„Was ist das?“, Ulli konnte sich die Frage nicht verkneifen.
„Eine Nachricht für Peter“, sagte Frank. Seine Miene verriet, dass er dazu nicht mehr sagen wollte.
„Okay“, sagte Ulli und steckte das Päckchen ein. Es war für ihn im Moment auch weniger interessant als die Frage, warum Frank dieses Foto, das er eben kurz gesehen hatte, noch mit sich herumtrug.
Denn Ulli hatte die Person auf dem Bild sofort erkannt.
Eine hübsche junge Frau.
Ihr Name war Laura.
Sie war früher mit Frank liiert gewesen.
Doch inzwischen hatte sie Robert geheiratet und ein Kind von ihm.
Frank versuchte, Ullis sichtliche Irritation zu überspielen und deutete mit einem Kopfnicken auf einen Tisch in ihrer Nähe, wo der Herr des Hauses gerade die Aufmerksamkeit auf sich zog. Greg Beaulieu, im glitzernden Smoking und das Champagnerglas in der Hand, busselte einige Gäste. Dicht gefolgt von einem blonden Jüngling, der eifersüchtig darüber wachte, dass der Jubilar keinem Mann zu nahe kam. Vor allem keinem attraktiven.
„Konnte man sein Schwulsein schon immer so offen ausleben?“, fragte Frank leise.
„Wenn man genug Geld hat“, flüsterte Ulli zurück. Dann sah er sich erneut im Saal um. Von Robert weiterhin keine Spur. War sein Glas vielleicht ein Hinweis? Robert trank grundsätzlich nur Campari, so dass sein rotes Getränk in dem Meer der Champagnergläser fast wie ein Leuchtturm zu erkennen war. Aber Ulli sah kein Glas mit einem roten Inhalt.
Eine Möglichkeit gab es noch. Ulli sah auf sein Handy. Er hatte Robert eine SMS geschickt. Aber es war keine Antwort eingegangen. Eine ungewöhnliche Funkstille, denn seit Robert geheiratet hatte, war er sehr zuverlässig und hatte Ullis Nachrichten immer sofort beantwortet.
Was war heute los? Warum hatte sich Robert nicht verabschiedet und warum reagierte er nicht auf Ullis SMS? War er in alte Zeiten zurückgefallen? Wie ein Alkoholiker, der seine Abstinenz nicht länger durchhalten konnte? War ihm wieder eine Frau über den Weg gelaufen, bei der er nicht Nein sagen konnte?
Robert würde es ihm erklären, wenn sie sich in der Redaktion trafen. Auf jeden Fall gab es für Ulli keinen Grund mehr, länger zu bleiben. Er hängte sich die Fototasche um, wünschte Frank einen guten Flug und ging.
Vor dem Haupteingang musste er einen Bogen um einen schwarzen 7er BMW machen, der am Fuß der Treppe stand. Hinter dem Steuer saß ein gelangweilter Chauffeur und kaute Kaugummi. Ulli kannte den Mann. Vor allem den Herrn, den er fuhr. Er zählte zu den Promis, die Ulli heute Abend fotografiert hatte. Es handelte sich um Hubert Gerweiler, den einflussreichen Staatssekretär aus dem Innenministerium.
Gerweiler tauchte häufig auf den Festen der Schickeria auf und Robert hatte ihn in seiner Rubrik einmal als „Platzhirsch unter den politischen Partygängern” bezeichnet. Das hatte dem Staatssekretär gar nicht gefallen und bei der nächsten Begegnung hatte er Robert mit dem ausgefahrenen Zeigefinger gegen die Brust getippt und gedroht. Wenn er es noch einmal wagen sollte, ihm ans Bein zu pinkeln, würde er ihm zeigen, wer in diesem Land das Sagen hatte. Dann könne Robert sehen, ob er sich als Arbeitsloser noch einen Porsche leisten kann.
Natürlich hatte Robert seinen Chefredakteur Husoll über diese Begegnung informiert. Husoll hatte amüsiert abgewinkt. Er stammte aus dem Norden der Republik und konnte über die bayrische Wesensart nur milde lächeln. Vor allem über Politiker im Trachtenanzug, die mit dem Maßkrug in der Hand glaubten, dass der Freistaat seine eigenen Gesetze habe und dass die CSU legitimiert sei, den Prinzipien des Feudalismus weiterhin Geltung zu verschaffen.
Als Ulli das Hoftor von Beaulieus Anwesen hinter sich gelassen hatte, sah er seinen Wagen. Aber Roberts Porsche, der neben seinem BMW gestanden hatte, war verschwunden.
Ulli blickte noch einmal auf sein Handy. Immer noch keine Nachricht von Robert.
Egal. Mehr konnte er nicht tun. Jetzt freute er sich auf sein Bett.
Ulli öffnete das Schiebedach und fuhr los. Nach dem lauten Fest war das Säuseln des Fahrtwindes eine wahre Erholung. Wenn die Straßen frei waren, machte Ulli das Autofahren noch Spaß. So wie hier auf dieser einsamen Landstraße mit ihren langgezogenen Kurven.
Doch dann war es mit der idyllischen Einsamkeit schlagartig vorbei. Hinter einer Kurve sah sich Ulli einer Front flackernder Blaulichter gegenüber. Er nahm den Fuß vom Gas und versuchte zu erkennen, was passiert war.
Es handelte sich offensichtlich um einen Unfall, denn er sah einen Notarztwagen. Polizisten mit Leuchtkellen winkten Ulli im Schritttempo an den Einsatzfahrzeugen vorbei. Dann sah er, was passiert war. Ein Fahrzeug war, aus seiner Richtung kommend, gegen einen der mächtigen Alleebäume gerast. Der Wagen musste eine so wahnsinnige Geschwindigkeit drauf gehabt haben, dass er sich regelrecht um den Stamm gewickelt hatte. Von dem ursprünglichen Auto war kaum noch etwas zu erkennen. Schaudernd erkannte Ulli, dass sich die Insassen noch in dem Fahrzeug befinden mussten, denn Feuerwehrleute waren fieberhaft damit beschäftigt, mit einer hydraulischen Rettungsschere in das Innere des Wagens vorzudringen.
Das Kennzeichen schien das Einzige an diesem deformierten Klumpen Blech zu sein, das unbeschädigt geblieben war.
Ulli registrierte das Nummernschild mit der gleichen emotionalen Distanz wie bei den zahlreichen anderen Unfällen, über die er als Reporter berichten musste.
Doch dann ließ ihm die Kombination aus Buchstaben und Zahlen den Atem stocken.
Dieses Kennzeichen kannte er.
Der Klumpen Blech war Roberts Porsche!
3 Peter nimmt die Touristin mit nach Hause
Als Peter und Birgit das Harlekin verließen, griff sie nach seiner Hand und ließ sie erst wieder los, als sie vor Peters Tür standen.
Peter wohnte drei Minuten von der Musikkneipe entfernt am Rand des englischen Gartens in einem jener typischen Patrizierhäuser, wie sie vor über hundert Jahren von wohlhabenden Bürgern am damaligen Stadtrand von München errichtet worden waren. Peters Wohnung lag unter dem Dach und wurde nach oben von einer schrägen Balkendecke begrenzt, die zusammen mit zwei Erkern und einem großen Gaubenfenster der Räumlichkeit eine besonders anheimelnde Atmosphäre verlieh.
Doch als erstes fiel Birgits Blick auf ein Bild, das im Flur neben der Garderobe hing. Ein gerahmtes Foto von vier athletischen Männern, die mit freiem Oberkörper vor einem Boxring standen. Einer trug Boxershorts, die anderen drei hatten nur ein Handtuch um ihre Hüften. Birgit deutete auf einen der Handtuchträger. „Bist du das?“
„Ja“, bestätigte Peter.
„Und wer sind die anderen?“
Peter erklärte, dass es sich bei dem mit den Boxershorts um Ulli, ihren Trainer handelte. Die anderen beiden waren Robert und Frank, zwei Freunde.
Birgit nickte beifällig. „Alles richtige Kerle“, meinte sie. Dann wandte sie sich Peter zu und schmiegte sich an ihn. Als er seine Arme um sie legte, drückte sie sich noch näher an ihn und ließ ihre Hände über seinen Körper gleiten. Da sie sich jetzt nicht mehr in der Öffentlichkeit befanden, waren ihrer anatomischen Neugier keine Grenzen mehr gesetzt. Dann suchten ihre Lippen Peters Mund. Gierig fuhr ihre Zunge in seinen Hals und er fühlte, wie gleichzeitig ihr Oberschenkel gegen seinen Schritt drängte. Seine Reaktion schien ihr zu gefallen, denn kurz darauf wanderten ihre Hände in die Tiefe und öffneten den Reißverschluss seiner Hose. Als sie ihre Hand unter seinen Slip schob, ging sein Handy.
„Schlechtes Timing“, stöhnte Peter, angelte nach dem Telefon und sah auf das Display. Es war Ulli.
„Geh nicht dran”, bettelte Birgit.
„Ich muss“, sagte Peter, entwand sich Birgits Armen und nahm das Gespräch an. „Hi, Ulli. Was gibt’s um diese Stunde?“
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