Josef verfolge doch die Evolution seines Unternehmens mit ein wenig Stolz. Noch ehe sie die Nahrungsmittel in Anspruch nahm sie sein Sträußchen in die Hand und mit einem Lächeln genoss sie mit einem tiefen Atemzug den Duft der Blüten. Seiner Folgerung nach war bestimmt sein kleines, wahrscheinlich für Andere unscheinbares Präsent, der Grund, dass sie sich ihm endlich genähert hatte, und dass sie sogar seine Nachricht verstanden hatte. Seine Nähe schien sie nicht mehr zu irritieren. Sie aß alles dort an Ort und Stelle. Nachdem sie noch einen Schluck Wasser aus dem Bächlein getrunken hatte, nahm sie den Strauss, warf noch mit einem Lächeln einen Blick in Richtung ihres Beobachters. Dann, ohne ein Wort zu sagen, huschte sie davon und verschwand im Gebüsch.
An diesem Nachmittag lief Josef wieder, so schnell er konnte, doch dieses Mal war es nicht mehr die Angst, die ihn verfolgte, sondern die Freude. Die Eile seinem Bruder die freudige Nachricht zu überbringen das kein Grund mehr bestand noch Angst vor dieser Frau zu haben. Er hatte es geschafft, besser gesagt, fast geschafft, denn er war entschlossen, es nicht bei diesem Resultat zu lassen.
Am Tag danach bat er seine Mutter um Erlaubnis, einen Strauss Blumen aus dem Garten mitzunehmen. Es würde seinem Bruder Freude machen, vorspiegelte er, etwas von zu Hause zu sehen, er der den ganzen Sommer allein dort oben in den Bergen weilte.
„So mein Junge, dein Korb ist bereit.“ Sagte sie. „Und gut gefüllt heute. Ich habe euch einige Kartoffeln und frisches Gemüse aus dem Garten und eine Scheibe geräucherten Schinken hinzugetan, so könnt ihr euch eine gute Suppe machen.“
„Ja, danke Mama, und auch noch danke für die Blumen!“ Sagt er noch, während er seinen Tragkorb überzog. Und schon stand er auf der Türschwelle.
„Du hast es aber wieder eilig heute.“
„Ja, ich habe noch Einiges zu tun da oben.“ Erwiderte er, dann entfernte er sich eiligst.
Josef hatte sich vorgenommen, folgendermaßen vorzugehen: Während sie mit dem Verschlingen ihrer Mahlzeit beschäftigt wäre, wollte er ein paar Schritte näher an sie herantreten. Er wollte nichts überstürzen, denn sie sollte sich auf keinen Fall bedrängt fühlen. Er hatte wieder seinen Plan sorgfältig vorbereitet und keinen Augenblick damit gerechnet, dass ihn eine Überraschung erwartete. Kaum hatte er damit begonnen seine Schätze auszubreiten, merkte er, dass sie plötzlich, nur noch einige Schritte hinter ihm stand. Sie war so geräuschlos hinter dem Felsen hervor gekommen, dass er erschrocken hochfuhr. Nur einen Augenblick war er wie versteinert, dann griff er hastig nach den Blumen und reichte sie in ihre Richtung. Sie lächelte.
„Sie sind schön.“ Sagte sie auf gut französisch.
Weil sie bis dahin noch kein Wort gesprochen hatte, hatte Josef schon gedacht sie sei stumm. Taub eher nicht, denn sie hatte ja am Vortage seinen Ruf gehört. Er verspürte wie eine große Milde in ihrer Stimme, die irgendwie seltsam heiser klang. Außerdem verstand er nicht, was sie sagte, denn er erkannte ihre Sprache nicht, und für die Bloundino durfte es ebenso sein. Dies zum Trotz, man sprach.
„Sie … sie sind aus dem Garten.“ Sammelte Josef. „Sie sind schön …, oder?“
„Wie heißt du?" Fragte die Bloundino.
„Ja, sie sind schön … Wenn du willst, bringe ich dir noch Andere in ein paar Tage.“
„Du scheinst mir ein guter Junge zu sein. Wie heißt du?“
Josef verstand kein Wort von dem, was sie sagte, und begann damit einen Bissen Brot mit einer Scheibe Käse zu belegen.
„So …, lass es dir schmecken. Das ist es, was du möchtest, du hasst bestimmt wieder Hunger?“
Das Gespräch war nicht besonders reichhaltig, dies zum Trotz, neigte sich Josefs Proviant nach und nach, dem „nichts mehr“ entgegen. Nachdem er seinen Tragkorb eingeräumt und wieder geschultert hatte, zögerte er einen Augenblick, doch dann nahm er behutsam Bloundinos Hand. Sie lächelte.
„Komm.“ Sagte er. „Ich zeige dir, wo wir sind, mein Bruder und ich. Du brauchst keine Angst zu haben, Sylvain, das ist mein großer Bruder, er weiß alles, ich habe ihm schon von dir erzählt.“
Josef freute sich gewaltig, denn anders, als er gedacht hatte, folgte sie ihm ohne Zögern. Der Name „Sylvain“ schien ihr bekannt zu sein und sie fragte:
„Bist du Sylvain?“
„Ah! Du hast den Namen verstanden …! Nein ..., Sylvain ist mein Bruder. Ich heiße Josef …, ich bin Josef.“
„Du heißt also Josef?“
Da der Pfad den Josef nun schon seit Wochen selbst getreten hatte so schmal war, dass die beiden nebeneinander hätten gehen können, schritten sie im Gänsemarsch voran, Josef als Wegweiser. So gingen sie, bis Josef plötzlich haltmachte und sich umdrehte.
„Ich heiße Josef. Und wie heißt du?“
„Ich habe verstanden … du heißt Josef.“
„Vielleicht hast du keinen Namen?“ Meinte er. „Oder vielleicht willst du mir ihn nicht verraten? Aber das macht nichts, ich nenne dich einfach Bloundino.“
„Bloundino …, was ist das? Ah, so nennst du mich. Komischer Name. Bloundino …, wenn du willst …, ja … ich finde, das ist gut."
„Also hast du scheinbar keinen anderen Namen, das hatte ich mir schon gedacht.“
„Ich verstehe nicht viel von dem, was du sagst. Wohin gehen wir?“
„Es ist blöde, wenn man sich nicht versteht.“ Meinte Josef.
„Ist es noch weit?“
Inzwischen waren die beiden am Waldrand angekommen. Hier verharrten sie einen Augenblick, denn von dort aus erhob sich nun ein mit fetten Gräsern bewachsener, lang gezogener Hügel. Etwas weiter hinauf konnte man die beiden kleinen Hütten schon erkennen, über denen sich ein feiner bläulicher Rauchschwaden erhob.
„Schau dort oben …“, sagte Josef und deutete mit dem Finger in Richtung ihrer Behausung. „Da sind wir, mein Bruder und ich. Du kannst mit mir kommen. Es besteht keine Gefahr.“
Doch Bloundino schien nicht besonders angetan von der Idee sich am helllichten Tage weiter ins offene Gelände zu begeben. Behutsam befreite sie ihre Hand und ohne ein Wort zu sagen entfernt sie sich im Unterholz.
Zunächst war Josef ein wenig enttäuscht, doch nach einer Weile fand er, dass schließlich alles sogar noch besser verlaufen war, wie er gehofft hatte. Vielleicht war es ja auch wegen ihrer Kleidung, dachte er, wegen ihrer Kleidung, die sie ja nicht hatte und, dass jemand anders sie so sehen könnte. Schließlich, alles in allem, war er zufrieden mit dem Resultat, er fühlte sich sogar bevorzugt.
So vergingen einige Tage, sie trafen sich am Bächlein, teilten die Nahrung, die Josef mitbrachte, schwatzten ein wenig, jeder in seiner Sprache, ohne sich wirklich zu verstehen. Dann gingen sie gemeinsam bis zum Waldrand. Josef hatte versucht, sie mit seinem Umhang zu bekleiden. Sie sträubte sich zwar nicht, ließ ihn geduldig sein Vorhaben beenden aber entledigte sich der Bekleidung rasch und gab ihm sein Gewand zurück; sie wollte es nicht. Er hatte den Eindruck, dass sie sich nicht wohlfühlte, dass sie nichts auf der Haut vertragen konnte. Trotz dem, dachte er, es muss mir gelingen mit etwas Geduld sie zu kleiden; denn sein Plan war, sie im Herbst mit ins Tal zu nehmen. Er konnte sich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass er sie allein und ohne Kleidung während der Winter Monaten in den Bergen zurücklassen müsste; sie würde das wohl kaum überleben.
Es waren ungefähr zwei Wochen vergangen, seitdem er Bloundino zum ersten Mahl gegenübergestanden hatte. Eines Nachts dann, Josef hatte gerade seine Nachtwache angetreten. Er hatte sich auf seinem Schemel neben dem Feuer niedergelassen, als Rex, ihr Hund, plötzlich aufhorchte und zu knurren begann. Es fiel Josef auf, dass die Tiere draußen keinerlei Erregung zeigten. Im Allgemeinen, sobald Gefahr drohte, war sofort in der Umzäunung die Hölle los. In dieser Nacht hatte nur Rex etwas Ungewohntes bemerkt.
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