Schon während des Schreibens suchte ich einen Verlag, jedoch ohne Erfolg. Allmählich glaubte ich, dass mein Vater Recht behalten sollte, zumal meine finanziellen Mittel immer kleiner wurden. Eines Tages bediente ich eine junge Frau, mit der ich ins Gespräch kam. Patricia Sellmann arbeitete als Lektorin in einem renommierten Berliner Verlag. Sie kam mehrmals die Woche ins Café und durch Zufall bekam ich heraus, was sie beruflich machte. Es dauerte einige Wochen, bis ich den Mut aufbrachte, ihr von meinem Roman zu erzählen. Zu meiner Überraschung interessierte sich Pat für die Idee und wollte einen Blick in mein Manuskript werfen. Ich kann dir nicht beschreiben, was das für ein Gefühl war, als sie mich zwei Wochen später anrief, um mir zu sagen, dass der Verlag meinen Roman veröffentlichen wollte. Und du kannst sicher sein, dass ich nicht im Traum daran gedacht hatte, dass das Buch so erfolgreich werden würde.
Ich war also auf Pats Party, nippte an einer Whisky-Cola und ließ den Blick in die illustre Runde schweifen. Mit den meisten der hier anwesenden Gäste konnte ich nicht viel anfangen. Den Hauptteil bildeten Pressevertreter und Verlagsleute, die mir zu meinem Erfolg gratulierten und schon auf den nächsten Roman warteten, in der Hoffnung noch mehr Geld mit mir zu verdienen. Obwohl ich froh sein sollte, dass der Roman so erfolgreich war, konnte ich mich nicht mit einem Platz auf der Bestseller-Liste anfreunden. Denn durch den Erfolg hatte ich ein großes Stück Anonymität aufgegeben.
Ich wollte mich gerade aus dem Staub machen, als Pat auf mich zukam. In ihrem Schlepptau eine Frau, bei deren Anblick es mir den Atem verschlug.
Deine Mutter!
Sie trug ein kurzes, schwarzes Kleid, das ihre langen Beine und ihre weiblichen Formen perfekt zur Geltung kommen lies. Fast alle anwesenden Männer warfen Blicke zu ihr herüber. Die blonden Haare hatte sie zurückgekämmt und zu einem Knoten aufgesteckt. Am meisten faszinierten mich jedoch ihre Augen. Glasklar blickten sie mich an und ich schien mich darin zu verlieren.
„Katarina ist eine Studienfreundin von mir“, riss mich Pat aus meinem Tagtraum. Ich drückte ihre Hand und ein Schauer jagte mir über den Rücken.
„Freut mich, Sie kennen zu lernen.“ Ihre Stimme war warm und weich. „Haben Sie auch mit der Verlagsbranche zu tun?“ Pat rollte mit den Augen. „Kati, das ist Oliver Neuhaus. Sein Roman `Der Wunschbrunnen´ steht im Moment ganz oben in den Bestsellerlisten. Ich habe dir doch ein Exemplar geschenkt. Hast du es noch nicht gelesen?“ Deine Mutter errötete leicht. „Oh, du weißt doch, dass ich nicht allzu viel lese. Und wenn, sind es Gesetzestexte.“ Sie wandte sich mir zu. „Ich bin Anwältin. Tut mir leid, dass ich Sie nicht erkannt habe.“
„Kein Problem“, antwortete ich.
„Vielleicht erzählen Sie mir etwas über Ihr Buch?“ Sie hakte sich bei mir ein, während wir zur Bar gingen.
Der Rest des Abends verging wie im Fluge. Wir unterhielten uns stundenlang und ich hatte das Gefühl Katarina schon ewig zu kennen. Es war bereits zwei Uhr nachts, als uns Pat freundlich aber bestimmt fragte, ob wir nicht auch gehen wollten. Ich brachte deine Mutter zu ihrem Wagen und fragte sie, ob wir uns wiedersehen. Als sie kurz nickte, machte mein Herz einen Freudensprung.
In den nächsten Wochen traf ich deine Mutter fast jeden Tag. Die Arbeit an meinem zweiten Roman litt natürlich darunter, was mir den einen oder anderen Rüffel von Pat einbrachte. Sie befürchtete, dass ich meinen Abgabetermin nicht einhalten konnte.
„Hast du schon jemals ein Ruderboot benutzt?“, fragte mich deine Mutter an einem sonnigen Sonntagmorgen, als wir auf den Rangsdorfer See hinausruderten.
„Ich bin in Ruderbooten groß geworden“, antwortete ich salopp, obwohl ich zugeben muss, dass ich noch nie in einem Boot gesessen hatte.
„Dann los, mein Kapitän!“ Sie strahlte mich an und ich legte mich in die Riemen. Wir waren ein gutes Stück draußen, als ich die Ruder einzog und wir uns von der Strömung treiben ließen.
„Hast du einen Titel für deinen neuen Roman gefunden?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Du weißt doch, dass ich mich mit Titeln schwer tue. Mir wird schon was Passendes einfallen.“
„Was hältst du von `Die dunkle Seite des Herzens´? Ich habe zwar erst die ersten Seiten gelesen, aber der Titel geht mir nicht aus dem Kopf.“
„Der Vorschlag gefällt mir“, antwortete ich. Deine Mutter faszinierte mich. Nicht nur, weil sie mich auf der Party nicht erkannt hatte. Ich war mir sicher, dass sie mich als Mensch mochte und nicht den erfolgreichen Autoren. Zum ersten Mal war es mir möglich, mich einem Menschen zu öffnen.
Ich holte eine Flasche Champagner aus dem Picknickkorb, öffnete sie und goss zwei Gläser ein. Eines reichte ich deiner Mutter.
„Auf `Die dunkle Seite des Herzens´ und auf eine bezaubernde Frau.“ Wir prosteten uns zu und genossen noch eine Weile das Plätschern des Wassers, das an die Planken des Bootes stieß.
Deine Mutter war es auch, die mich ermutigte, wieder den Kontakt zu meinem Vater herzustellen. Wir saßen in unserem Lieblingsrestaurant und genossen die Küche Louisianas, als sie auf dieses Thema zu sprechen kam.
„Ich finde, ihr habt euch lange genug angeschwiegen. Möchtest du nie wieder mit deinem Vater ein Wort wechseln? Glaub mir, Oliver, es kommt der Tag, an dem du diese Einstellung bereuen wirst.“ Tief in meinem Innersten wusste ich, dass sie Recht hatte. Auch ich hatte schon mehrfach mit dem Gedanken gespielt, meinen Vater anzurufen, den ersten und vielleicht auch entscheidenden Schritt zu wagen. Doch männlicher Stolz kann viele Brücken zerstören, mein Sohn. Ich wollte, dass er den ersten Schritt unternahm, und war nicht bereit, ihm entgegenzugehen. So wie er damals nicht bereit gewesen war, meine Entscheidung zu akzeptieren Schriftsteller zu werden.
„Ich glaube nicht, dass das etwas bringt. Du kennst den alten Sturkopf nicht“, antwortete ich wenig überzeugend.
„Aber ich kenne dich, Oliver. Jedes Mal, wenn wir auf das Thema zu sprechen kommen, weichst du mir aus. Ich bin mir sicher, dass dein Vater nur auf ein Zeichen von dir wartet.“ Irgendetwas an ihrer Stimme ließ mich hellhörig werden.
„Woher willst du das wissen?“, fragte ich und ahnte, was als Antwort folgen würde.
„Sei mir bitte nicht böse, Oliver. Aber vor ein paar Tagen habe ich mit deinem Vater telefoniert und mich sehr gut mit ihm unterhalten.“ Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen uns. Ich wollte ihr Vorwürfe machen, brachte aber kein Wort heraus. Stattdessen nippte ich an meinem Espresso und blickte deine Mutter eindringlich an.
„Oliver, er ist dein Vater und er sieht ein, dass er einen Fehler gemacht hat. Gib ihm endlich eine Chance, sich mit dir zu versöhnen.“
„Vielleicht hast du Recht.“
„Natürlich habe ich Recht. Und ich kenne dich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass du nicht so cool bist, wie du gerade tust.“ Ich verzog den Mund. „Einverstanden“, sagte ich schließlich. „Aber nur wenn du mitkommst. Wenn du mit ihm schon heimlich telefonierst, dann soll er dich auch persönlich kennen lernen.“ Zufrieden strahlte mich deine Mutter an.
Es war nicht annähernd so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Gut eine Woche später machten wir uns auf den Weg zu ihm. Mein Vater stand auf der Terrasse und heizte den Grill vor. Als Kind hatte ich ihm dabei fasziniert zugeschaut, wenn er die Briketts zu einem Türmchen aufschichtete und behutsam die Glut entfachte. Deine Mutter blieb im Haus und schickte mich zu ihm heraus. Ich sollte zunächst allein mit ihm reden. Er packte gerade zwei saftige Steaks auf den Grill, als ich näher trat.
„Sieht lecker aus.“ Mein Vater drehte sich um und es war, als falle auf einem Mal alles ab, was wir uns in den letzten Jahren an den Kopf geworfen hatten.
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