Doch Crowe war schneller und hatte die Nadel wieder aus Maddox Fleisch gezogen, bevor dieser zuschlug. Crowe wusste, dass die Betäubung beinahe augenblicklich eintreten wurde, deshalb machte er keine Anstalten Maddox daran zu hindern, unbeholfen auf die Beine zu taumeln. Nur mühsam gelang es dem General, aus dem tiefen Sessel aufzustehen. Und dann, als er beinahe aufrecht stand und sich fluchend nach seinem Angreifer umzudrehen versuchte, verstummte er schließlich, verdrehte die glasigen Augen und brach stöhnend nach vorne zusammen. Noch einmal murmelte Maddox irgendwas Unverständliches, zuckte zwei oder dreimal, dann gab er Ruhe.
„Hab ich dich, Arschgesicht“, murmelte Crowe zufrieden, als er hinter dem Sessel hervortrat und sich zu seiner Beute hinunter bückte. Dass er zufrieden grinste, konnte man wegen der Sturmhaube nicht sehen.
Crowe schwitzte stark, als er den schweren Körper etwa drei Stunden später auf die Rückbank des Lexus wuchtete, der gut geschützt vor unliebsamen Zusehern unter dem alten, ausladenden Walnussbaum hinter Maddox Haus parkte. Crowe hatte sich dazu entschlossen, Maddox in seinem eigenen Auto abzutransportieren, da bei fehlendem General und fehlendem Auto weniger Aufregung entstehen würde, als wenn er nur die Person selber verschwinden lassen würde. So konnte man zumindest einige Tage lang annehmen, der General hätte einen Ausflug gemacht.
Crowe drückte die Tür des Lexus langsam und so leise wie möglich zu, dann vergewisserte er sich, dass das Haus ordnungsgemäß abgesperrt und die Alarmanlage wieder in Betrieb war. Schließlich ging er zum Auto zurück, stellte zufrieden fest, dass alle Fenster der Nachbarschaft dunkel waren und dass zu dieser Zeit, es war mittlerweile nach zwei Uhr morgens, offensichtlich jeder schlief. Da er sein Glück aber nicht überstrapazieren wollte, klemmte er sich nun selber hinter das Lenkrad, startete den Motor und fuhr los.
Er fuhr auf der Virginia Avenue nach Nordosten, überquerte den Kerr Lake und schlug dann eine südöstliche Richtung ein. Crowe fuhr fast drei Stunden lang in östlicher Richtung, bis er das verschlafene Nest Elmwood in North Carolina erreichte. Dort parkte er den Lexus um Viertel vor Fünf Uhr morgens am Pier des kleinen Hafens, gleich neben einem kleinen Anglerboot mit großzügiger Kajüte, das er vor zwei Tagen gemietet und für zwei Wochen im Voraus bar bezahlt hatte.
Crowe war Hector Sanchez, hatte er dem Bootsvermieter in perfektem Spanisch erklärt. Dann, als dieser ihn nicht verstanden hatte, hatte er sein Anliegen in gebrochenem akzentbehafteten Latinoenglisch noch mal kundgetan und daraufhin hatte er schließlich das Boot bekommen. Ein bisschen schwarze Haarfarbe und sein perfektes Spanisch hatten problemlos gereicht, um den ungepflegten Mittsechziger zu überzeugen, sein gutes Angelboot gegen ausreichend Dollars an eben jenen Hector Sanchez zu vermieten.
Nun hatte also Hector Sanchez seinen Lexus abgestellt und den Kofferraum, sowie die hintere Türe geöffnet. Sanchez sah sich um, ob irgendjemand in der Nähe war und stellte zufrieden fest, dass er mutterseelenallein war. Ohne weitere Zeit zu vertrödeln schnappte er sich den immer noch bewusstlosen General Maddox, den er in eine Decke gewickelt hatte und wuchtete ihn sich über die Schultern. Sanchez biss die Zähne zusammen und erklomm die schmale Laufbrücke auf das Achterdeck des Bootes, sah sich noch einmal prüfend um und verschwand dann mit seiner schweren Last im Inneren des Bootes. Wenig später kam er zurück und kletterte wieder in den Wagen. Er startete das Fahrzeug und verließ den schmalen Pier in westlicher Richtung.
Fünf Minuten später parkte er den Wagen in einem dichten Waldstück hinter einem riesigen Frischholzstapel, holte eine große grüne Plastikplane und ein Seil aus dem Kofferraum und bedeckte damit das Auto. Er zog den Schlüssel ab, versperrte den Wagen und zurrte die Plane fest. Dann folgte er dem schmalen Waldweg in leichtem Trab, genoss die frische Morgenluft und setzte seinen Lauf für weitere zwanzig Minuten fort, bis er schließlich leicht schwitzend den Hafen erreichte und an Bord des Bootes ging. Als er die Taue gelöst hatte, startete er den Dieselmotor und tuckerte hinaus in die Swan Bay. Sein Blick ging hinaus über das ruhige Wasser der Bucht, an deren östlichem Horizont die Sonne aufging und warmes weiches Licht über das Boot warf.
Licht, das General Maddox im Bauch des Bootes für die nächste Zeit nicht mehr zu sehen bekommen sollte.
Sanchez war jetzt wieder Steven Crowe und sein grimmiger Blick schien zufrieden. Diese Sache würde er noch mit Freude durchziehen, dachte er, dann würde er verschwinden. Das war er seinen Kameraden schuldig, die er in der Dsungarischen Tiefebene verloren hatte. Und das nur, weil ein verdammter Politiker es so angeordnet, und ein Waschlappen von einem Offizier es nicht verhindert hatte. Und diesen Offizier, der damals untätig die Hände in den Schoß gelegt und zehn mutige Delta Operators für einen sinnlosen Befehlt geopfert hatte, diesen Offizier hatte sich Crowe nun geschnappt.
Albemarle Sound, North Carolina
3. September 2016
Das kleine Angelboot pflügte angetrieben vom leisen tuckernden Diesel durch die dunklen brackigen Gewässer des Albemarle Sound. Durch die schmale Landmasse der Outer Banks im Osten von den kalten Tiefen des Atlantiks getrennt, waren diese ruhigen Gewässer bei Anglern besonders beliebt, weshalb ein weiteres Angelboot, das hier draußen ruhig seine Bahnen zog, nicht weiter auffiel.
Steven Crowe starrte auf dem altmodisch hölzernen Ruder gelehnt tief in Gedanken versunken durch die schmutzige Scheibe der kleinen Steuerkabine. Die Aura der kleinen Stadt Kitty Hawk, draußen auf den windgepeitschten Outer Banks konnte er nur hinter dem Horizont erahnen, während die grünen Wälder der Carolina Shores im Norden gut sichtbar waren. Eine einsame Möwe schwebte lautlos backbords vorbei und beäugte skeptisch das kleine Boot. Crowe richtete sich auf, streckte seine müden und verspannten Muskeln und gähnte herzzerreißend. Dann suchte er den Horizont nach anderen Booten ab, fand keine, die sich in seiner unmittelbaren Nähe befanden und entschied, dass es Zeit war. Der Diesel erstarb und das Boot kam langsam zum Stillstand. Es schaukelte ruhig in der schwachen Dünung des landeinwärts wehenden Windes, als Crowe die schmale Treppe nach unten kletterte.
Hier unten in der überschaubaren Kabine des Bootes spielte sich ein ganz anderes Drama mit einem unfreiwilligen Hauptdarsteller ab. Lieutenant General Malcolm P Maddox, ehemaliger aktiver Green Beret und nunmehriger hochrangiger Offizier im Generalstab der US Army, kam langsam zu sich. Das erste, was er registrierte war, dass er gefesselt war. Das spürte er bereits im halb bewusstlosen Zustand als er langsam aus tiefer Schwärze zurück ins Licht dämmerte, da er im Laufe seiner harten Ausbildung und seiner langen aktiven Dienstzeit mehr als einmal das Gefühl kalten Stahls an seinen Handgelenken kennen gelernt hatte. Deshalb war es auch nicht blinde Panik, die ihn befiel, als er seine Augen mühsam öffnete und in der tiefen Schwärze nichts erkennen konnte. Es war eher ein Gefühl der Beklemmung in einem winzig kleinen Verlies, dessen nahen Wände er zwar nicht sehen, jedoch instinktiv fühlen konnte. Während er seine verwirrten und noch eingeschläferten Gedanken in geregelten Bahnen zu bringen versuchte, hörte er plötzlich leise Schritte und das Quietschen einer Tür. Maddox erstarrte.
Draußen stand Steven Crowe vor einer etwa eins fünfzig hohen und etwa einen halben Quadratmeter im Grundriss umfassenden weißen Plastikbox, die mit Zurrgurten zusammengehalten wurde. Oben auf der Box befand sich ein grüner Plastikkanister in einer an der niedrigen Decke der Kajüte befestigten Halterung. Der Kanister war mit Wasser gefüllt und speiste einen dünnen durchsichtigen Wasserschlauch, der weiter unten in der Mitte des Deckels der weißen Plastikbox mündete. Direkt unterhalb des Kanisters war eine Dosiereinrichtung montiert, wie man sie auch an den medizinischen Tropfflaschen im OP fand. Der Hahn des Kanisters war zugedreht, als Crowe sich der Plastikbox näherte.
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