Gregory musste an seine eigene Mutter denken, die er nie gekannt hatte.
„Sie war eine Heilerin, wie ich“, fuhr Mila fort.
„Ich bin nämlich nicht, wie du in deiner Unwissenheit angenommen hast, die Herrscherin über die Topfpflanzen, sondern ich beherrsche das Element Erde.“
Sie zog ein Fläschchen mit einer giftgrünen Flüssigkeit aus ihrer Umhängetasche und gab es Gregory.
„Trink das. Es könnte etwas brennen, aber du bist ja ein starker Krieger.“ Er schüttelte den Kopf. „Warum sollte ich dieses Zeugs trinken?“ Mila sah ihn mitleidig an. „Och, der grosse Krieger hat Angst, dass die Topfpflanzen-Herrscherin ihn vergiften könnte.“ Sie machte ihn wütend und er trank das ganze Fläschchen mit einem Zug aus, der würde er es zeigen. Er war kein Feigling. Es brannte wie Feuer.
Er hielt die Hand an seine brennende Kehle. „Was zum Teufel hast du mir gegeben, du Irre? Willst du mich etwa umbringen?“
„Ach du bist ja wirklich total charmant und süss, genau wie Natalie immer sagt.“ Sie sah ihn böse an. „Das ist eine Mischung aus zerriebenem Bergkristall, getrocknetem Lavendelpulver und Salicis cortex oder der gemeinen Weidenrinde.“ Gregory stöhnte. „Gemeine was? Sprichst du etwa von dir?“
Sie ging, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, an ihm vorbei. „Undankbarer Idiot“, murmelte sie vor sich hin.
Plötzlich fiel Gregory auf, dass sein Gesicht nicht mehr wehtat. Mila reichte ihm einen kleinen Spiegel aus ihrer Tarntasche und es war unfassbar, die Schwellung war fast vollständig zurückgegangen und auch der Bluterguss war beinahe verschwunden. Nur noch ein leichter Schatten war zu sehen. Er sah beinahe wieder unversehrt aus.
„Wie hast du das gemacht? Das grenzt ja an Zauberei?“
Sie lächelte selbstsicher. „Ach, das war eine meiner leichtesten Übungen. Wie bereits erwähnt bin ich eine Heilerin.“
Gregory war zu verblüfft, um eine schlaue Entgegnung vorzubringen.
„Wo ist eigentlich Aiden?“, fragte er.
„Oh, keine Sorge, er versinkt jedes Mal, wenn sein Vater nicht hier ist, für eine Weile in seiner Depression und sitzt dann an der früheren Kraftstätte seiner Mutter. Es dauert immer ein wenig, bis er sich wieder einkriegt.“
„Warum, wohnt er denn nicht hier?“
„Nein, sein Vater und er haben grosse Probleme seit dem Tod von Aidens Mutter. Er macht seinen Vater für den Tod seiner Mutter verantwortlich, und dass sich sein Vater mit der fast gleichaltrigen Jaqueline eingelassen hat, entschärft die Situation nicht wirklich.“
Sie lachte verächtlich. “Sein Vater ist ein hohes Tier in der Politik, momentan kandidiert er sogar für das Amt des Bürgermeisters. Er war ursprünglich Anwalt und man munkelt, dass er mit der Mafia zu tun hat.“ Sie fügte hinzu: „Aiden hasst seinen Vater mehr als alles andere.“
Sie gingen ins Haus und Gregory sah das Namenschild an der Tür. Bisher hatte er sich noch keine Gedanken über Aidens Nachnamen gemacht, Grande war ein geläufiger Name in Italien und es gab auch viele Immigranten, die sich in Amerika angesiedelt hatten. Aber er hatte irgendwie einmal ein Gespräch seiner Stiefeltern mitgekriegt, bei dem es um einen korrupten Richter Grande ging. War wohl kein Zufall. Sie betraten das Innere des luxuriösen Hauses, das im südeuropäischen Stil erbaut war.
Es war alles in Weiss gehalten, die hohen Räume und die Säulen mit den Bögen, die das Wohnzimmer und die Galerie säumten. Sie durchquerten das Wohnzimmer, das an eine offene Küche grenzte und aussah wie aus einem Hochglanzmagazin für Architektur. Leider fehlte die Wärme gänzlich im Inneren des Hauses, es wirkte alles kalt, ja schon fast steril.
Sie traten auf die Veranda hinaus, die von einem grossen nierenförmigen Pool dominiert wurde.
Aiden sass auf der anderen Seite des Pools mit verschränkten Beinen am Boden und sein Blick war auf eine kreisförmige Ansammlung von verschieden grossen Steinen gerichtet, in deren Mitte mehrere violette Blumen, die in der Mitte gelb waren, wuchsen.
Mila erklärte Gregory, dass diese Blumen die Lieblingsblumen von Aidens Mutter gewesen waren und dass dies ihr ehemaliger Kraftort war, da auch sie das Element Erde beherrscht hatte.
Aiden hörte sie kommen und drehte sich um, er schien sich inzwischen wieder beruhigt zu haben.
„Fangen wir an, Leute“, sagte er. „Wir haben noch viel Arbeit vor uns, da du ein Neuling mit den Elementen bist, hast du noch viel vor dir, Gregory. Wie steht es eigentlich mit deiner Herkunft, hast du deine Geburtsdecke jemals gesehen?“ Gregory zögerte mit der Antwort und dachte an das, was Leyla ihm gesagt hatte. Was sollte er tun? Aiden deutete sein Zögern als Verneinung und zeigte auf die violetten Blumen. „Meine Mutter war eine Heilerin wie Mila und diese Blume gab ihr besonders viel Kraft. Man nennt sie Echinacea purpurea, der Sonnenhut, und es wird ihr eine starke Wirkung auf das Immunsystem nachgesagt und noch andere Eigenschaften, die leider nur meine Mutter kannte. Ihr Wissen starb mit ihr und Mila versucht nun, in ihre Fusstapfen zu treten.“
Mila nickte. „Ja, das stimmt, nur bei der Männerauswahl werde ich wohl etwas vorsichtiger sein müssen“, sagte sie nachdenklich. Aiden sah traurig und verletzt aus, als würde er sein Innerstes offenbaren. Seine kühle grimmige Maske war völlig verschwunden. Er zeigte heute sein wahres Ich. Ein verletzter, enttäuschter Junge, der wütend auf die ganze Welt war.
Gregory sah ihn an und er konnte einfach nicht anders, er musste ihm die Wahrheit sagen.
Er setzte sich zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm. „Ich muss dir etwas sagen, Aiden.“
Dann erzählte er ihm alles, was er wusste, was leider nicht allzu viel war. Er erzählte von seiner toten Mutter, deren Namen er nicht einmal kannte, und von der Decke mit den vier Elementen und seinen Ausbrüchen. Die ihm in den letzten Monaten das Leben in Italien zur Hölle gemacht hatten. Er erzählte von dem Sturm, den er ausgelöst hatte, als er wütend war. Er liess keine Einzelheit aus und als er mit seinen Ausführungen zu Ende war, starrten ihn sowohl Aiden als auch Mila völlig fassungslos an. Hoffentlich hatte er keinen Fehler gemacht, dachte Gregory hilflos.
Einen kurzen Moment herrschte absolute Stille und Gregory wurde immer mulmiger. Hätte er doch bloss seine Klappe gehalten und auf Leyla gehört. Er hielt es nicht mehr aus. „Hey Leute, ihr macht mir eine Scheissangst. Nun sagt doch endlich was, so schlimm kann das doch nicht sein.“
Zu seiner Überraschung fing Aiden an, zu lachen und auch Mila lächelte erstaunt.
„Jetzt sagt schon, was los ist, verdammt.“
Aiden gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er sich setzen solle und sagte: „Unglaublich, wir dachten immer, dass die Geschichte von Vishu eine Legende sei. Leyla hat schon so etwas angedeutet, aber ich dachte nicht, dass etwas dran wäre.“
Er drehte sich auf die Knie und starrte Gregory aus seinen fast schwarzen Augen an, dann umarmte er ihn ungestüm Gregory verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings in den Pool. Er schlug wild um sich und kam dann prustend wieder hoch. Aiden streckte ihm die Hand entgegen, um ihn aus dem Pool zu ziehen. „Tut mir leid, ich wollte nicht so ungestüm sein, aber es ist einfach unfassbar. „
Er zog ihn aus dem Wasser. „Es ist deine Lebensaufgabe, uns gegen die korrupten Akandos, allen voran mein Vater, anzuführen. So wurde es vorausgesagt.“
Gregory war nass bis auf die Knochen, er schüttelte den Kopf und das Wasser spritzte in alle Richtungen. „Was faselst du da, ich habe keine Ahnung, was du meinst. Wie soll ich das denn anstellen?“ Aiden grinste ihn an. „Keine Sorge, Bruder, das kriegen wir schon hin. Komm, wir suchen dir zuerst etwas Trockenes zum Anziehen.“ Mila stand beim Pool und strahlte Gregory ehrfürchtig an.
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