Das Essen war, wie sie das von der Leitnerschen Küche gewohnt waren, deftig aber von ausgezeichnetem Geschmack. Sagte man wirklich Geschmack? Lediglich Sylvia und ihr Sohn Valentin stocherten missmutig in Knödeln, Fleisch und Blaukraut herum. Alle anderen, einschließlich Borowski, aßen mit gutem Appetit.
Er wird kein Jude sein, trotz des Vornamens, dachte sich Hartmut Kern, sonst würde er kein Schweinefleisch essen. Jetzt nahm er bereits die zweite Scheibe. Andererseits gab es ja auch liberale Juden, denen das ganze Brimborium der Gebote und Verbote egal war, oder? Das waren doch die Juden, mit dem Schweinefleischverbot, oder waren es die Araber? Kern grübelte kurz darüber, war sich aber nicht sicher. Egal, es war ihm sowieso gleichgültig und er ärgerte sich, dass ihm diese Frage vorhin rausgerutscht war. Der dicke Mahlow hatte ganz recht, wenn er sie idiotisch nannte.
Er musste aufpassen, dass Sylvia keinen Schnaps mehr in sich hineinkippte. Sie hatte mehr als genug. Seit dem Morgen trank sie ohne Unterbrechung Wein. Wenn sie wieder zuhause waren, wollte er mit ihr reden. Hier hatte das keinen Sinn, die Situation würde nur eskalieren und am Ende wäre das Gegenteil von dem erreicht, was zu erreichen wünschenswert gewesen wäre. Sie müssen gemeinsam einen Weg da hinausfinden, wenn die Zeit dazu noch reichte. Er musste nur einen lichten Moment erwischen, in dem Sylvia einer Kur zustimmte. Bis dahin galt es für ihn lediglich, den Schaden zu begrenzen. Jedenfalls so gut er dies vermochte. Aber es waren nur noch einige Tage, die würden sie auch noch durchstehen. Immerhin waren sowohl Mahlows als auch Redlichs so anständig, Sylvias oft peinliche Ausfälle nicht zur Kenntnis zu nehmen oder einfach so zu tun, als würden sie nichts mitbekommen. Er musste aufpassen, der Junge durfte da nicht mit hineingezogen werden. Auf keinen Fall. Er befand sich im Moment in einem Alter, das gemeinhin als schwierig bezeichnet wird. Manchmal hatte Kern das Gefühl, Valentin wäre schwul. Das hätte gerade noch gefehlt, bei all dem anderen Stress, den er um die Ohren hatte. Aber vielleicht irrte er auch, es war nur der Hauch einer Ahnung. Sie konnte trügen. Obwohl seine Ahnungen meistens zutrafen. Er kannte sich aus mit schwulen Kollegen und wusste aus täglichem Erleben auch die kleinsten Andeutungen und Zeichen zu deuten.
Während des Essens sprachen sie außer den üblichen Lobesworten für Lucy Leitners Kochkünste wenig, und erst als die Teller leer waren, auch niemand sich den seinen erneut füllt, lehnten sie sich zurück und waren es zufrieden.
Die Wirtsleute räumten das Geschirr ab und Schorsch Leitner stellte die Flasche mit dem Obstbrand nebst einer ausreichenden Anzahl Gläser auf den Holztisch. Der dicke Mahlow goss sofort randvoll ein und ignorierte auch nicht die Zeichen Hartmut Kerns, seine Frau auszulassen. Doch Sylvia war wachsam und protestierte sofort. Der dicke Mahlow war unsicher, wie er sich nun verhalten sollte. Erst als Kern nickte, entschuldigte er sein Versehen bei Sylvia und goss den Schnaps auch in das Glas, das sie ihm hinhielt. Dann tranken sie.
Nach dem Essen kam das Gespräch nur schleppend wieder in Gang, Müdigkeit hatte alle erfasst. Bevor sich die Runde auflösen konnte, sagte der dicke Mahlow er schlage für den morgigen Tag eine Wanderung vor, alle zusammen. Frau Leitner kann uns ein paar Vesperbrote machen und ab geht’s in die Berge. Natur gibt’s hier reichlich und Berghütten auch, bewirtete Berghütten natürlich. Für die Stärkung von Körper und Geist sozusagen. Was haltet ihr davon?
Ohne mich schrie Valentin Kern sofort, er sei im übrigen Morgen am See mit den Jungs zum Baden verabredet. Was für Jungs, fragte Hartmut. Na die Clique aus dem Dorf halt, wer sonst. Erika Mahlow drohte wieder neckisch mit dem Zeigefinger. Na, sind auch Mädchen dabei? Valentin, der schon aufgestanden war, machte eine Geste mit dem Mittelfinger und verschwand im Gasthaus.
Gregor meinte, Hartmut solle es ihm nicht übel nehmen, aber ernsthaft traurig könne ja wohl niemand über die Absage seines Sohnes sein. Er habe noch das Gejaule, Gejammere und Gemeckere bei der letzten Wanderung im Ohr.
Jugend eben, sagte Hartmut, was soll er auch mit uns alten Knackern anfangen? Er hat andere Interessen. Das ist doch wohl verständlich. Gregor kam Hartmuts Verteidigung seines Sohnes schlaff vor. Ich weiß, sagte er nur.
Ja, also ich bin dabei, sagte Borowski für alle überraschend als Erster zu. Wann geht’s denn los?
Der dicke Mahlow schaute auf die Uhr und sagte dann, er schlage vor, dass man sich um acht Uhr hier auf der Terrasse treffe. Acht Uhr früh natürlich, Borowski lachte pflichtschuldigst über diese Andeutung eines Witzes.
Na dann ist es gut, sagte der dicke Mahlow, ich gebe der Leitner Lucy Bescheid, damit sie uns ein paar Brote macht.
Nee antwortete Kerstin, ich will diese dicken Bemmen nicht mitschleppen und sie am Ende doch wegschmeißen, weil sie warm und breitgedrückt ekelhaft schmecken. Lasst uns um halb acht treffen und frühstücken. Das zweite Frühstück nehmen wir dann auf einer der Hütten ein. Es steht doch alle fünfzig Meter so ein Ding in der Gegend rum. Einverstanden, sagte Erika, ich spreche mit der Leitnerin. Also abgemacht, morgen früh halb acht Frühstück auf der Terrasse.
Bei Tiffany, dachte Gregor, sagte aber nichts.
Sie stiegen paarweise die Treppe zu ihren Zimmern hinauf, nur Borowski blieb noch einige Minuten sitzen und sah dem Sterben der Insekten im Licht der Kerzen zu.
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