Es hätte mich interessiert, ob die Kellner hier in diesem Fünf Sterne-Restaurant wirklich auch in der Hauptsache auf Tip-Basis arbeiteten oder ob der alles andere als dezente Hinweis nur einer guten alten Gewohnheit entsprach. Dieses „Tip Sir!“ ist wirklich eine ganz große Unsitte. Ich persönlich weiß immer nie so recht, soll ich jetzt so richtig verarscht werden oder enthalte ich dem Kerl einen Teil seines Lohnes vor. Die sollen sagen, was es kostet, dann zahlt man das oder läßt es ganz sein, und damit basta. Nachdem ich bei diesem Auftrag ja aber über ein bestens gefülltes Spesenkonto verfügte, konnte ich mich von meiner großzügigen Seite zeigen. Der Bückling, den mein Kellner hinlegte, nachdem er einen kurzen Blick auf den kleinen Teller mit der Rechnung geworfen hatte, zeigte mir, daß er meine Einschätzung von einem fürstlichen Trinkgeld durchaus teilte.
Ich stieß in Gedanken noch einmal auf Dr. Heinrich und seine Spesenabrechnung an und ging zurück ins Zimmer. Ich hatte ein „Privacy Schild“ an die Tür gehängt und es war auch befolgt worden. Ich hasse es, wenn ich vom Frühstück komme und finde dann schon den Roomservice in meinem Zimmer voll bei der Arbeit. Ich kontrollierte das Fax-Gerät, aber es war nichts Neues eingetroffen. Alles Wertvolle, was ich im Augenblick nicht benötigte, verstaute ich im Zimmersafe, der erfreulich geräumig war. Dann verließ ich das Hotel und ging zu Hertz Rent-a-car um die Ecke.
Es waren zwei Ehepaare vor mir an der Reihe. Eine Vierergruppe von jungen Leuten, bestimmt auch „Touris“ aus Good Old Europe, versuchte gerade ihr umfangreiches Gepäck in einem Ford Taurus unterzubringen. Sie hatten anscheinend so ihre Schwierigkeiten damit, denn sie mußten jetzt schon etliche Taschen mit in den Passagierraum des Wagens nehmen. Die hatten bei der Abfahrt schon keinen Platz mehr, wie stellten die sich vor, sollte das erst später werden?
Aber schon war ich an der Reihe, legte meinen Reservierungs-Voucher vor, meinen Führerschein und meinen Paß, und die Dame tippte eifrig an ihrem Computer. Aber erst nachdem ich ihr auch noch meine Kreditkarte überreicht hatte, war sie wirklich zufrieden.
Plötzlich herrschte draußen hektische Betriebsamkeit. Ein Kunde war vorgefahren mit seinem Sportwagen, einer Corvette, die auch schon bessere Tage gesehen hatte. Es sah aus, als hätte sie eine Begegnung mit einem Panzer gehabt, aber es war dann doch nur ein gewöhnlicher Müllwagen gewesen. Nun kam noch einer der Boys ins Büro und erzählte etwas von einem „elevator breakdown“. Die Dame, die meinen Mietvertrag bearbeitete, rief mich von meinem Warteplatz heran und teilte mir auch noch einmal mit, daß der Aufzug defekt sei und man deshalb für noch nicht absehbare Zeit keine Leihwagen mehr ausliefern könne.
Das fing ja gut an. Aber bevor ich meinem Unwillen so richtig Ausdruck verleihen und ihr mitteilen konnte, sie sollten sich dann gefälligst von den fünf oder sechs anderen Hertz Mietstationen, die es in San Francisco gab, Ersatzfahrzeuge kommen lassen, unterbrach sie mich schon und teilte mir mit, daß erst vor einer halben Stunde ein Lincoln Towncar am Car Return zurückgegeben worden sei. Ich sollte mich noch „a few minutes“ gedulden. Der Wagen würde gerade noch gewaschen und dann sofort für mich hergebracht. Ich dachte gerade noch so bei mir, daß sie den Wagen hoffentlich nicht nur waschen, sondern auch von der Maschine her durchsehen würden, als auch schon ein triefnasser, schwarzer Lincoln Towncar vorgefahren wurde. Sein Lack schrie geradezu nach einer Wachspolitur, das Wasser perlte überhaupt nicht mehr ab.
„That’s your car!“, rief mich meine Sachbearbeiterin heran, ließ mich noch ein paar Unterschriften und Namenszeichen machen und überreichte mir die Autoschlüssel zusammen mit den Vermietunterlagen. Ich fragte noch nach so einer Art Fahrzeugschein für den Wagen und erfuhr daraufhin, daß die Vermietunterlagen genügen würden.
„No luggage, Sir?“ Der Boy, der mir den Wagen zu erklären versuchte, konnte es kaum glauben. Ein Ausländer, der keinerlei Gepäck dabei hatte. Das war doch mehr als ungewöhnlich. Ich beruhigte ihn mit dem Hinweis, daß mein Gepäck noch im Westin St. Francis liege. Dann erklärte mir der gute Mann, wo das Lenkrad war, wie man das Radio einschaltete und lauter so Blödsinn. Interessiert hätten mich die Automatik, die Klimaanlage und sonst noch ein paar Knöpfe. Gerade bei der Klimaanlage zeichnete sich der Held aus. Er las mir die Aufschrift der Knöpfe vor. Das konnte ich selber und auch noch besser als er.
Als ich dann noch nach der Zentralverriegelung fragte, da mein Schlüssel nur die Fahrertür auf- und zuschloß, während sich die anderen Türknöpfe nicht bewegten, und als Antwort erhielt: „it doesn’t work“, platzte mir doch beinahe der Kragen. Zum Glück mischte sich gleich ein anderer Mitarbeiter ein, ein netter junger Kerl. Er zeigte mir des Rätsels Lösung. Einer der zwei Dutzend Knöpfe in der Fahrer-Armlehne diente als Schalter für die Zentralverriegelung.
Der Junge schien Ahnung von dem Auto zu haben. Ich nutzte die Chance und ließ mir neben ein paar anderen Knöpfen gleich auch noch einmal die Klimaanlage und ihre Programmierung von ihm erklären. Der Junge war wirklich gut drauf und kannte sich bestens mit dem Wagen aus. Das war mir dann natürlich auch einen Zehner wert, was wiederum dem Jungen unheimlich gut gefiel.
Ich verließ den Hof von Hertz Rent-a-car und fuhr in die Mason Street ein. Ich hatte bisher noch nie einen Wagen mit Automatik gefahren. Ich schalte lieber selbst. Aber in den USA hat fast jedes Auto eine Automatik. Die meisten Amis wissen gar nicht, was eine Kupplung ist.
Die Automatik-Schaltung des Lincoln Towncar war aber wirklich kinderleicht zu bedienen. Was mir jedoch Probleme machte, war die fehlende Kupplung. An der ersten Ampel schon fabrizierte ich eine Notbremsung der allerersten Güte, weil ich die Kupplung treten wollte und natürlich voll auf die Bremse latschte. Aber mit etwas Konzentration war das Problem schon in den Griff zu bekommen.
Ich wollte zu der Adresse in Sea Cliff hinausfahren, um dort mit meinen Nachforschungen zu beginnen. Allein, mit einem auch noch so guten Stadtplan, ist man in einer Großstadt wie San Francisco ziemlich aufgeschmissen. Ich brauchte mehrere Anläufe und diverse Orientierungs-Stops, bis ich überhaupt in die Gegend von Sea Cliff kam. Sehr hilfreich war die Beschilderung für die Golden Gate Bridge, die hier in der Nähe lag. Für solche Suchaktionen sollte man einen Beifahrer als Pfadfinder haben, das erleichtert einem das Leben dann doch sehr.
Onkel Nick schwört für solche Fälle auf sein „Brieftäubchen“, wie er es nennt. Tante Alex sei der ideale Copilot. Wahrscheinlich hat er recht, denn schließlich haben die beiden schon eine Vielzahl von Reisen in aller Herren Länder gemacht und sind bisher noch überall hingekommen, wo sie hinwollten.
Ich fuhr nun auf dem Highway direkt auf die Golden Gate Bridge zu, und das bei strahlendem Sonnenschein. Ich weiß von Bekannten, die eine ganze Woche in San Francisco verbracht und nicht einen einzigen Tag ohne Nebel erlebt hatten. Von der Golden Gate Bridge hatten sie immer nur Schemen im Nebel gesehen. Aber ich hatte Glück, schöneres Wetter konnte man sich wirklich nicht wünschen. Es war schon ein gigantisches Bauwerk, über das sich der Verkehr in sechs Spuren ergoß. Ich hatte eigentlich eine Station für den Brückenzoll erwartet, konnte aber ohne Stop die Brücke überqueren. Direkt nach der Brücke war ein Parkplatz, auf den ich hinausfuhr. Man hatte hier einen herrlichen Rundblick auf die Bucht von San Francisco und die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz. Am gegenüberliegenden Ufer erhob sich Downtown aus dem Dunst.
Ich holte meine Videokamera aus dem Lincoln und machte einen weiten Schwenk von links über die Bucht von San Francisco bis zur Golden Gate Bridge zu meiner Rechten. Ich unterschied mich durch nichts von den rund hundert Touristen, die den Parkplatz und die Aussicht mit mir teilten.
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