Wenn man vom Parkplatz aus zurück auf die Golden Gate Bridge wollte, mußte man etwas umständlich den Highway unterqueren, und dann kam auch schon die Toll Station, die ich auf der Herfahrt schon vermißt hatte. Drei Dollar fand ich einen durchaus akzeptablen Preis für das soeben Erlebte. Für eine Nebelschau hingegen hätte ich es etwas teuer gefunden. Auf meiner Fahrt nach Sea Cliff kam ich nun durch Presidio, ein Militärgelände direkt am Fuß der Golden Gate Bridge, das durch den gleichnamigen Film mit Sean Connery in einer der Hauptrollen bekannt geworden ist. Weiter ging es durch den Lincoln Park, eine sehr gepflegte und saubere Anlage mit einem Golfplatz.
Gegen Ende des Lincoln Parks hatte man plötzlich einen herrlichen Blick durch die Bäume auf die Golden Gate Bridge von der anderen Seite her, der Pazifik-Seite. Zum Glück gab es rechter Hand die Möglichkeit, seinen Wagen neben der Fahrbahn abzustellen. Ich stieg aus und spielte noch einmal Tourist mit Videokamera. Ziemlich weit unter mir, durch die Bäume recht schlecht zu erkennen, gab es anscheinend so eine Art Lagerplatz oder auch kleiner Campingplatz. Ich konnte ein paar junge Leute erkennen, ein paar Motorräder und einen überaus bunten Recreation Van, Marke „selbst gestrickt“. Ich hörte auch Musik, ob selbst fabriziert oder aus dem Radiorecorder, konnte ich natürlich nicht feststellen.
Kurz danach erreichte ich Sea Cliff, eine echte Nobelgegend. Wer hier wohnte, der hatte Moos im Überfluß. Das sah man schon anhand der Autos, die vor den mustergültig gepflegten Anlagen standen. Mercedes, BMW, riesige Amischlitten wie mein Towncar und protzige Four Wheel Drives prägten das Bild. Ich suchte nun die mir angegebene Adresse und fand sie auch völlig problemlos. Ich parkte meinen Wagen, stieg aus, ging durch einen wundervollen Blumen- und Blütengarten ungefähr zwanzig Meter bis zum Haus und machte mich mittels eines Messingklopfers in Form eines Löwenkopfes bemerkbar.
Eine Frau in mittlerem Alter öffnete die Tür.
„Ja bitte, kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie mich mit einer sehr angenehmen, wohltönenden Stimme.
„Entschuldigen Sie bitte die Störung!“, antwortete ich. „Ich komme aus Deutschland und möchte mich gerne mit Ihrer Tochter Sharon ein wenig unterhalten.“ Ich bemerkte sofort deutlich, wie sie abweisend wurde, und fuhr deshalb schnell fort. „Es geht um ihre ehemalige Zimmer-Kameradin an der Berkley University, um Brigitte. Ich weiß nicht, ob Sie das Mädchen kennen oder vielleicht doch schon über Ihrer Tochter von ihr gehört haben. Auf jeden Fall wird sie seit einigen Wochen vermißt, und ihr Vater macht sich große Sorgen um sie. Er hat mich deshalb beauftragt, nach ihr zu suchen. Ich hoffe nun, ihre Tochter kann mir irgendwie helfen.“
Sofort wurde die Dame wieder freundlicher.
„Aber selbstverständlich habe ich von Brigitte gehört, ein nettes Mädchen. Leider ist nun aber meine Tochter im Augenblick nicht zu Hause. Sie kommt erst gegen Abend wieder nach Hause. Aber wenn Sie so gegen 21.00 Uhr noch einmal kommen würden, so bin ich sicher, daß Ihnen meine Tochter helfen wird, so gut es ihr nur möglich ist.“
„Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen. Ich danke Ihnen sehr herzlich und komme gerne auf Ihr Angebot zurück. Ich werde pünktlich heute Abend um 21.00 Uhr noch einmal erscheinen.“
Ich verabschiedete mich und ging wieder zu meinem Wagen zurück. Für den Anfang war das gar nicht einmal übel. Töchterchen hätte sich ja auch auf einer zwölfwöchigen Trekkingtour durch Nepal befinden können.
Ich fuhr in einem großen, mehr als zweistündigen Bogen zurück zum Hotel und erstattete Onkel Nick per Fax Bericht. Danach stellte ich meinen kleinen Reisewecker, zog mich aus, legte mich aufs Bett und schlief ein wenig auf Vorrat. Wer weiß, wie lange die heutige Nacht werden würde.
26
Eine Spur
Als ich geweckt wurde, fühlte ich mich entspannt und frisch. Ich zog mich an fürs Abendessen und ging ins Restaurant. Heute leistete ich mir ein New Yorker Steak mit french fries. Das Fleisch hatte die bereits beschriebenen Ausmaße und war schön zart. Bei den french fries, sprich Pommes frites, fiel es erfreulicherweise wesentlich weniger ins Gewicht, daß die Amis scheinbar keine Kartoffeln schälen können. Gut gesättigt ging ich zum Car Valet, ließ mir meinen Lincoln bringen und fuhr Richtung Golden Gate. Ich war zwar noch viel zu früh dran, aber ich rechnete mit ein paar unfreiwilligen Umwegen und wollte auf keinen Fall zu spät kommen.
Ich fand den Weg nach Sea Cliff diesmal erheblich schneller. Ich verfuhr mich nur ein einziges Mal, und das kostete mich nicht einmal viel Zeit. Die Dämmerung begann hereinzubrechen. Die Sonne stand schon ganz tief über dem Pazifik, und die Golden Gate Bridge war in die letzten Sonnenstrahlen eines schönen Tages getaucht. Ich fand meinen „Privatparkplatz“ von heute Nachmittag wieder, stellte den Lincoln ab und genoß den Anblick. Nachts, wenn die Brücke von Scheinwerfern angestrahlt und zusätzlich noch von den vielen darüber fahrenden Autos erhellt wurde, mußte man von hier aus einen phantastischen Blick haben. Ich beschloß, später, nach meiner Unterhaltung mit der kleinen Sharon, noch einmal hier vorbeizuschauen, sofern ich dann noch Lust und genug Zeit dazu hätte.
Ich genoß den Sonnenuntergang an der Golden Gate Bucht fast eine halbe Stunde lang. Es war mit das Schönste, was ich in den letzten Jahren an Sonnenuntergängen gesehen hatte. Die jungen Leute, die mir heute Nachmittag schon aufgefallen waren, hatten anscheinend kein Auge für dieses herrliche Naturereignis, das sich direkt vor ihnen abspielte. Dort unten ging es recht laut zu. Es fielen laute Worte, und es hörte sich fast ein wenig nach Streit an. Wahrscheinlich waren auch Alkohol oder Drogen im Spiel.
Ich hatte nun genug Zeit verstreichen lassen, stieg wieder in meinen Lincoln ein und fuhr die paar Meilen nach Sea Cliff. Ich konnte wieder direkt vor dem Haus parken, stieg aus, schloß meinen Wagen ab und ging zur Haustür. Auf mein Klopfen mit dem Löwenkopf hin öffnete mir ein junges Mädchen von vielleicht zwanzig Jahren. Sie hatte brünette, gelockte Haare, die sie halblang trug. Bekleidet war sie mit der amerikanischen Einheitsuniform, Jeans und T- Shirt.
„Guten Abend. Mein Name ist Steiner, Michael Steiner“, begrüßte ich sie. „Sie müssen Sharon sein.“
„Ja, guten Abend, das stimmt, ich bin Sharon MacGregor“, lächelte sie mich an. „Meine Mutter hat mir schon erzählt, daß Sie heute schon einmal nach mir gefragt haben und noch einmal vorbeikommen wollten. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich Ihnen viel werde helfen können. Aber bitte kommen Sie doch erst einmal herein. Wir brauchen uns ja nicht hier zwischen Tür und Angel zu unterhalten“, bat sie mich ins Haus ihrer Eltern.
„Das ist der junge Mann aus Deutschland, von dem ich dir erzählt habe“, hörte ich Mrs. MacGregor zu ihrem Mann sagen, der nun auch auf der Bildfläche erschienen war.
„Bitte kommen Sie doch ins Wohnzimmer, Mr. äh?“, sah mich die Dame des Hauses fragend an.
„Steiner, Michael Steiner“, stellte ich mich vor und folgte ihrer einladenden Handbewegung ins Wohnzimmer.
„Was darf ich Ihnen anbieten, einen Drink, ein Bier oder ein Soda?“, spielte Mr. MacGregor den großzügigen Hausherrn.
„Eine Coke, wenn Sie haben, ansonsten bitte ein Mineralwasser“, nahm ich die Einladung an.
„Aber ich bitte Sie, Mr. Steiner. Sie sind in Amerika. Natürlich haben wir Coke im Haus. Elly, sei doch so nett und bring Mr. Steiner eine Flasche aus dem Kühlschrank“, ließ sich der Hausherr vernehmen.
„Sharon“, begann ich nun ohne große Umschweife das Gespräch. „Wissen Sie, wo Brigitte ist, oder haben Sie wenigstens irgendeine Ahnung, wo sie stecken könnte? Ihr Vater, den Sie ja, glaube ich, schon kennen gelernt haben, macht sich sehr große Sorgen um sie. Er hat seit Wochen nichts mehr von ihr gehört.“
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