Also zog er sich in die Wirklichkeit der anderen Leute um ihn herum zurück und lauschte dem letzten Lied, das Linus an diesem Abend zum Besten gab, bevor sie sich mehr oder weniger angeheitert in ihre Betten begaben – Linus etwas später und etwas heiterer als die beiden anderen. Natürlich tat er nichts, das einen Makel über den guten Ruf seiner Auserwählten für diesen Abend bringen würde. Aber es gab viele Arten zu zweit Spaß zu haben, und wer konnte schon sagen, wie lange er noch zu leben hatte? Zu dem Zeitpunkt schlief Hardy bereits tief und fest, schnarchte leise dabei, während Nat wie üblich in seiner Meditationshaltung mit ineinander verschränkten Beinen und seitlich hinabgestreckten Armen mit sternförmig 'gen Boden gerichteten Fingern saß, bevor er sich dem Schlaf überließ. Als Linus dann spätabends, als es langsam auf Mitternacht zu ging, endlich ins Zimmer hineinschlich, rollte der Dämonenjäger nur leicht mit den Augen. Der Barde grinste zurück, nicht im geringsten schuldbewusst oder peinlich berührt. Ohne ein Wort zu sagen entledigte sich Linus seiner Kleider, und der leichten Rüstung mitsamt Unterhemd darunter, und legte sich zusammen mit seinem Messergurt ins Bett. Wenig später war auch er eingeschlafen.
Nat verblieb noch auf dem Boden und ließ die Eindrücke des Tages in seinem Kopf Revue passieren. Die Anreise nach Starogrâd war in keinem Punkt auffällig verlaufen, es gab kaum einen Grund, an sie zurück zu denken. Der Regen war zu dieser Jahreszeit in dieser Gegend nicht ungewöhnlich, auch wenn er sich vielleicht etwas länger hielt als üblich. Der Wind wehte nicht allzu stark und kam nicht aus Richtung des Klosters, so dass auf diesem Weg nichts aufzuschnappen war. Doch mit dem Licht hatte Lans ganz und gar Recht gehabt, und das war kein gutes Zeichen. Seltsame Lichter waren oft die Begleiterscheinung von übernatürlichen Ereignissen – einem Ausbruch magischer Kräfte, einem Ritual, oder Erscheinungen außerweltlicher Wesenheiten. Diese Information bestärkte seine Vermutung, dass es im Kloster ganz und gar nicht mit rechten Dingen zuging. Wahrscheinlich hatte man es mit einer Form von Besessenheit zu tun, vermutlich waren mehrere Personen betroffen, und diese hatten wohl zuerst das Kloster an sich gerissen und hinterher dafür gesorgt, dass keiner der Pilger, Boten und Glücksritter zurückkehren konnte. Vielleicht war die Ursache aber auch eine andere. Doch was auch immer dort geschah, das Böse war noch nicht bereit, sich mit der Welt außerhalb des Klosters einzulassen, und darin lag Nats größte Hoffnung auf Erfolg. Wenn die Besessenen oder gar schlimmeres erst aus den Klostermauern nach außen dringen würden, dann müssten sie sich richtige Sorgen machen. Er war wohl noch rechtzeitig eingetroffen, um das Schlimmste zu verhindern. Und wieder einmal war er dafür dankbar, dass seine Gefährten so waren wie sie waren, und keine anderen. Andernfalls müsste er ohne sie aufbrechen. Doch ihr Licht war stark und würde der Finsternis standhalten können.
Als die Glocke schließlich Mitternacht schlug um dann bis zum Morgengrauen zu verstummen, begab Nat sich ebenfalls zu Bett. Sein Geist war noch immer viel zu wach, sein Verstand wälzte die Gedanken hin und her, fragte sich, ob er die richtigen Schlussfolgerungen aus dem gegebenen Wissen gezogen hatte, ob er die Wahrnehmung seines inneren Auges richtig deutete, ob seine Träume ihn nicht womöglich doch auf die falsche Fährte lockten. Das Kloster war gewaltig, eines der größten klerikalen Bauwerke außerhalb der Weißen Stadt Poliâron . Wenn die Gläubigen darin dem Bösen anheimgefallen waren, dann würde es ein harter Kampf werden. Nat wagte nicht an die Geheimnisse zu denken, die sein Lehrmeister ihm auf seinem Sterbebett anvertraut hatte. Das könnte ihn alles kosten, könnte alles zunichte machen, was er erreicht hatte. Er hoffte vor allem, dass diese schlimmste Befürchtung sich nicht bewahrheiten würde. Der morgige Tag würde ihm weiterhelfen. Es hatte keinen Sinn mehr, sich den Kopf zu zerbrechen. Also zwang er sich dazu, langsam und ruhig zu atmen, so langsam, dass allein der Mangel an Luft genügte, um das Gewirr in seinem Kopf zu lichten und ihn endlich ins Land der Träume zu schicken. Sein letzter wacher Gedanke flatterte erschrocken vor der Erkenntnis davon, dass er nicht schon wieder träumen wollte.
Dunkelheit und fauliger, süßlicher Gestank überall. Es ist feucht, als wäre der Regen von draußen nach drinnen gesickert und würde nun überall schweben. Ein widerliches Gefühl von Euphorie und Ekel zugleich. Nichts ergibt einen Sinn, nicht die grässlichen Schreie, nicht das abartige Stöhnen und auch nicht das verrückte Gelächter. Etwas streicht über meinen Rücken und hinterlässt eine Spur aus Gänsehaut, sie sich ausbreitet wie Wellen auf dem Wasser. Doch es ist nichts hinter mir, nur die faulig-feuchte Dunkelheit. Und doch, ich spüre etwas. Nein, nicht etwas, vieles. Ich bin nicht nur nicht allein, ich bin weit unterlegen. Ich bin es, über den gelacht und gespottet wird in einer Sprache, die man nur in einem Traum wie diesem verstehen kann. Wie schön, dass das nur ein Traum ist. Meine Waffen und meine Rüstung sind bei mir, weil ich sie brauche. Mein Geist sieht klar. Das Licht hat mich noch nicht verlassen. Die Finsternis zieht sich zurück, als hätte sie sich an mir verbrannt. Ich sehe verzerrte Gestalten, Leiber mit verrenkten Gliedmaßen, Gesichter mit ausgerissenen Augen und abgebissenen Nasen, aufgeschlitzten Mündern und lang und kraftlos heraushängenden Zungen. Ich sehe blutige Striemen und wie von Krallen frisch geschlagene Wunden. Ich sehe sie an und in meinem Hinterkopf zähle ich die Anzahl der Körper, die mich mit hasserfüllten Augen beglotzen. Es sind nicht so viele, wie das Kloster Einwohner hatte, aber es sind mehr als genug. Vielleicht sind nicht alle hier. Aber warum sind sie so? Was ist die Ursache? Zeig dich mir, ich verlange es!
Noch mehr Gelächter. Mein Licht hält sie lediglich zurück. Es ist nicht stark genug, um sie in wahrhaftige Furcht zu versetzen. Sie wissen, dass sie mir über sind. Sie werden über mich herfallen, sobald ich mir nur die kleinste Schwäche erlaube. Ich trotze und mein Licht erstrahlt etwas heller, doch mir ist klar, dass ich das nicht in alle Ewigkeit durchhalten kann. Früher oder später kriegen sie mich, wenn es nur Kraft gegen Kraft heißt. Ich muss gerissen sein, ich muss wissen, wo ihre Stärken und wo ihre Schwächen liegen. Was zeichnet sie aus? Welche Art Dämonen haben sie verdorben? Kann ich die Zeichen deuten? Alles verschwimmt im suppigen Nebel, der nach frischem Blut riecht und sich so warm wie ein Dampfbad anfühlt. Ich ersticke in seinem klebrigen Dunst. Ich weiß, auch das ist ein Zeichen. Ich bin kaum mehr als ein Tier, das in die Enge gedrängt ist, reduziert auf seinen Körper, der verzweifelt zu atmen versucht. Ich weiß, irgendwo in meinem Gedächtnis ist alles zu finden, das ich brauche, um diesem Übel ein Ende zu machen. Ich muss nur aufwachen. Wach auf. Wach auf! WACH AUF!
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