Das hatte Llauk gefallen: Auftreten wie ein Edelmann, herrisch und selbstsicher, so ließ sich gut Handel treiben! Er würde den Dramilen - und vor allem ihren Frauen - schon beweisen, dass ein estadorianischer Stoffmacher besser zu handeln verstand, als einer dieser schmierigen Kaufleute, die jeden Kunden stundenlang mit Wein freihielten. Der Fürst - ach was - der König der Stoffmacher würde guten Handel treiben und den dramilischen Markt an sich reißen. Jedes Jahr würde er Schiffe voller Stoffballen zu den westlichen Inseln begleiten. Tos hatte ganz recht, man mußte nur wissen, wie man mit diesen Leuten umzugehen hatte.
So hatte Llauk es vor allem seinem untertänigen Sklaven zu verdanken, wenn er nun in seinen Untergang stolperte. Willig hatte Tos ihm sogar die Grundzüge der dramilischen Sprache beigebracht. – Genauso gut hätte er seinem Herrn eigenhändig die Kehle durchschneiden können.
Ein Dramile! Llauk schaute den fremden Kapitän scharf an. Hier war nun eine Gelegenheit, Tos eb Fars Ratschläge auszuprobieren: "So, also Beifracht suchst du? Und wie kommst du darauf, dass ein Stoffmacher aus Idur seine wertvolle Fracht einem dramilischen Kapitän anvertrauen will?"
"Ich bin billig, Herr."
Diese schlichten Worte des hünenhaften Dramilen trafen Llauk mitten ins Herz. Bemüht, sich seine Erregung nicht anmerken zu lassen, spielte er seine Rolle weiter.
"Billig bist du? - Billig kann nur sein, wer ein schlechtes Schiff hat!" Diese Weisheit hatte Llauk in den letzten Tagen oft genug von thedranischen Kapitänen zu hören bekommen.
"Die Große Geliebte ist ein gutes Schiff", erklärte der Dramile ungerührt. "Ihr werdet zufrieden sein, Herr."
Llauk hatte die `Große Geliebte' schon im Hafen bemerkt, aber nicht weiter beachtet. Sie war erst gestern, tief im Wasser liegend, von See gekommen, als Llauk bereits alle Hoffnung aufgegeben hatte. Trotzdem blieb ein Rest der alten Zuversicht.
"Wann läufst du aus?" Llauk schaute den Kapitän unsicher an. "Und was forderst du als Frachtrate?"
"Morgen, mit der Abendflut, Herr", hatte die Antwort gelautet. "Wir nehmen nur frischen Proviant auf. - Wenn Ihr dann bereit seid, kostet Euch die Passage nach Sordos achtzig Bronzestücke."
Sordos, die Hauptstadt der westlichen Inseln und Sitz des dramilischen Königshauses! - Llauk konnte sein Glück kaum fassen. Trotzdem dachte er an die Worte seines Sklaven: "Dramilen gegenüber mußt du auftreten wie ein Fürst. - Dann werden ihre Herzen dir zufliegen."
"Fünfzig Bronzestücke!", erklärte er mit Bestimmtheit und unterstrich seine Worte mit einer abschließenden Geste.
Der Kapitän drehte sich wortlos um und ging davon.
"Wartet!", versuchte Llauk ihn aufzuhalten, aber der Mann schien ihn nicht zu hören. Llauk lief los. "Sechzig! Sechzig Bronzestücke!"
Der Kapitän ging weiter.
"Na gut, siebzig!"
Der Mann ignorierte ihn vollständig.
"Achtzig!", schrie Llauk in höchster Not heraus. "Achtzig Bronzestücke für die Passage nach Sordos.
Endlich blieb der Mann stehen. Wortlos streckte er die Hand aus.
Zögernd löste Llauk den schmal gewordenen Geldbeutel von seinem Gürtel, entnahm ihm die überschüssigen drei Münzen und händigte ihn dem Kapitän aus.
"Bringt Eure Ware auf das Schiff", bestimmte der Kapitän. "Morgen Abend muß alles bereit sein, Herr!" Ohne ein weiteres Wort ging er davon.
Llauk ahnte nicht, dass sein erster Weg den Dramilen in das Fremdenhaus, Llauks Quartier, führte, wo er dem Quartiermeister großzügig drei Bronzestücke von Llauks Geld in die Hand drückte. - Schließlich war es eine Belohnung wert, wenn man so einen Narren vermittelt bekam.
Es gab Llauk auch nicht zu denken, dass der Dramile genau gewußt hatte, wieviel Geld sein Passagier noch hatte. - Llauk dachte nicht mehr. Keuchend schleppte er eigenhändig, Elle für Elle, seine ganze Ware quer durch den Hafen, hin zur "Großen Geliebten". - Einer wundervollen Zukunft entgegen.
Bis zum letzten Augenblick hatte Llauk befürchtet, die Thedraner könnten seinen Handel mit dem Kapitän doch noch aus Neid vereiteln. Unruhig war er auf dem Deck des Zweimasters auf und ab gegangen, nachdem er seine Ware auf das Schiff gebracht hatte. Aber kein Mitglied der Kaufmannschaft hatte sich sehen lassen.
Als es dann aber endlich losging, standen doch einige der Kaufleute am Kai, um sich den Irren anzusehen, der seine gute Ware oben auf dem Deck eines überladenen Dramilenfrachters verzurren ließ und auch noch Geld dafür bezahlte. - Aber Llauk hatte auf keine Mahner hören wollen; er sah sich schon als reichen Mann heimkehren, der sich eine Wohnung in der Nähe der Königsklippe leisten konnte.
Von jeher hatte sich Llauk seiner niederen Herkunft und des abgeschiedenen Lebens in der Provinz Idur geschämt. Stoffmacher, wie seine Eltern, hatte er den Betrieb seines Vaters nach dessen frühem Tod mit allen Webstühlen und Sklaven übernommen. Eigentlich hätte er ein auskömmliches Leben führen können, wäre da nicht dieser unselige Ehrgeiz gewesen, unbedingt zur feinen Gesellschaft gehören zu wollen.
Musik und Tanz, gewürztes Essen und Wein aus den Südlanden, das war es nicht allein, was Llauk suchte. Es reichte ihm einfach nicht, in seinem Heimatdorf als Gleicher unter Gleichen angesehen zu werden. Er hatte mehr mit sich vor. Herr sollte man ihn nennen, sich vor ihm verbeugen und ihm Achtung erweisen. Eine Wohnung in der Hauptstadt wollte er haben und hochgestellte Gäste dort empfangen. Auch eine Frau wollte er sich endlich suchen - nicht von gemeinem Stande etwa - die Tochter eines Kupferschmieds - oder besser noch eines Schiffsbaumeisters - sollte es schon sein. Außerdem wußte Llauk, dass der König noch drei Töchter in heiratsfähigem Alter hatte. Wäre es denn so unmöglich ...? - Der Mensch wird schließlich noch träumen dürfen.
Dieser Illusionen wegen hatte Llauk sogar seinen furchtbaren Traum verleugnet und seine Sklaven in den vergangenen Jahren zu immer neuen Höchstleistungen angetrieben.
Als er seine Zeit für gekommen hielt, verkaufte er um einen Spottpreis das elterliche Anwesen und seine Arbeiter, um sich mit einem großen Posten guter Ware auf den Weg zu machen und seine Stoffe in fernen Ländern auf eigene Rechnung zu verkaufen.
Eiskalt prasselte die Gischt auf Llauk nieder. Trotz des festen Tauendes, das er um Körper und Reling geschlungen hatte, klammerte er sich krampfhaft fest. Wohl tausendmal schon hatten ihm die Wogen die Füße unter dem Körper weggerissen. Bitteres, salziges Wasser hatte er im Übermaß geschluckt - und immer aufs Neue sackte das Deck der "Großen Geliebten" unter ihm weg. Die Qual schien kein Ende nehmen zu wollen. Schneidend kalter Wind zerrte an Llauks Gewand, das wie ein nasser Sack an seinem Leib klebte. Seit zwei Tagen schon hatte er nicht mehr geschlafen. Sein Magen fühlte sich an, als hinge er direkt unter seinem Kehlkopf, bereit, sich bei der kleinsten Bewegung auszuschütten.
Immer wieder krampften sich Llauks Gedärme zusammen und er versuchte würgend, sich zu übergeben. Zu Beginn seiner Krankheit hatte er noch versucht, den Kopf über Bord hängen zu lassen. Später war es ihm egal gewesen, wohin er sich erbrach. Er hatte nur noch mit hängendem Kopf dagesessen und seine Kleidung würgend mit den Säften seines Magens beschmutzt, bis die nächste Welle ihn wieder durchschüttelte und abwusch.
Jetzt, nach zwei Tagen, gab Llauks Inneres nichts mehr her. Bis auf gelegentliches, krampfhaftes Stöhnen und seine schwächlichen Versuche sich festzuklammern, hätte man Llauk für tot halten können. Und tatsächlich wollte er nur noch sterben. Schon seit dem Morgengrauen spielte er mit dem Gedanken, seinen Dolch zu ziehen und diese unsägliche Folter mit einem Stich in sein Herz zu beenden. Mehr als einmal hatte seine Rechte den Griff der kleinen, illegalen, Waffe umklammert, aber letztendlich hatte es ihm doch an Mut gefehlt.
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