»Vorwärts! Vorwärts! Raus aus dem Steinbruch!« Hart presste er seine Schenkel gegen die Flanken des Pferdes.
So schnell die Hufe auf dem nassen, glitschigen Boden Halt fanden, schossen die Pferde der Greakar nach vorn. In Richtung der Öffnung der Passage. Hinaus aus der tödlichen Falle. Schreie und Wiehern - klick, klick, klick - das Geräusch der Armbrüste hallte von allen Seiten wider.
Der Trupp schoss aus der Öffnung und ergoss sich auf freies Feld. Kalt und hart schlug ihnen der Wind ins Gesicht, peitschte den Reitern den Regen entgegen.
Das Klicken hatte aufgehört. Die Schreie waren schmerzvollem Stöhnen gewichen und das Wiehern war leiser geworden.
Rohar lenkte sein Pferd - und den aus der Formation ausgebrochenen Reitertrupp, der nun aussah wie ein ungeordneter Vogelschwarm - einer kargen Baumgruppe entgegen.
Das Pack ist nicht weggelaufen. Sie haben auf uns gewartet.
»Formation! Deckung! Rundum sichern!« Rohar brüllte seine Befehle nach hinten durch Regen und Wind. Ob er verstanden wurde, wusste er nicht. Aber der Trupp wusste auch so, was zu tun war.
Bei der Baumgruppe angelangt, ließ sich Rohar vom Pferd gleiten und spähte zurück zu der Öffnung der Felspassage. Nichts war zu sehen. Und noch weniger zu erkennen. Die Soldaten des Trupps hatten rundum Stellung bezogen. Sie spähten und sicherten in alle Richtungen. Die Pferde und die Verwundeten schützten sie inmitten ihres Kreises.
»Meldung!« Rohar brüllte mit belegter Stimme.
Rohar schrie seinen Frust in das Unwetter.
»Verdammte Axt!«
Flackernd und suchend ging sein Blick über die Ebene und dann zu Aldrar, der zu seinen Füßen kniete und sich um das Leben des jungen Soldaten bemühte. Vergeblich. Ein Bolzen steckte quer in seiner Kehle und der Junge gurgelte Blut.
Aldrar schüttelte den Kopf. Das Haar des Veteranen klebte grau in grau an seinem Schädel. »Nichts zu machen, Rohar.«
Resigniert nickte der dem alternden Aldrar zu. »Sieh nach den anderen.«
Im Vorbeigehen legte der Alte für den Bruchteil einer Sekunde seine schwielige Hand auf Rohars Schulter. Dann machte er sich auf, nach weiteren Verwundeten zu schauen.
Verwundete binden Kräfte. Alle Kräfte.
Flehend und voller Angst suchte der Blick des jungen Soldaten den seines Truppführers. Rohar kniete sich neben den Sterbenden und griff fest nach seiner Hand. Die Blicke von Soldat und Offizier trafen sich. Dann wurden die Augen des Jungen starr und weit - und sein Blick ging ins Leere. Rohar legte seine Hand auf die Stirn des jungen Soldaten und schloss dann dessen Augen. Wortlos stand der Truppführer auf und ging davon.
»Verbrennt ihn!«, rief er zwei in der Nähe stehenden Soldaten zu. Der Junge war - ohne Chance sich zu wehren zwar - aber er war im Kampf gefallen oder als Folge davon. In jedem Fall war er durch die Hand des Gegners gestorben. Eine der höchsten Ehren eines Kriegers der Greakar. Also durfte er auch - wie es Brauch war - nach alter Sitte ehrenvoll den Flammen übergeben werden.
»Verdammt!« Erst jetzt fiel Rohar dass andauernde, schmerzverzerrte Wiehern eines Pferdes auf. Wut nahm seine Stimme in Besitz. »Erlöst doch mal einer das Tier. Oder muss ich das selbst machen?«
Einen Herzschlag später verstummte das Tier.
Rohar seufzte innerlich als Xalany mit sorgenvoller Miene auf ihn zukam. »Sag jetzt nichts, Xalany, du weißt, dass es keine andere Wahl gab!«
Xalany schüttelte den Kopf. »Wir wussten alle, dass es eine Falle war.«
»Ach, was du nicht sagst…« Rohars Augen blitzen vor Zorn.
Xalany versuchte, den Blick ihres Truppführers aufzufangen.
»Rohar, jeder hier weiß, was auf dem Spiel steht. Für dich. Für uns alle.«
Rohar spannte die Arme an, ballte die Fäuste. »Wisst ihr das? Meinetwegen. Wir müssen dieses Pack erwischen. Und es gab nur diesen einen Weg. Wie wäre es, wenn einfach alle ihre Arbeit machen?« Unwillkürlich war Rohars Stimme lauter geworden. Der Truppführer war ein gefährliches Bündel, kochend vor Zorn.
Xalany nahm Haltung an. »In Ordnung, Truppführer. Wir haben drei Leichtverletzte, einen Toten, ein totes Pferd. Keine Feinde in Sicht, keine toten Gegner am Boden. Wie lauten die Befehle?«
»Verbrennt die Leichen, auch das Pferd. Können die Verletzten reiten?«
»Alle können reiten, Truppführer«, antwortete Xalany.
Rohar nickte langsam.
»Ausführung, dann aufsitzen! Wir haben Pack zu erledigen!«, befahl er. Xalany wandte sich mit einem erneuten Nicken ab.
*
Nachdem die Leichen verbrannt worden waren, rückte der Trupp ab. Kurz hatten sie die Fährte des Feindes verloren, nur um sie gleich darauf wieder zu finden. Trotz der Zeit, welche die Einheit verloren haben musste und des durch die Verwundeten geringeren Tempos des Trupps, verrieten die Spuren, dass die Elfen nicht viel Vorsprung haben konnten. Die Meldungen der beiden vorausgeschickten Kundschafter verkündeten Ähnliches.
Rohars Laune war trübe und seine Miene passte zum kalten Wetter. Es war noch nicht einmal Mittag und sie hatten schon herbe Verluste hinnehmen müssen. Der Trupp war den Elfen in die Falle gegangen. Zum offenen Kampf war es gar nicht gekommen. Dazu war der Trupp langsam geworden. Die Verwundeten und die angeschlagenen Pferde taten ihr übriges. Der schlammige Morast unter ihren Hufen machte es nicht besser.
»Irgendwas stinkt hier«, brummte Rohar halblaut vor sich hin. Crows, der - wie die Menschen ihn nannten - Halbling, warf dem Truppführer einen Blick zu und zog eine Augenbraue hoch. Die Sinne des kleinen, giftigen Mannes waren anscheinend beinahe ebenso gut wie die eines Greakar.
»Hmm«, machte Crows, »merkst du das auch schon?«
Rohar warf ihm einen funkelnden Blick zu. Er schätzte Crows. Ihn und dessen Fähigkeiten. Vor allem aber mochte er ihn einfach. Wahrscheinlich hatte er ihn deswegen vor Jahren aus dem Kerker einer Wegstation der Menschensiedler im Osten des wilden Landes mitgenommen.
Warum Crows dort gesessen hatte, hatte Rohar den Halbling nie gefragt. Es hatte den Truppführer nicht sonderlich interessiert. Nachdem er Crows befreit hatte, bot dieser ihm seine Dienste an. Und tatsächlich, der Kleine hatte ein paar erstaunliche Fertigkeiten. Talente, die einem Greakar zwar nicht ehrenhaft erschienen - Crows war sehr begabt im Umgang mit Dolchen und verschiedenen Giften - aber dafür waren diese Fähigkeiten überaus nützlich. Und, obwohl Rohar den Kleinen mochte, ob er ihm traute, war indes eine andere Frage. Crows war ein komischer Vogel.
»Hast du was zu sagen, kleiner Mann?«, fragte Rohar schroff. Auf seiner Stirn zeigte sich eine grantige Falte.
Crows blies die Backen auf.
»Jetzt, da du’s ansprichst, Chef…«, erwiderte Crows. »Ich meine, die kommen bei Nacht in unser Lager, erledigen die Wachen, töten Vatthar und stehlen unser… hmm… also, euer Heiligstes… und dann zünden sie das Zelt an und wecken damit das ganze Lager auf? Is’ komisch, oder?«
»Worauf willst du hinaus?« Rohar musterte den Halbling.
Crows zeigte seine angefeilten Zähne zu einem schrägen, echsenartigen Grinsen.
»Ich weiß nicht, Chef. Dieses Pack ist gut. Verdammt gut. Ich mein’, die haben´s drauf, oder?« Er schüttelte anerkennend den Kopf, dann fuhr er fort. »Sie sind schneller als wir. Sie könnten uns abhängen. Tun’s aber nicht. Hölle, sie hätten uns vorhin erledigen können. Wir sind so langsam wie eine Talschnecke, aber sie sind immer noch da.«
»Sie kennen das Land nicht«, erwiderte Rohar.
»Mag sein«, Crows verzog den Mund abschätzig.
»Das sind Todesklingen, Rohar. Elfische Elitekämpfer.«
Rohar warf Crows einen kurzen Seitenblick zu. »Wovon redest du da überhaupt?«
Crows schüttelte den Kopf. »Nur von ihnen gehört. Is’ lange her.«
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