein bisschen ruhiger?“
„Ja, du hast es wieder mal geschafft. Wie Humphrey schon sagte, du bist ein “Beruhiger“, oder vielmehr ein Mords Kerl. Bilde dir aber bloß nichts darauf ein. Er ist stockschwul!“
„Meinst du, ich hätte Chancen bei ihm?“
„Au Backe, das möchte ich mir gar nicht erst vorstellen. Außerdem musst du ja mich schon ertragen, und das noch eine ganze Weile!“
Be lächelte. „Ich werde den Doc anrufen, dass er uns noch so eine Überraschungstüte mit vielen bunten Spielsachen schicken soll, einverstanden?“
„Auf die Idee kann ja nur wieder ein Mann kommen. Ich schneide mir hier den Bauch auf und du denkst wieder ausschließlich an das eine! Aus euch Kerlen soll mal einer schlau werden.“
Sie hörte Be laut auflachen und Rafa faselte im Hintergrund irgendwelche unzusammenhängende Wörter. Das waren ihre Jungs, immer für sie da, egal in welchem Dilemma sie gerade steckte. Ihr ging es schon wesentlich besser, weil sie ganz genau wusste, dass sie sich felsenfest auf Be verlassen konnte. Er würde sie hier rausholen, koste es, was es wolle!
Be war jetzt sehr erleichtert und klopfte Rafa aufmunternd auf die Schulter, der über seine eigenen Füße stolperte und kopfüber in der Obstschale landete, die auf einem Sideboard neben der Balkontür stand, bevor er wieder mal zu Boden ging. Verdutzt schaute er hoch, im Gesicht Spuren von zermantschten Erdbeeren und einer Kiwi.
„Warum schlägst du mich? Ich habe doch gar nichts getan? Das is fies!“
„He, ihr beiden Radaubrüder“, meldete sich Mary, die sich nur mit Mühe das Lachen verkneifen konnte, „soll ich jetzt das Handy ausschalten? Der Akku ist bald leer.“
„Warte noch eine Sekunde. Ich rufe kurz Sven an. Melde mich sofort wieder.“
Er kappte die Verbindung mit Mary und erreichte Sven noch in der Firma, erzählte ihm in kurzen Zügen um was es ging, worauf sich Sven sofort an die Ortung von Marys Chip machte. Binnen Sekunden konnte er Be sagen, wo sie sich im Augenblick befand. Er schlug Be vor, dass er ihn anrufen sollte, sobald sich das Signal nicht mehr fortbewegt. „Es wird irgendwo in Norwegen sein. Sie sind schon an Stavanger und Bergen vorbei, also würde ich dir einen Flug nach Trondheim vorschlagen. Da liegst du auf jeden Fall richtig. Mach’s gut Alter, wir hören.“
„Hallo Mary“, sagte er schnell, als er seine Freundin wieder an der Strippe hatte, „ich weiß jetzt, wo ihr seid und schalte die Behörden ein. Du bist auf dem Weg nach Norwegen, Sven verfolgt dein Signal, bis er weiß, wo ihr an Land geht. Dort holen wir dich dann.“
Mary, immer noch auf dem Boden sitzend, schickte eine Telefonnummer auf Be’s Handy. „Das ist die Nummer von Tom, meinem Lektor. Erzähle ihm alles, vielleicht kann er helfen, er hat eine Menge guter Kontakte. Frage ihn auch gleich über Humphrey Goles aus, er hat uns zusammengebracht. Vielleicht ist Humphrey ja doch nicht der, der er vorgibt zu sein. Wäre ja möglich, ich weiß gar nichts mehr.“
Be lief aufgeregt im Zimmer umher und würde am liebsten schon im Flugzeug sitzen. „Rafa, kannst du mir einen Flug nach Trondheim ... oh Gott, mit dem ist nichts mehr anzufangen.“ Er gab den Versuch auf, seinem sich grölend am Boden wälzenden Freund nur ansatzweise eine Aufgabe zu übertragen. Musste er eben selber buchen. Auch gut!
„Okay Mary, höre mir zu. Morgen bin ich bei dir. Egal wie. Achte solange auf dich und vertraue keinem. Wirklich keinem! Falls dein Verehrer dir heute Nacht einen Besuch abstatten sollte, schlage ich ihm den Schädel ein. Das schwöre ich dir. Lass dir irgendwas einfallen, dass du ihn loswirst. Am besten du kotzt ihn einfach an, das wirkt immer. Wir Männer hassen sowas.“
Mary lachte. „Das ist eine hervorragende Idee. Könnte glatt von mir sein.“
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