Victor ging meistens nicht mit in den Voodoo-Club . Um sich von der Truppe abzusetzen, nutzte er immer wieder fadenscheinige Ausreden. Einmal hatte seine Mutter eine Grippe-Erkrankung, das andere Mal musste er noch der Nachbarin bei der Steuererklärung helfen. Victor fühlte sich einfach nicht wohl in Pubs wie dem Voodoo-Club . Es war ihm zu laut. Er liebte eher das bilaterale Gespräch. Menschenansammlungen waren ihm von jeher suspekt. Dann wurde er unsicher, ja sogar ängstlich. So kam es auch, dass seine Kollegen kaum Kontakt zu ihm pflegten. Nicht, dass er unbeliebt war. Das konnte man nicht sagen. Dafür war er zu hilfsbereit seinen Kollegen gegenüber, falls sie mal ein Problem hatten. Victor war im Gegenteil in Problemsituationen ein gesuchter Lösungspartner. Zumal er nie diese Hilfsdienste zu seinem Vorteil auszunutzen versuchte. Als echten Teamplayer konnte man ihn wiederum auch nicht bezeichnen, eher als einen Einzelkämpfer. Wobei das Wort „Kämpfer“ ihn nicht richtig beschrieb. Eher war er ein introvertiertes, vollkommen auf seine Mutter fixiertes Einzelkind, dem niemals eine Chance gegeben worden war, sich von dieser abzunabeln. Deshalb würde er es in einer Gruppe immer schwer haben, sich zu artikulieren. Seine Kollegen interpretierten sein Verhalten allerdings eher in die Richtung, als dass er Distanz zu ihnen aufbauen wolle. Distanz, die ein künftiger Vorgesetzter benötigte, um seine Ziele durchzusetzen.
In Problemsituationen war Victor dagegen durchaus bereit, seine Ideen und sein Wissen zur Lösung einzubringen. Das machte ihn zwar nicht unbedingt loyaler gegenüber seinen Arbeitskollegen, aber es brachte ihm ein großes Vertrauen bei Arthur òToole ein.
Und Victors bestandene Prüfung mit dem Zertifikat, vermögende Kunden beraten zu dürfen, tat ihr Übriges dazu.
Arthur war stolz und glücklich zugleich, endlich wieder einen qualifizierten Berater in seinem Team zu haben, der das Standing der Bank of Ireland in Letterkenny auch in der Außenwirkung und im Vergleich zu seinen Mitbewerbern weiter nach oben bringen würde. Schließlich beinhaltete diese neue Beratungsqualität die Aussicht, die vorgegeben Ziele nicht nur zu erreichen, sondern vielleicht sogar zu übertreffen. Und das wiederum würde sein Ansehen bei den Vorgesetzten in der Dubliner Zentrale enorm anheben und seinen Stellenwert im Kreis der weiteren Filialdirektoren steigern.
Mochte Victor von den übrigen Mitarbeitern nur als ein komischer Kauz bezeichnet werden, solange er die vorgegebenen Ziele übererfüllte, sollte Arthur das Recht sein.
Der Bankdirektor jedenfalls erwartete noch sehr viel von Victor. Und er hoffte inständig, dass Victor diesem Erwartungsdruck auch würde standhalten können.
Kapitel II.5 Wolfsprojekt
Den genauen Zeitpunkt, wann ihm der konkrete Gedanke dazu kam, hätte er später gar nicht mehr exakt definieren können. Aber während der Arbeit mit den Hunden auf Alans Hof kam ihm die Idee, wie es wäre, seine tiefste Leidenschaft und alten Herzenswunsch zu erfüllen und eine Wolfsfarm aufzubauen. Als er mal gefasst war, ließ ihm dieser Gedanke keine Ruhe mehr, diese edlen Tiere wieder kontrolliert in freier Wildbahn anzusiedeln. Die Wölfe als Vorfahren aller Hunde hatten ihn ja schon immer fasziniert und der Wunsch, einmal mit diesen einzigartigen Raubtieren zu arbeiten, hatte ihn nie losgelassen.
Und dieser Gedanke wurde stärker, je mehr er mit Alans Hunden arbeitete. Er besorgte sich Fachlektüre und besprach das Thema erstmals mit seinem Biologieprofessor Eamonn Fergus. Den hatte er in der Zeit seines Studiums als kompetenten und sachlich ruhigen Pädagogen kennen gelernt. Conor mochte ihn von Anfang an und hatte zu ihm auch gleich den besten Draht von allen Professoren. Eamonn Fergus war von der Idee der Wiederansiedlung ausgestorbener Tierarten natürlich sehr angetan, meinte aber, dass gerade im Falle der Auswilderung von Wölfen genauestens überlegt werden müsse, wie das im Zusammenwirken mit allen Beteiligten und vor allem Betroffenen überhaupt realisiert werden könne.
„So, so Conor, du möchtest dich näher mit dem lupus carnis beschäftigen? Hast du dir denn schon Gedanken gemacht, wie das konkret aussehen könnte?“, fragte er seinen Lieblingsstudenten.
„Nein, konkrete Pläne habe ich natürlich nicht. Es ist erst mal eine Idee, ein Wunsch, oder mehr als ein Wunsch, eher ein Traum, den ich schon seit der Zeit meiner Arbeit mit den Collies in der Connemara habe. Wenn Sie, Prof, schon einmal einen Collie bei der Arbeit gesehen hätten, wie er in seiner geduckten Hütehaltung auf nichts anderes fixiert ist als seine ihm anvertrauten Schafe und ihn vollkommen durchnässt vom feuchten Gras durch die Weiden hätten streifen sehen, dann wäre auch Ihnen die Verbindung zu den Wölfen als deren Vorfahren sehr schnell bewusst geworden. Und seitdem lässt mich dieser Gedanke nicht mehr los. Jetzt dachte ich mir, dass Sie mir vielleicht helfen könnten, diese Idee zu konkretisieren. Vielleicht könnte das sogar das Thema meiner späteren Dissertation sein.“
„Das nenn` ich ja mal eine ausgefallene Thematik für eine Doktorarbeit. Aber sag` einmal, was fasziniert dich denn so sehr an den Wölfen?“
„Das sind im Wesentlichen drei Kriterien: Mut Freiheit und Weisheit. Dafür stehen Wölfe für mich in erster Linie.“
„Das kam schnell und überzeugend. Wurden nicht im alten Ägypten die Wölfe auch als die Hüter des Totenreiches verehrt?“, fragte der Professor.
„Meines Wissens ja, vergleichbar mit dem Höllenhund Pluto aus der griechischen Mythologie, der den Hades, den Eingang zum Reich der Toten bewacht haben soll“, ergänzte Conor.
„Ich werde dich natürlich unterstützen, soweit es mir möglich ist. Denn ich denke, dass ich ein paar brauchbare Kontakte zu der zuständigen Behörde der Regierung knüpfen kann. Aber zunächst einmal müsstest du ein genaues Denkmodell erarbeiten, das sich ernsthaft mit der Durchführung eines solchen einmaligen Projektes beschäftigt. Alle Rahmenbedingungen und sonstigen Pro- und Contra-Parameter solltest du zusammenstellen, um einen konkreteren Überblick über die Tragweite, Auswirkung und Dimension eines solchen Projektes zu erhalten. Nur mit einer fixen Idee bei der Regierung vorzusprechen, wäre kontraproduktiv und würde gleichbedeutend mit dem sofortigen Scheitern der Idee sein. Beamte brauchen etwas Handfestes, einige Seiten Papier, die sie ihren Vorgesetzten vorlegen können. Und vor allem eine Perspektive. Und sie gebrauchen die Legitimation, dass sie aus der Verantwortung sind, wenn etwas schief gehen sollte. Aus eigener Erfahrung weiß ich, alle Staatsbeamten hassen die Wörter Verantwortung und Risiko. Also muss dein Konzept diese Problematik mit aufnehmen und verarbeiten und vor allem auch die Chancen eines solchen Projektes darstellen. Schaffst du es, die Chancen, auch für die Regierung selbst, eines solch ehrgeizigen und nahezu einmaligen Projektes positiv herauszustellen, dann habe ich gute Hoffnungen, dass sie sich an einer derartigen Maßnahme beteiligen könnte, zumal das Thema Umwelt und Renaturierung als grüne Themen derzeit sehr angesagt sind und von jeder Regierung in Europa als Wahlkampfthemen und zur Demonstration der Kompetenz für Umweltfragen gesucht werden. Vielleicht triffst du ja mit deiner Idee gerade jetzt den richtigen Nerv. Versuche es!“
„Danke, Prof. Zumindest motiviert mich Ihre positive Einstellung schon mal enorm. Ich denke auch, dass ich zunächst etwas mehr Fleisch an die Sache bringen muss, wie man so schön sagt. Ich werde in den nächsten Tagen mal ein konkretes Konzept entwickeln, wie ein Projekt dieser Größenordnung abgewickelt werden könnte.“
„Vor allem musst du es den Beamten und zuständigen Politikern so schmackhaft machen, dass sie gar nicht nein sagen können. Sie müssen insbesondere die Erfolgsaussichten herausgestellt bekommen, damit sie sich der Sache annehmen. Und mit Erfolgsaussichten meine ich keine materiellen Erfolge, sondern abstrakte Erfolge wie: Ökologiekompetenz, Traditionsbewusstsein, Alleinstellungsmerkmal, Vorzeigemodell, Modernität et cetera pp, also alles Dinge, die bei Wahlen Stimmen bringen könnten. Das sind die Argumente, die bei Politikern stechen.“
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