Es war eine sehr schöne, neue Erfahrung für mich gewesen, einmal vor dem gesamten Economy-Volk, zu dem ich normalerweise auch gehörte, das Flugzeug verlassen zu können. Ich schnappte mir also meine Handgepäckstasche und die kleine Herrentasche mit all meinen Papieren und wollte das Flugzeug verlassen. Meine kleine „Zwinker-Stewardess“ wollte mir noch unbedingt eine deutsche Tageszeitung aufdrängen.
„Sie werden vielleicht längere Zeit nichts Deutsches mehr zu lesen bekommen.“
„Das macht nichts, ich lese auch Englisches. Zur Not nehme ich sogar mit Comics vorlieb!“, wollte ich ihr Angebot ablehnen.
„Bestimmt finden Sie etwas darin, das Sie interessiert“, überging sie meine Ablehnung und drückte mir die FAZ in die Hand. Mir dämmerte etwas. Ich bedankte mich und verließ das Flugzeug.
Der Weg zur Gepäckausgabe war relativ gut ausgeschildert. Ich stand kaum an dem Gummi-Förderband, als auch schon die ersten Koffer aus der Tiefe des Flughafen-Gebäudes erschienen. Nun hieß es warten. Ich habe bei der Gepäckausgabe noch nie Glück gehabt und als einer der ersten mein Gepäck erhalten. Aber heute wurde meine Geduld auf eine extrem harte Probe gestellt. Mein Samsonite war wirklich der vorletzte Koffer, der zum Vorschein kam. Es war ein dunkelblauer Samsonite mit den Initialen A.S. Tante Alex hatte mir den Koffer vererbt. Er war noch aus ihrer Jungmädchenzeit, wie sie es nannte. Sie hatte ihn damals für ihre Ausbildung gekauft, so vor knapp 20 Jahren. Er war noch top in Ordnung, und ich mochte ihn gern wegen seiner Größe und Stabilität. Die großen Initialen A. S. waren recht hilfreich, denn wie ich früher schon oft festgestellt hatte, so war es auch heute. Blaue Samsonites gibt es wie Sand am Meer. Ich hatte wirklich gedacht, meiner käme überhaupt nicht mehr. Reihenweise waren die Leute mit ihrem Gepäck bereits zur Einwanderungsbehörde und Zollkontrolle abmarschiert, während ich mich immer mehr mit dem Gedanken vertraut machte, zum ersten Mal in meinem Leben dem „Lost Luggage“-Schalter meine Aufwartung zu machen. Leicht verärgert, gleichzeitig jedoch auch erleichtert, hievte ich mein gesamtes Gepäck auf einen Trolli, die es hier zum Nulltarif gab, ganz im Gegensatz zum Flughafen München. Dort läuft unter 2,00 DM überhaupt nichts.
Dann stellte ich mich an einer der vielen Schlangen vor der Einwanderungs- und Zollbehörde an. Die attraktiven, sprich kurzen Schlangen, waren leider „only for US-Citicens, Behinderte, werdende Mütter etc.“ Für die popeligen Bürger aus Europa oder erst recht aus Good Old Germany gab es leider keine Extra-Schlange. Das gleiche galt leider auch für die First-Class-Passengers.
Anscheinend gab es bei irgendwelchen Leuten vor mir Probleme, denn es ging überhaupt nicht vorwärts. Die Schlangen links und rechts von mir wurden zügig kürzer, nur die Schlange vor mir nicht. Ich spielte mehrfach mit dem Gedanken, die Schlange zu wechseln, ließ es aber dann doch sein. Denn bestimmt ginge es mir hier wie sonst im Straßenverkehr. Staus und Behinderungen sind dort nämlich auch immer nur auf meiner Fahrspur, und wenn ich die Spur wechsle, dann geht es plötzlich auf der alten Spur schneller voran. Ich blieb also wo ich war und kann ohne Übertreibung behaupten, daß ich unter den letzten fünf Passagieren des Flugs BA 5857 war, die die Einreiseformalitäten am Flughafen von San Francisco hinter sich brachten. Die Einwanderungs-Prozedur in die USA war, wie man mir zum Glück bereits kundgetan hatte, wirklich eine harte Sache.
Onkel Nick hatte mich davor gewarnt, gegenüber den Immigration-Officers Eile, Unwillen oder gar Verärgerung erkennen zu lassen. Denn diese Officers sind kleine Götter. Wenn einem deine Nase oder dein Outfit nicht paßt, dann zeigt er dir erst so richtig, was ein guter Immigration-Officer unter einer korrekten Einreise-Überprüfung versteht. Man kann hier als eiliger Neuankömmling anscheinend problemlos ein paar lustige Stündchen mit Koffer auspacken, Ausziehen der Kleidung, Bücken etc. verbringen, ohne daß man etwas gegen diese Behandlung unternehmen kann, wenn man in die USA hinein will.
Ich gab also mein grünes Ein- und Ausreiseformular für visafreies Reisen ab, das ich im Flugzeug während des Landeanflugs folgsam ausgefüllt hatte. Was die Fragen auf diesem Formular betrifft, verdienen sie doch noch eine extra Erwähnung. Sie waren alle in etwa von folgender Qualität:
Sind Sie geisteskrank?
Betreiben Sie Mißbrauch mit Drogen?
Steht hinter Ihrer Einreise die Absicht, sich an strafbaren oder unmoralischen Handlungen zu beteiligen?
Welcher hirnverbrannte Vollidiot würde hier wohl mit „Ja“ antworten, wenn er beabsichtigte, in die USA einzureisen. Das Frage- und Antwortspiel der US-amerikanischen Einreise-Behörden war noch deutlich verbesserungsbedürftig. Während der Immigration-Officer nun mein Einreiseformular einer kritischen Würdigung unterwarf, versuchte ich, um einen guten Eindruck zu machen, ein freundliches Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern. Das fiel mir nach den kürzlich gemachten Erfahrungen aber leider nicht allzu leicht.
Kaum eineinhalb Stunden nach Landung des Flugzeugs war ich nun endlich soweit, mir ein Taxi in die Innenstadt zu suchen. Ich war ziemlich überrascht über die Temperatur hier in San Francisco. Wir hatten schließlich Hochsommer, und es war trotzdem nicht allzu warm.
Der Taxistand war direkt vor dem Terminal. Wie bei den Amis üblich, war sofort irgend so ein Kerl da, der sich um mein Gepäck kümmern und ein paar Dollar abstauben wollte. Da ich von Tante Alex über die hiesige Trinkgeld-Unsitte zum Glück bereits ausgiebig informiert worden war, ließ ich den Kerl gewähren und mein Gepäck auf dem Trolli von ihm zum nächsten Taxi fahren. Ohne Tante Alexandras Aufklärungs-Stunden hätte sein schneller Griff nach meinem Trolli ihn unter Umständen ein paar seiner Beißerchen gekostet, da ich ihm natürlich sofort einen dreisten Diebstahlversuch unterstellt hätte. Der Kerl lud die Koffer ein, und ich gab ihm danach ein paar einzelne Dollar, die ich während des Fluges in meine Hemdtasche gesteckt hatte. Das war ein Tip von Onkel Nick. Man sollte bei den Amis immer ein paar Dollar in kleiner Stückelung in den Taschen haben.
„Tip, Sir!?!“ tönt es aus allen Ecken und Enden. Dieses ewige Bettelei nach Trinkgeld kann einem mit der Zeit ganz schön auf den Keks gehen, auch wenn man sich immer wieder verinnerlicht, daß viele von den Leuten kein Gehalt beziehen, sondern nur auf Tip-Basis arbeiten, sprich auf das Trinkgeld angewiesen sind, weil sie davon leben müssen.
Ich nannte dem Taxifahrer die Adresse meines Hotels, des Westin St. Francis am Union Square, und machte es mir auf dem Beifahrersitz bequem. Das Taxi war ein verbeulter, alter Karren von geradezu gigantischen Ausmaßen. Ich schätzte ihn auf mindestens 6 Meter Länge. Ein Amischlitten im Holzdesign, riesig lang, riesig breit und riesig alt.
Ich versuchte, mit dem Taxifahrer ein kleines Gespräch zu führen, indem ich ihn ab und zu nach einem Gebäude fragte, an dem wir vorbeikamen. Aber entweder mein Englisch taugte überhaupt nichts mehr, oder es war sonst etwas kaputt. Ich verstand den guten Mann einfach nicht, und er schien auch kein Wort von dem zu verstehen, was ich von mir gab. Ich hegte schon recht deutliche Zweifel an meinen Englisch-Kenntnissen, als ich zufällig am Armaturenbrett seine Taxi-License erblickte. Er hieß Kim Rosebergk und kam aus der Ukraine. Ich fragte nun ganz langsam auf Deutsch, wie lange er denn in den USA sei. Er blühte richtig auf, weil er endlich etwas verstanden hatte, und teilte mir strahlend mit:
„I here in San Francisco six monats!“
Ich strahlte zurück und war froh, daß nicht mein Englisch das Problem unserer nicht zustande gekommenen Konversation gewesen war. Es bestätigte sich, was mir Tante Alex bereits klargemacht hatte. Bei den Amis kannst du sehr schnell ohne weiteres als Einheimischer gelten, denn die Amis sind es gewöhnt, daß jede Menge ihrer Mitbürger zwar über einen US-amerikanischen Reisepaß verfügen, dabei aber der Landessprache in keinster Weise mächtig sind. Ich nahm an, daß diese Tatsache für meinen Auftrag von nicht unerheblichem Vorteil sein würde, da ich mit meinen Kenntnissen der Landessprache somit ohne allzu große Probleme als Inländer durchgehen würde.
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