Gabriele D`Amori
Der Lehrling
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Inhaltsverzeichnis
Titel Gabriele D`Amori Der Lehrling Dieses ebook wurde erstellt bei
Warum? Warum? Warum lebe ich? Ich frag michs oft. Es muss einen Sinn doch haben, dass ich atme, gehe sehe. Manchmal aber, wenn ich so durch grüne Fluren gehe und es riecht nach regenfeuchter Erde, mein ich, es gibt gar nichts mehr zu fragen. Gabriele D`Amori
Tiefflieger
Großvater Alfred
Volksschule Oggersheim
Oggersheim
Platzangst
Volksschule Ludwigshafen
Krankenhaus
Leonardo
Beginn der Lehre
Erster Tag
Zweiter Tag
Dritter Tag
Berufsschule
Reißzeug
Tag der Kälte
Fleisch und Fahrrad
Käfertaler Wald
Konnexion
Rechenschieber
Rheinüberquerung
Wanderung zum Trifels
Rudolfs Colt
Baustellenpraxis
Wanderung zur Rietburg
Drei Freunde
Sein und Nichtsein
Angst
Zuhören
Wege zur Weisheit
Persönlichkeit
Erstes Auto
Peter und Gabriele
Lena
Ende
Impressum neobooks
Warum lebe ich? Ich frag michs oft. Es muss einen Sinn doch haben, dass ich atme, gehe sehe. Manchmal aber, wenn ich so durch grüne Fluren gehe und es riecht nach regenfeuchter Erde, mein ich, es gibt gar nichts mehr zu fragen. Gabriele D`Amori
Der Tiefflieger kam von Süden. Sie sahen ihn erst, als er bereits über dem Weinberg hinweg auf sie herunter stieß und das Geräusch seines Maschinengewehrfeuers in die Ohren und in das Herz eindrang. Anna Zola warf sich auf ihre drei Kinder zwischen die Rebzeilen. Die vier anderen Frauen gingen ebenfalls zu Boden, während die Kuh, welche das Fuhrwerk gezogen hatte, in wilder Flucht, den Wagen hinter sich herziehend, den Feldweg entlang, davon stürmte.
Anna hatte in diesem Moment aufgehört zu denken; sie verspürte nur noch Todesangst und gleichzeitig eine seltsame Empfindlichkeit der Haut, wie in Erwartung des Kugeleinschlages und des Schmerzes. Die Einschläge ließen die Erde aufspritzen, aber sie verfehlten die kleine Gruppe. Sie wussten alle, der Flieger würde zurückkehren und erneut auf sie feuern.
Doch das Maschinengewehrfeuer entfernte sich und wurde durch eine Explosion unterbrochen, gefolgt durch ein lautes Zischen. Im nahen Bahnhof des Weinortes hatte ein Personenzug gehalten und die Aufmerksamkeit des Piloten von der Frauengruppe abgelenkt. Das neue Ziel erschien ihm sehr viel lohnender und so flog er eine Schleife, um den Zug erneut zu attackieren.
Diese Chance erlöste die Frauengruppe aus ihrer Starre und half ihnen auf die Beine. Anna riss ihre Kinder von der Erde hoch und zog sie hinter sich her, die Rebzeilen entlang, in Richtung Dorf. Sie hatte nur zwei Hände, aber es waren sechs kleine Kinderarme, die sie nicht gleichzeitig erfassen konnte. Es entwickelte sich eine wilde, ungeordnete Flucht, die Kinder weinten vor Angst, fielen hin, wurden wieder hochgerissen und sie schrie fast hysterisch die Kinder an: „Beeilt euch doch, kommt doch, es ist gleich geschafft!“ Die vier anderen Frauen waren bereits, außer Sichtweite, im Dorf angekommen und in ihren Häusern verschwunden.Anna hörte hinter sich aus der Richtung des Bahnhofs lautes Schreien der getroffenen und verwundeten Passagiere, das Zischen des Dampfes der zerschossenen Lokomotive und das Dröhnen des englischen Jagdflugzeuges, das erneut einen Angriff flog.
Endlich hatte sie den Anfang des Dorfes Maikammer erreicht und rannte die gepflasterte Dorfstraße entlang, die Kinder hinter sich herziehend, auf die Behausung zu, in welcher sie untergekommen war. Diese war ein ehemals stattliches Weingut, mitten in dem pfälzischen Weinort gelegen und einer jüdischen, alteingesessenen Winzerfamilie gehörend, die inzwischen nicht mehr am Leben war, ermordet durch nationalsozialistischen Wahnsinn. Das Wohngebäude war mit sogenannten Ausgebombten belegt, die in drangvoller Enge die Räume bewohnten.
Anna war inzwischen mit den Kindern am Weingut angelangt. Das Tor stand offen. In der Ferne war immer noch der Lärm aus Richtung des Bahnhofes zu vernehmen, vermischt mit dem Geräusch der abdrehenden Maschine, deren Pilot den Heimflug antrat. Links neben dem Eingangstor, nur einige Schritte über den Hof, war die Haustüre erreicht, und damit die Sicherheit, wenigstens in diesem Augenblick.
Der große Kampf des Tausendjährigen Reiches lag in seinen letzten Zügen. Drunten in der Ebene brannten die großen Städte. Die Wohnung von Anna in Ludwigshafen am Rhein, der Großstadt, die nach dem bayerischen König Ludwig I. benannt war (die Pfalz gehörte sehr lange zu Bayern), wurde durch Brandbomben zerstört. Das Leben und immerhin die Federbetten wurden gerettet. Anna warf letztere unter Lebensgefahr aus dem Fenster des bereits brennenden Schlafzimmers. Wenigsten etwas vom bisherigen Leben sollte noch ihr gehören, so dachte sie in diesem Augenblick und dieser Gedanke verschaffte ihr den nötigen Mut. Beinahe wäre alles vergeblich gewesen, denn die stets anwesenden, plündernden Mitbürger griffen begierig zu. Die bereits auf der Straße stehenden Kinder von Anna sahen, immer noch entsetzt über die Ereignisse nach dem großen Bombardement, nunmehr, kaum dass die Federbetten auf der Straßenoberfläche auftrafen, wie fremde Leute nach diesen griffen. Sie hörten, wie die Mutter von oben aus der brennenden Wohnung fortwährend schrie: „Nein, mein Gott, nein!“ und begriffen unbewusst, dass sie um etwas Wichtiges beraubt wurden. Instinktiv klammerten sie sich an diese Federbetten und begannen laut ebenfalls zu schreien, von Weinen begleitet. Umstehende Menschen erfassten die Dramatik und griffen ein, die Federbetten rettend. Paul behauptet bis heute, dies sei der Moment gewesen, woran er eine erste, bleibende Erinnerung als kleines Kind habe. Daran, wie die weißen Federbetten über den Schutt der zerstörten Häuser, welcher die Straße bedeckte, gezerrt wurden und schnell eine schmutzige Farbe angenommen hätten. Diese verschmutzten Federbetten, die er doch stets blütenweiß gekannt habe, hätten sich unlöschbar, für immer in sein Gedächtnis eingeprägt.
Der nächste Erinnerungssplitter betraf die weiteren Folgen der Wohnungszerstörung. Mit den geretteten Federbetten und den Kindern hatte sich Anna von der Innenstadt nach dem Vorort Mundenheim durchgeschlagen, in dem ihre Mutter Katharina, welche die Kinder Oma Kati nannten, wohnte. Hier in der Fürstenstraße fanden sie zwar provisorisch eine Bleibe für die kommende Nacht, jedoch waren ins Haus ebenfalls Brandbomben eingeschlagen und hatten zu Zerstörungen geführt (ohne, dass das Haus abgebrannt war), so dass sie nicht länger bleiben konnten. Paul erinnerte sich, wie die Wohnzimmerlampe schief nach unten hing und in ihm ein Gefühl der Angst auslöste, für die er bis heute keine Erklärung finden konnte. Paul war zu diesem Zeitpunkt etwas über zweieinhalb Jahre alt.
Im Winzerort Maikammer an der Deutschen Weinstraße war eine angespannte Ruhe eingekehrt. Die Verwundeten und die Toten des Tieffliegerangriffes am Morgen waren in den etwas größeren Nachbarort Edenkoben geschafft worden, da es dort ein kleines Krankenhaus gab. In diesem Nachbarort, ebenfalls ein bekannter Weinort, befand sich übrigens, direkt neben der Kirche auf dem zentralen Dorfplatz, das Denkmal König Ludwigs I., diesem bayerischen König, der sich ein Freund der Pfälzer nannte und sich hinter dem Ort am Hang des Haardgebirges ein Sommerschloss bauen ließ. Weit weg von München genoss er von dieser, Ludwigshöhe genannten, Residenz aus, einen großartigen Blick vom umgebenden Pfälzerwald über die Weinberge hinweg in die oberrheinische Tiefebene.
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