Katarina parkte ihren Micra vor Marks Haustür, stieg aus dem Wagen und schloss die Tür auf. Ein verlockender Duft kam ihr entgegen und Katarina erkannte sofort, dass Mark wieder etwas Japanisches gekocht hatte.
„Da bist du ja endlich.“ Er trat näher, nahm Katarina in die Arme und gab ihr einen Kuss.
„Tut mir leid. Aber der Verkehr am Reichstag war mörderisch.“
„Wieso am Reichstag? Rehlings Fabrik liegt doch im Süden von Berlin.“
„Er hat mich gebeten, ihn zu einem Banktermin zu begleiten. Zufrieden?“ Sie griff nach Marks Hand und führte ihn ins Wohnzimmer. „Das riecht köstlich.“
Mark goss ihr ein Glas Sake ein und soweit sie erkennen konnte, gab es frittierte Garnelen, mit einer Sauce aus japanischem Reiswein, Sojasauce, Wasser und Salz, vermischt mit vier Algenblättern. Katarina entdeckte noch zwei andere Schälchen, in denen sich geriebener Rettich und Ingwerwurzeln befanden.
Wieder kam ihr das Tagebuch in den Sinn, aber sie versuchte, den Gedanken daran zurückzudrängen.
„Was gab es denn so Wichtiges, das Rehling dich bei seinem Termin dabei haben wollte?“
„Die Bank hat ihm einen neuen Kreditvertrag gegeben und er wollte, dass ich einen Blick darauf werfe.“ Es erstaunte Katarina, wie glatt ihr die Lüge über die Lippen kam. Im selben Augenblick meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Wieder überlegte sie, ob sie ihm nicht doch von dem Tagebuch erzählen sollte.
Mark erhob sich, um noch etwas Reiswein zu holen. Auf dem Rückweg griff er nach der Fernbedienung der Stereoanlage. Sekunden später erfüllte Toni Braxtons warme Stimme das Zimmer.
„Gibt es einen besonderen Grund, für dieses zauberhafte Dinner?“
„Ich wollte dir eine Freude machen. Ich kenn dich doch. Den ganzen Tag hast du Stress in der Kanzlei und isst kaum etwas.“
„Du bist ein Schatz.“ Sie aßen weiter und Katarina bemühte sich, nicht zu einsilbig auf Marks Fragen zu antworten. Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder zu dem kleinen Büchlein ab, das sie in ihrer Tasche trug. Sie war erstaunt, dass sie es fertigbrachte, sich mit Mark zu unterhalten und dabei die ganze Zeit an Oliver und Florian zu denken. Als sie sich nach dem Essen erhob, spürte sie Marks vorwurfsvollen Blick.
„Du willst doch nicht schon gehen?“
„Ich habe morgen früh einen wichtigen Gerichtstermin und muss mich noch ein paar Akten studieren, die ich tagsüber nicht geschafft habe.“ Katarina beugte sich zu Mark hinüber und gab ihm einen Kuss. „Sei bitte nicht böse.“
„Ich bin dir nicht böse, Kati. Ich habe nur das Gefühl, das dich irgendetwas bedrückt. Hat es vielleicht mit Oliver zu tun?“
„Wie kommst du denn darauf?“ Sie ärgerte sich, dass ihre Stimme einen solch scharfen Tonfall bekommen hatte. So musste Mark natürlich denken, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
„Ich habe das Gefühl, das du mit den Gedanken nicht wirklich hier bist. Dein Blick geht immer wieder ins Leere. Möchtest du darüber reden?“
„Nein. Es ist alles in Ordnung. Ich habe nur etwas Stress in der Kanzlei. Am Wochenende nehmen wir uns Zeit für uns, einverstanden? Oder hast du schon etwas vor?“
„Bisher nicht. Und selbst wenn, würde ich es absagen, um die Zeit mit dir zu verbringen.“ Mark begleitete Katarina zur Tür.
„Und ich kann dich wirklich nicht überzeugen, hier zu bleiben?“ Katarina nahm sein Parfum wahr. Elements von Boss. Sie liebte diesen Duft und hätte unter normalen Umständen der Versuchung nicht widerstehen können. Einen Moment war sie gewillt, ihm nachzugeben und Mark von ihrem Nachmittag zu erzählen. Aber sie wusste, wie seine Reaktion ausfallen würde.
„Nein, tut mir leid. Der Termin morgen ist sehr wichtig. Da muss ich topfit sein.“
„Na dann.“ Mark gab Katarina einen Kuss. Sie saß kaum im Auto, als sich ihr schlechtes Gewissen meldete. Aber die Neugier, das Tagebuch weiter zu lesen war einfach zu groß. Größer als die Gefühle, die sie augenblicklich für Mark empfand. Das Tagebuch hatte vieles verändert. Gestern war sie sich sicher gewesen, mit Mark in eine gemeinsame Zukunft zu gehen. Oliver existierte nur noch als Teil ihrer Erinnerung. Doch das Tagebuch hatte alles verändert.
Als Katarina ihre Wohnung betrat, wurde sie von Leopold freudig empfangen. Der Perserkater, der wie eine zerknüllte Wolldecke aussah, schnurrte um ihre Beine und war froh, sein Frauchen wiederzusehen. Aber auch er spürte, dass Katarina etwas beschäftigte. Sie beschloss, sich eine heiße Dusche zu gönnen, bevor sie im Tagebuch weiterlas. Vielleicht konnte sie so ihre Gedanken ordnen.
Als sie zwanzig Minuten später geduscht und in einen dicken Baumwollbademantel eingehüllt in der Küche stand, hatten sich ihre Gedanken nicht verändert.
Sie öffnete eine Flasche Merlot und begab sich ins Wohnzimmer. Im Vorbeigehen drückte sie die Playtaste ihres CD-Spielers.
„Sorry is all that you can say“, sang Tracy Chapman. Und Katarinas Gedanken rutschten in die Vergangenheit. Sie griff in ihre Tasche, die vor ihr auf dem Wohnzimmertisch lag, holte das Tagebuch hervor und trank einen weiteren Schluck, bevor sie weiterlas.
Ich lade dich zu unserer Hochzeit ein! Du sollst wissen, wie es war, als deine Mutter und dein Vater sich das Ja-Wort gaben.
Für unsere Hochzeit hatten wir uns etwas Besonderes überlegt. Bei den Vorbereitungen zu meinem Roman `Die dunkle Seite des Herzens´, hatte ich das Hotel Lakeside in Strausberg vor den Toren Berlins entdeckt. Es ist umgeben von einem urwüchsigen Wald und liegt direkt am Straussee. Es ist ein historisches Hotel im englischen Landhausstil. Deine Mutter wird dir später unglaublich viele Fotos unserer Hochzeit zeigen.
Als wir im Sommer dort spazieren gegangen waren, schwärmte deine Mutter davon, wie märchenhaft eine Hochzeit im Winter hier wohl sein müsste. Diese Worte gingen mir nicht mehr aus dem Kopf und so beschlossen wir, die Trauung und die Hochzeitsfeier dort stattfinden zu lassen.
Und Petrus muss es wirklich gut mit uns gemeint haben, denn pünktlich zu unserem Hochzeitstermin verwandelte der erste Schnee des Jahres die Umgebung des Hotels in ein Wintermärchen.
Um die Hochzeit zu beschreiben, fehlen mir die Worte. Deine Mutter und ich waren glücklich, wie noch nie zuvor in unserem Leben. Man kann sagen, wir waren geradezu berauscht. In ihrem weißen Kleid, das mit Hunderten Perlen versetzt war, glich deine Mutter einem Engel. Aber auch ich machte in meinem Smoking eine gute Figur.
Die Trauung fand in der Bibliothek des Hotels statt, die extra für dieses Ereignis hergerichtet wurde. Es hatte uns zwar einige Überredungskraft gekostet, aber schließlich erklärte sich der Pfarrer bereit, die Trauung dort vorzunehmen.
Wie du dir sicher vorstellen kannst, waren sehr viele Gäste da. Es müssen an die dreihundert gewesen sein: Freunde, Verwandte, mein gesamtes Verlagsteam sowie zahlreiche Studienfreunde deiner Mutter. Und die Presse nicht zu vergessen, die natürlich von diesem Ereignis berichten musste. Wir hatten zwar versucht, unsere Hochzeit geheim zu halten, doch angesichts der Verkaufszahlen meines neuen Buches, war dies ein schier unmögliches Unterfangen. So arrangierten wir uns mit der Presse und erlaubten einem Fototeam die Trauung zu begleiten.
Ich kann den Augenblick kaum in Worte fassen, als deine Mutter von ihrem Vater in den Hochzeitsraum geführt wurde. Am liebsten hätte ich in diesem Augenblick die Zeit angehalten.
Eine bisher nicht gekannte Hitze stieg in mir auf, als ich die Hand deiner Mutter ergriff und wir uns gemeinsam zum Pfarrer umdrehten.
„Bist du dir sicher?“, fragte ich sie mit zittriger Stimme. Erleichtert bemerkte ich, dass auch ihre Stimme brüchig war.
„Ich bin mir einer Sache noch nie so sicher gewesen.“
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