Dietrich Novak
Götzenbild
Nur eine Hülle
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Inhaltsverzeichnis
Titel Dietrich Novak Götzenbild Nur eine Hülle Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Epilog
Impressum neobooks
Prolog
Die vor Angst zitternde Frau war geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt. Ihre Handgelenke trugen Manschetten aus Eisen, die mittels einer Kette aus dicken Gliedern in der Wand verankert waren. Ungläubig betrachtete sie ihre Umgebung, ein großer, gefliester Raum, der an ein altes Labor erinnerte. Die blaue Leuchtstoffröhre verbreitete ein kaltes Licht, das alles noch unwirklicher erscheinen ließ. Sie saß auf den nackten, teilweise zerstörten Bodenfliesen, an die kalte Wand gelehnt und fror erbärmlich.
Das habe ich doch schon irgendwo gesehen, dachte sie. Dann fiel ihr ein, dass die Szenerie an die Saw Filme erinnerte. Nur war es hier nicht ganz so verkommen, und Leidensgenossen gab es allem Anschein nach auch nicht, was nicht unbedingt ein Trost war.
Ihre Entführung war ähnlich wie in den Horrorfilmen dieser Reihe abgelaufen. Gutgläubig hatte sie einem scheinbar hilflos am Boden liegenden Mann zu Hilfe kommen wollen. Der war plötzlich aufgesprungen und hatte ihr einen Wattebausch ins Gesicht gedrückt, der ihr augenblicklich die Sinne geraubt hatte.
Als sie zu sich gekommen war, hatte sie sich in dieser prekären Lage befunden. Warum nur ?, dachte sie unentwegt. Sie hatte niemandem etwas zu Leide getan. Was wollte der Kerl also von ihr? Ein Vergewaltiger schien er nicht zu sein. Jedenfalls hatte er sie bisher sexuell nicht bedrängt. Was wollte er dann? Machte es ihm Spaß, sie leiden zu sehen? Wollte er sie später umbringen und vorher grausame Experimente mit ihr durchführen? Die seltsamen Instrumente, die überall herumlagen, sprachen dafür. Auch das große Wasserbecken, das an ein überdimensionales Aquarium erinnerte, erfüllte sie mit Grauen.
Neben den Instrumenten gab es wie in einem Operationssaal eine Liege, über der sich eine klinisch anmutende große, kreisrunde Lampe befand. Nicht weit davon stand ein Metalltisch mit Abfluss, wie sie ihn aus Szenen kannte, die in der Pathologie spielten. An den Wänden hingen Poster mit schematischen Darstellungen des menschlichen Körpers. In einem Regal und auf dem Boden standen Kanister mit undefinierbarem Inhalt herum, und es roch irgendwie seltsam in dem Raum.
Irgendjemand musste doch auf dem Parkplatz ihre Entführung beobachtet haben, überlegte sie. Warum hatte ihr keiner geholfen? Waren die Menschen schon so gleichgültig, dass ihnen das Schicksal eines anderen egal war? Oder waren sie nur um ihre eigene Sicherheit besorgt gewesen? Dann fiel ihr ein, dass zu der späten Abendstunde der Parkplatz bis auf wenige Fahrzeuge leer gewesen war. Sie hatte sich noch über den Transporter gewundert, den sie an dieser Stelle noch nie zuvor gesehen hatte. Dann war ihr die Gestalt am Boden aufgefallen, die wie leblos wirkte. Hätte sie sich bloß nicht darum gekümmert … aber das hätte sie nicht übers Herz gebracht.
Plötzlich öffnete sich geräuschvoll die schwere Eisentür. Die Gestalt, die hereinkam, war von oben bis unten verhüllt. Auch diese Kleidung kannte sie aus Filmen. Die ermittelnden Beamten der Kriminaltechnischen Untersuchung trugen so etwas. Weiße Anzüge mit Reißverschluss, dazu Handschuhe, eine Art Duschhaube und hell-blaue Plastiküberzüge für die Schuhe, um am Tatort keine eigenen Spuren zu hinterlassen. Dieser hier trug zusätzlich eine Atemmaske, die nur seine stechenden Augen freiließ.
Der Aufzug der Gestalt ließ die Frau ahnen, dass es keine Rettung für sie geben würde. Augenblicklich erfüllte sie Panik.
Das Ehepaar mit Kind, das fröhlich schwatzend am Frühstückstisch saß, wirkte wie Millionen anderer Familien. Nur, dass alle drei besonders gut aussehend waren, doch auch das sollte öfter vorkommen.
Niemand, der es nicht besser wusste, hätte vermutet, dass die attraktive, weißblonde Frau mit langem Pferdeschwanz, knappem T-Shirt und verwaschenen Jeans denselben Beruf ausübte wie ihr Mann, der ebenso lässig gekleidet war. Beide waren Ermittler des LKA Berlin und unlängst vom Kommissar zum Hauptkommissar befördert worden. Keine selbstverständliche Angelegenheit, denn Valerie Voss neigte zu Alleingängen, die ihren Chef jedes Mal zur Weißglut brachten, doch ihre hohe Aufklärungsquote ließ ihn stets ein Auge zudrücken.
Vor wenigen Jahren wäre es beinahe schiefgegangen. Valerie hatte im Allgäu ihren Liebhaber verfolgt, der im Verdacht stand, mehrere Menschen aus religiösen Motiven ermordet zu haben. Vor Ort hatte sie dann feststellen müssen, dass sie seinem Zwillingsbruder gegenüberstand. Die mordlüsterne Mutter der Brüder hatte ihn sogar aufgefordert, Valerie zu töten. Kollege Hinnerk Lange war ihr im letzten Moment zu Hilfe gekommen.
Wenig später war es umgekehrt gewesen. Eine geisteskranke Frau hatte Hinnerk nach Südtirol gelockt. Valerie war ihm nachgereist und zusammen mit ihm in eine Falle geraten. Beide hatte dann die Südtiroler Polizei buchstäblich in letzter Minute gerettet.
Bei beiden Fällen waren sich Valerie und Hinnerk nähergekommen. Dennoch hatte es eine Weile gedauert, bis Valerie Hinnerks Werben nachgegeben hatte, denn sie hielt sich für beziehungsunfähig und orientierte sich sexuell nach beiden Seiten. Ein Umstand, der Hinnerk nicht zu stören schien. Jedenfalls war es nie ein Thema bei ihnen gewesen.
Außerdem betrachtete sich Valerie als ein gebranntes Kind, denn bis heute konnte sie nicht herausfinden, ob Alex, ihr letzter Liebhaber, oder sein Zwillingsbruder Alexander die Morde begangen hatte, denn beide waren inzwischen tot. Alexander musste auf der Flucht in eine Gletscherspalte gefallen sein, und Alex war aus dem Fenster seiner Berliner Altbauwohnung gestürzt, als er auf Valerie zustürmte, die sich durch einen Sprung in Sicherheit bringen konnte. Unklar blieb dabei, ob Alex die Absicht gehabt hatte, sie hinauszustürzen, oder nur zu ungestüm gewesen war. Ein Zweifel, mit dem Valerie nur unzureichend klar kam, und der ihr noch heute gelegentlich Albträume bereitete.
Als Valerie und Hinnerk sich zu ihren Gefühlen für einander bekannt hatten, lebten sie noch in zwei verschiedenen Wohnungen in der Wilmersdorfer Schlange , einem Autobahnüberbau mit Hunderten von Wohneinheiten. Bald darauf war Valerie mit Ben schwanger geworden. Sie selbst hätte lieber ein Mädchen bekommen, aber Hinnerk strahlte vor Glück über den Stammhalter. Inzwischen schämte sich Valerie ein wenig über ihre anfängliche Enttäuschung, denn Ben war ein entzückender Junge, den Valerie abgöttisch liebte.
Nach der Heirat und der Geburt von Ben hatte sich ein Zusammenziehen als unvermeidlich erwiesen, möglichst in ein kindgerechtes Heim, das allen gerecht wurde. Die Wahl war dann auf ein Reihenhaus in der Nähe des Großen Tiergartens gefallen. Von dort konnte man das Präsidium im sprichwörtlichen Katzensprung erreichen, und mehr Grün konnte man sich kaum wünschen. Selbst Valeries Katze Minka, die auf dem Weg war, eine ältere Katzendame zu werden, kam dabei auf ihre Kosten. In einer Hinsicht eiferte sie nämlich ihrem Frauchen nach – die Alleingänge. Mehr als einmal hatte Valerie befürchtet, dem geliebten Haustier wäre etwas zugestoßen, aber Minka war stets reumütig mehr oder minder unversehrt zurückgekehrt.
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