Albert Morava
Mondschein-Serenade
Eine zeitlose Geschichte
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Albert Morava Mondschein-Serenade Eine zeitlose Geschichte Dieses ebook wurde erstellt bei
1 Begegnungen
2 In der Kolonie
3 Der große Franzose
4 Tamara und die Liebe
5 Das weiße Blut
6 Fiesta cubana
7 Das Gesicht von Dolores
8 Eine Reise nach Marienbad
9 Die Baccararose
10 Die Rückkehr
11 Das goldene Kalb
12 Die Mondschein-Serenade
13 Eine Nacht in Scherben
14 Das Schneekind
15 Die Lyra einer Nacht
16 Als der Regen kam
17 Die Weisheit des Vatsyayana
18 Der Sonne nach
Impressum neobooks
Die Sonnenstrahlen – warm und weich – hatten sein Gesicht gestreift und er wachte auf. Durch das halbgeöffnete Fenster zur Gartenterrasse hin konnte er einen hellblauen Himmelstreifen sehen und sanftes Vogelgezwitscher wahrnehmen. Dies beruhigte ihn und rief in ihm jetzt - an seinem dreiundvierzigsten Geburtstag - angenehme Erinnerungen wach, an glückliche Tage seiner verflossenen Kindheit wach.
Die Welt, wie er sie jetzt empfand, hatte plötzlich eine andere Dimension bekommen und er selbst war jetzt ein anderer Mensch, ohne zu wissen, wer er wirklich war.
Doch etwas von dem Jungen von damals, der mit einem selbstgemachten Holzschwert auf sechs andere einschlug, mit dem Glauben dieses Schwert verleihe ihm die Kraft von tausend Mann, ist wohl übriggeblieben.
Noch halb im Traum streckte er seine Hand aus und tastete um sich, das Bett neben ihm war noch warm aber schon leer, Tamara war nicht da. Was von ihr blieb, war ein schwarzes Nachthemd mit erotisierendem Duft ihres Körpers. Er dachte zurück an den Tag und den Ort ihrer ersten Begegnung; an Prag, der Stadt, die sein Leben veränderte.
*********
Zu Zeiten der Blumenkinder von San Francisco befand sich die goldene Stadt Prag noch im Dornröschenschlaf. Zwar war der Hauch der glorreichen Vergangenheit dieser früher mondänen Metropole in der geographischen Mitte Europas- seine kubanischen Freunde sprachen einmal enttäusscht von dem Paris des Ostens, welches es nicht mehr gab - noch irgendwie spürbar: Allerdings fühlte sich dieser Hauch etwas ängstlich an, kümmerlich vegetierte er, fast erstickt von der allgegenwärtigen grauen Wolke der staatlich verordneten Gleichmacherei, die über dem Land hing.
Der Fassadenputz der prächtigen Jugendstilhäuser in der Prager Altstadt und am Moldauufer blätterte langsam ab, die Wohnungsnot war groß, doch Jan hatte Glück. Nach seiner Ankunft in Prag als frischgebackener Student der philosophischen Fakultät wurde ihm von der Verwaltung der Karlsuniversität provisorisch eine Schlafstelle im gemeinschaftlichen Schlafsaal eines Studentenheims zugewiesen.
Hier standen an die dreißig Betten brav in Reih und Glied; es war die Sammelstelle für zugereiste Neustudenten männlichen Geschlechts aus aller Welt.
Studentinnen - nicht selten dunkler Hautfarbe - hatten eine separate Etage im gleichen Haus. Spät am Abend erst war er aus seiner Heimatstadt hier angekommen, eine Stehreise im überfüllten Zug, der von der russischen Grenze kam. Erschöpft legte er sich auf sein Bett, um die Matratze zu testen, diese gab sofort quitschend nach, zu weich war das Bett. Die Gitarre, die er mitgebracht hatte, schob er unter das Bett, dort war sie zwar nicht staubfrei, aber sicher.
Er schloss die Augen, lauschend versuchte er das vielsprachige Stimmengewirr um ihn herum zu entwirren, woher kamen all diese Leute? Tschechen waren in der Minderheit, Europäer auch.
Ein stattlicher, hochgewachsener Schwarzer überquerte schlendernd mit langen, faulen Schritten den Schlafraum, blieb neben dem Nachbarbett stehen und fragte:
"Ist er hier schon angekommen?"
Er sprach überkorrektes Tschechisch eines Ausländers, allerdings mit starkem Akzent. Die Stimme klang dunkel und belegt.
"Wer?"
Er wies mit der Hand aufs unbelegte Nachbarbett.
"Roberto..aus Kuba, wie ich.."
"Ich habe hier noch keinen gesehen.- Wie sieht er aus?"
"Ganz anders als ich. Blond und schlank.."
"Nicht gesehen. Aber ich kann ihm etwas ausrichten, wenn er kommt. Von wem?"
"Ich heiße Dionisio", seinen Namen sprach er besonders klar und deutlich aus.
"Ich lasse ihm eine Nachricht hier auf dem Bett."
Dann kritzelte er etwas auf ein Blatt Papier, das er aus der Tasche zog, legte es unter das
Kopfkissen und ging wieder fort.
Trotz der Kuba-Krise, die erst vor noch nicht allzulanger Zeit zu Ende gegangen war, war Kuba für Jan eher ein musikalischer als ein politischer Begriff, das Synonym für rhythmische Gitarrenklänge im Schatten der Palmen, Tänzerinnen mit langen, kaffeebraunen Beinen...Kuba, Jamaica..so nah am Wunderland Amerika, jetzt dem offiziellen StaatsfeindNummer eins. Arizona, Texas, Mexiko, Tequila, Tampico,..und wie hießen noch all die verbotenen Plätze der Welt? Sein Land war zu, aber das Fernweh war groß und allgegenwärtig. Er schlief ein.
Am nächsten Morgen hatten ihn gutturale Stimmenklänge wachgemacht, aufregendes, etwas aggressiv anmutendes aber doch melodisches Gerede in einer Sprache, die er nicht kannte. Erst viel später wurde ihm erklärt, es sei Arabisch - eine kraftvolle und sinnliche Sprache.
Das Bett nebenan war jetzt belegt, Roberto war wohl spät in der Nacht angekommen und war jetzt noch wach. Strohblondes, aber fettiges Haar, ungepflegt und übermüdet sah er aus. Sein Gesicht war schwammig weich ohne klare Konturen.
"Roberto?"
"Ja."
Er schaute zu Jan hin, hatte blaugrüne, ausdruckslose Augen.
"Du hast einen Brief unter dem Kopfkissen."
"Was? Bitte?"
Robertos Sprachkenntnisse reichten für ein fließendes Gespräch nicht aus, er wirkte hilflos. Jan griff unter das Kopfkissen, zog das bereits zerknitterte Papierblatt hervor und reichte es ihm.
"Da hast du es!"
Roberto musterte gelangweilt das Gekritzel an.
Hijo de puta.. .stand darauf als Anrede. Und noch ein paar Worte im kubanischen Spanisch, das Jan nicht verstand.
"Von meinem Kumpel", sagte Roberto. "Er ist auch schon da, aber morgen werden wir beide woanders hin verlegt. Dort sehen wir uns wieder."
Vor längerer Zeit hatte Jan versucht im Selbststudium Spanisch zu erlernen, aber irgendwie war ihm die Sprache nicht so sympathisch wie andere Dialekte des alten Lateins, welches er auf dem Gymnasium zu lernen hatte, doch nie wirklich erlernte. Zu hart im Vergleich zu Französisch, und ohne die verführende Melodik des Italienischen.
Das war nun seine erste Spanischlektion vom Muttersprachler. Caramba !
**********
Die dunklen Statuen der Karlsbrücke kamen ihm in den Sinn und die verkruschelten Strässchen der Prager Kleinseite, die hoch zur Burg Hradschin führen, der Altstädter Ring, das Judenviertel - das wahre Prag, wie es historisch entstanden war - Kafkas Prag, Smetanas Prag und Mozarts Lieblingsstadt. Wie lange war es her? Es schien ihm eine Ewigkeit.
Die übergroße Statue Stalins, die damals am Moldauufer als erzwungene Verbeugung vor dem großen Bruder aus dem Osten errichtet worden war, sah er jetzt klar vor sich. Ein peinlicher Fremdkörper war sie damals, der von echten Pragern mitleidig belächelt wurde. Prager Tauben nisteten auf ihr mit allen Konsequenzen, was regelmäßige Reinigung erforderlich machte.
Es gibt sie nicht mehr, die Statue Stalins - vom Winde verweht. Doch Prag gibt es immer noch, denm diese Stadt behielt - und wird wohl für immer behalten - ihre melancholische Einzigartigkeit unter den Großstädten dieser Welt; allen Anstrengungen der damaligen Machthaber zum Trotz, ihr einen langweiligen Einheitsanstrich zu verpassen, der nie richtig hielt.
Читать дальше