Anna hatte mit Rücksicht auf die kupferfarbene Mähne vorzugsweise silbergrau, blassgrün und hellblau getragen, ab und an auch ein kräftigeres Saphirblau, dunkles Waldgrün, Violett oder Sonnengelb. Womit hatte man damals bloß die Stoffe gefärbt? Und die Farben waren immer noch so kräftig leuchtend! Vielleicht hatten sie in der Truhe auch wenig Gelegenheit gehabt, auszubleichen…
Cora sah die üppigen Abendkleider durch, durchwegs auf absurd breiten Reifröcken zu tragen, und entschied sich für ein saphirblaues Exemplar mit silberner Stickerei. In der Kiste der vierten Herzogin, Sophia, gab es, wie sie wusste, ganze Stapel von wunderschöner Nachtwäsche, Musselin, Seide, Samt und vor allem die herrlichsten Spitzenborten. Sie fand ein Negligé aus cremefarbenem Musselin und ein leider verschossenes Nachthemd aus Seide, das aber mit immerhin unversehrten Brüsseler Spitzen besetzt war. Sofort nahmen zwei Abendroben in ihrem Kopf Gestalt an; sie raffte ihre Beute zusammen und trug sie nach unten. Vor ihrem Zimmer traf sie mit Diane zusammen, die hämisch grinste. „Also ich bekomme neue Abendroben! Puh, wie die Sachen schon riechen!“
„Sie werden ja noch gewaschen und gelüftet. Und aus einem von diesen gewaltigen Gewändern kann man heute mindestens zwei machen. Sei froh, dass alles Geld für deine Ausstattung bleibt.“
„Das gehört sich ja wohl auch so!“
„Richtig“, konnte Cora nicht unterdrücken, „du bist ja wohl auch der dringendere Fall, nicht wahr?“
Diane blinzelte kurz, dann schien die Botschaft in ihrem Hirn angekommen zu sein, denn sie fauchte und verschwand türenknallend in ihren Räumen.
Cora schaffte die Beute in ihr Zimmer, wo sie auch schon Lizzie antraf, die frisch Gewaschenes und Gebügeltes in ihren Schrank schichtete und jetzt knickste.
„Oh, Lady Cora! Welch herrliche Farbe! Und diese Spitzen! So kostbar…!“
„Eben, Lizzie! Du kennst doch mein Weißes mit der silbernen Stickerei am Ausschnitt und diesem faden hellrosa Unterkleid. Was meinst du, wenn wir ein Unterkleid aus diesem blauen Rock anfertigen? Diese silbernen Bögen am Saum dürften passen.“
Lizzie überlegt und nickte dann. „Ja, das dürfte gut aussehen – aber dürfen Sie schon ein so kräftiges Blau tragen, Lady Cora? Hat Ihre Gnaden Ihnen das gestattet?“
Cora lächelte spitzbübisch. „Ich habe sie einmal gefragt, aber da hat sie nur belästigt abgewinkt, wahrscheinlich waren Diane und Horace wieder einmal viel wichtiger. Mein Glück! Und vermutlich sieht sie gar nicht, was ich trage. Komm, wir machen uns an die Arbeit!“
Sie drückte Lizzie die Nachtwäsche zur Reinigung in die Hand; die blauseidene Pracht hätte bei einer Wäsche wohl sehr gelitten, da half nur Ausbürsten und Lüften, was auch genügen musste. Also hängte sie die bauschigen Seidenwogen an den Schrank und ging mit einer winzigen Schere vorsichtig daran, die Nähte aufzutrennen.
Genügend Nadelgeld für blaue Seidenslipper hatte sie noch und an Schals, Haarbändern und Handschuhen war wirklich genug vorhanden. Einen neuen blauen Schal konnte man vielleicht auch aus den Resten des blauen Rocks… nein, das Material eignete sich nicht.
Mit solchen Gedanken und Tätigkeiten war sie bis zum Lunch auf das Netteste beschäftigt und erst, als sie ihren Vater hörte, wie er jemanden anbrüllte, erkannte sie, dass auch Horace sich eingefunden haben musste. Ach, wie ärgerlich!
Horace war unangenehm, fand sie. Sicher, Mama und Diane waren anstrengend, aber doch im Kern sympathisch – aber Horace? Horace schien zu glauben, alle anderen seien zu seiner Bedienung oder seinem Vergnügen da. Als kleines Mädchen hatte sie ihn sehr hübsch gefunden, obwohl er sie nie beachtet hatte, aber mittlerweile sah er bleich und teigig aus, die Augen waren oft blutunterlaufen und die Nase hatte ihm einmal jemand gebrochen. Wer und warum, wusste sie nicht, aber wie sie Horace kannte, hatte er es redlich verdient.
Nun, dann musste sie sich wohl zum Lunch einfinden! Lizzie frischte ihre Frisur auf und versprach, die bezeichneten Nähte weiter aufzutrennen, bevor das Personal seinen Lunch einnahm.
Tatsächlich saß Horace schon am Tisch, als sie eintrat. Sie schenkte ihm einen knappen Knicks und setzte sich. Bei ihm reichte es nur für einen müden Blick.
Die Herzogin zeigte Besorgnis. „Mein lieber Junge, fühlst du dich nicht wohl? Du siehst sehr blass aus, du wirst doch wohl nicht krank werden? Gegen die Pocken seid ihr ja alle geimpft, glücklicherweise, aber vielleicht hast du dich auf der Reise erkältet? Cora, fühle doch bitte, ob der liebe Horace Fieber hat!“
„Ganz gewiss nicht!“, verwahrte sich Cora, denn Horace machte ganz den Eindruck, als habe er sich seit Tagen nicht mehr gewaschen.
„Nein, Mirabella, das ginge dann doch wirklich zu weit!“, verfügte der Herzog.
„Ich bin sicher, Horace hat nur einen ordentlichen Kater“, stellte Vergil fest und grinste seinen älteren Bruder etwas hämisch an.
„Einen Kater?“ Die Herzogin sah verblüfft aus. „Horace? Aber nicht doch!“
Vergil und sein Vater husteten kurz. Diane verarbeitete offenbar das Gehörte noch und Cora hüllte sich in Schweigen. Der Geruch nach schalem Alkohol drang bis zu ihrem Platz und verdarb ihr den Appetit.
Immerhin aß sie von jedem Gang einige Bissen und alles, was ihr als Dessert präsentiert wurde, um sich für die Näharbeiten zu stärken.
„Ich brauche Geld“, verkündete Horace dann in dem schleppenden Ton, den er offenbar für elegant hielt, und schob sein Schokoladentörtchen auf dem Teller hin und her.
„Du weißt ja, was wir vereinbart haben“, antwortete sein Vater, der mit gutem Appetit aß. „Du bist der Marquess of Vilmont und verfügst über die Einkünfte aus deinem Marquisat. Solltest du wieder Spielschulden bei Stafford haben – oder andere Schulden – finanzierst du das gefälligst aus deinen eigenen Einkünften!“
„Stafford!“, schnaubte Horace, nun eher ungeziert. „Wenn es nur das wäre!“
„Dann lass das Spielen.“
„Vor allem, wenn man so ungeschickt spielt wie du“, konnte Vergil sich nicht zurückhalten.
„Wenn du so hohe Einkünfte hast, dann leih mir zweitausend Pfund“, schlug Horace seinem Bruder vor.
„Ganz gewiss nicht“, wiederholte dieser Coras Ausspruch von vorhin, „meine Einkünfte investiere ich in meinen eigenen Besitz. Deiner ist sehr viel größer – und zweitausend Pfund? Davon könnten mehrere Familien bequem ein Jahr lang leben!“
„Bauernfamilien!“, warf die Herzogin ein. „Unsereiner hat doch wohl die Verpflichtung, einen etwas repräsentativeren Lebensstil zu pflegen.“
„Wenn unsereiner die Mittel dafür hat, sollten Sie hinzufügen, liebe Mirabella“, widersprach der Herzog und winkte einem Diener, dass er ihm nachschenke.
„Ansonsten sollte auch unsereiner seinen Lebensstil nach seinen Einkünften einrichten. Und daran fehlt es in dieser Familie noch weit.“ Der Herzog warf Horace und Diane einen strengen Blick zu, der aber nicht weiter registriert wurde. Cora bezähmte sich und sah die beiden nicht an, Vergil dagegen lachte auf und Horace wandte sich ärgerlich an seinen Vater: „Ich möchte wissen, was das jetzt plötzlich zu bedeuten hat, Sir. Sie spielen doch auch? Und das nicht gerade erfolgreich?“
Man sah dem Herzog an, dass er diesen Vorwurf als unverschämt empfand, aber er zwang sich zu einer ruhigen Antwort: „Ich habe das Spiel schon sehr eingeschränkt, weil Gaveston solche Ausgaben nicht mehr tragen kann. Und ich habe stets nur in wirklich angesehenen Clubs gespielt und um sehr mäßige Einsätze. Kannst du das von dir auch sagen?“
Horace brummte etwas Unverständliches; Cora glaubte allerdings, das Wort langweilig gehört zu haben.
Nach dem Essen, bei dem er dem Wein sehr zugesprochen hatte, verkündete Horace, er werde nach London zurückkehren. „Hier gibt es ja nichts zu tun und ich muss versuchen, in London Geld aufzutreiben.“
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