Gegen 13 Uhr waren wir mit der Besprechung fertig. Der Brautvater, Mohammed, Hassan und der Bräutigam Karim verabschiedeten sich und der Hochzeitsplaner blieb mit uns im Hotel zurück, in welchem die (Haupt-)Hochzeitsfeier stattfinden sollte, um uns schon einmal mit den verschiedenen Innen- und Außenbereichen, die für die Feierlichkeiten reserviert waren, vertraut zu machen.
Unglaublich, was für ein Luxus! Im und um das Hotel herum waren nur die edelsten Materialien verarbeitet und an jeder Ecke waren Mitarbeiter damit beschäftigt, alles sauber und glänzend zu halten. Bilder, die an solchen Schauplätzen aufgenommen wurden, mussten einfach traumhaft werden.
Während unserer Begehung machten wir uns Notizen zu den jeweiligen Lichtverhältnissen, um stets das richtige Equipment parat zu haben und den Moment so authentisch wie möglich einfangen und im Bild festhalten zu können. Dies war jedoch leider nur für die in der Hotelanlage befindlichen Örtlichkeiten möglich. Bei den gefühlten 100 weiteren Locations, die auf unserer Agenda standen, mussten wir auf alles vorbereitet sein. Hier konnten wir die Lichtverhältnisse nur aufgrund der in der Agenda genannten Uhrzeiten und räumlichen Gegebenheiten abschätzen.
Aber eines war sicher: Die Sonne würde scheinen. Denn wie uns Mohammed versicherte, scheint die Sonne zwischen April und Oktober jeden Tag mit hundertprozentiger Sicherheit.
Am Morgen des nächsten Tages sollte ich meine Braut Layla zum ersten Mal zu einem Einzelshooting treffen. Ich freute mich auf diesen Programmpunkt ganz besonders. Zum einen hatte ich es schon immer als hilfreich empfunden die Braut im Vorfeld der Festlichkeiten kennenzulernen und mit ihr über ihre Vorstellungen für die Bilder zu sprechen und zum anderen gefiel mir die für das Shooting gewählte Location - der auf der Halbinsel Saadiyat in der Nähe des Familienanwesens gelegene private Reitstall.
Als ich am nächsten Morgen etwas früh an den Stallungen eintraf, traute ich meinen Augen kaum. In meiner Naivität hatte ich mir einen Reitstall vorgestellt, wie man ihn zu Hause kennt, mit offener Scheune, in der verschiedene Arbeitsmaschinen abgestellt und Heu- und Strohballen gelagert sind, mit einer Miste, verschiedenen dort herumlungernden Katzen und Hunden und dem unverkennbaren Stallgeruch.
Ich war selbst seit frühester Kindheit – wie fast alle Mädchen – ein ganz großer Pferdenarr und habe im Alter zwischen 7 und 17 Jahren jede freie Minute in unserem örtlichen Reitstall, in dem meine Cousine als Reitlehrerin arbeitete, verbracht, half dort, wo ich konnte, striegelte und fütterte die Pferde, putzte Sättel und mistete Ställe. Als Gegenleistung für meinen Einsatz durfte ich umsonst an den Reitstunden teilnehmen und war mit dieser Vergütung mehr als zufrieden. Irgendwann, als ich schon etwas älter war und meine erste richtige Kameraausrüstung besaß, verbrachte ich auch viel Zeit damit, auf dem Zaun der Pferdekoppel zu sitzen und die Pferde ganz in ihrem Element zu fotografieren. Wie sie entweder in kleineren Gruppen in gestrecktem Galopp über die Wiese jagten oder ganz verteilt herumstanden und gedankenverloren an ein paar Grashalmen herum knabberten.
Daher war ich auch, als ich diesen Programmpunkt auf der Agenda gesehen hatte, von einem Heimspiel ausgegangen.
Aber diese Stallungen, die allein im Besitz von Laylas Familie standen, hatten mit dem Reitstall, den ich kannte, kaum etwas gemeinsam. Als ich mit dem Fahrer, der mir für diese Woche zur Verfügung gestellt worden war, um alle Orte, an welchen die verschiedenen Fotostrecken geplant waren, erreichen zu können, am Stall eintraf, musste ich mich zunächst in einer Sicherheitskontrolle ausweisen. Erst nachdem der indisch aussehende Sicherheitsmitarbeiter sich telefonisch rückabgesichert hatte, dass ich das Gelände auch tatsächlich betreten durfte, öffnete sich ein goldenes Tor, das den Weg auf eine palmengesäumte Allee freigab. An deren Ende lagen die tatsächlichen Stallungen, die ähnlich luxuriös wie unser Hotel anmuteten. Überall waren schöne Beete mit bunten Blumen geschmackvoll eingerichtet. Es gab acht Weiden, auf denen das Gras so perfekt und so grün war, dass es ohne Probleme mit jedem englischen Golfplatz mithalten konnte. Über jeder Weide waren große, weiße Sonnensegel gespannt und auch die kilometerlang erscheinenden Holzzäune waren alle weiß gestrichen. Den sonst in Reitställen üblichen Mist suchte man hier vergeblich. Im Gegenteil – hier hätte ich wahrscheinlich auch vom Boden essen können.
Kaum war ich ausgestiegen, kam schon einer der vielen Pferdepfleger, Rashid – wie sich später herausstellte, der private Pfleger der vier Pferde meiner Braut Layla – auf mich zu, begrüßte mich sehr freundlich und führte mich zunächst zu meiner Orientierung ein wenig auf dem Gelände herum und zeigte mir zuletzt den Stall, in dem Laylas Pferde untergebracht waren. Ich war einfach überwältigt von der Schönheit und Anmut dieser arabischen Pferde. Layla war noch nicht eingetroffen – Pünktlichkeit schien hier wirklich keine Tugend zu sein – und so nutzte ich die Zeit, alle Pferde einzeln zu begrüßen und zu streicheln, wobei es mir eine weiße Stute, Shams – was „Sonne“ bedeutet – besonders angetan hatte.
Ich war von den Pferden und all den neuen phantastischen Eindrücken so abgelenkt, dass ich überhaupt nicht bemerkt hatte, dass Layla längst eingetroffen war. Sie musste mich schon etwas länger beobachtet haben und fragte mich schließlich: „Darf ich stören?“ Ich zuckte zusammen als ich ihre Stimme hörte. Wie unangenehm. Sie hatte mich erwischt, wie ich einfach eigenmächtig in die Box einer ihrer wahrscheinlich sehr teuren Pferde gegangen war.
Als ich mich – wohl wieder einmal mit knallrotem Kopf – zu ihr drehte und mich umfänglich für mein Verhalten entschuldigte, lächelte sie mich verständnisvoll an und erzählte mir, dass sie auch alles um sich herum vergisst, wenn sie bei ihren Pferden ist. Sie war wohl sogar sehr erfreut darüber, eine Fotografin gefunden zu haben, die ihre Leidenschaft für Pferde teilte.
Layla war nicht nur freundlich, sondern sie sah auch hinreißend aus – eine klassische Schönheit. Sie wirkte noch jung und mädchenhaft. Sehr zierlich aber mit dicken dunkelbraunen Haaren, die sie in perfekt frisierten Locken offen trug. Ihr Make-up war tadellos, jedoch wesentlich dezenter gehalten als ich es von meinen arabischen Bräuten in Deutschland kannte. Sie hätte aber wohl auch gänzlich ungeschminkt nicht minder beeindruckend ausgesehen. Am auffälligsten waren jedoch ihre strahlend blauen Augen, die mir am Vortag schon bei ihrem Bruder aufgefallen waren. Ich verspürte ein leichtes Kribbeln im Bauch, als ich daran dachte, wie sich unsere Blicke für einen Augenblick getroffen hatten. Doch ich unterdrückte dieses Gefühl sofort wieder. Keine Ablenkung, ermahnte ich mich streng.
Aber ich nahm mir fest vor, diese besonderen tiefblauen Augen von Layla mit den dunklen langen Wimpern auf den Bildern besonders in Szene zu setzen.
Im Laufe des Shootings erfuhr ich, dass Layla gerade erst 21 Jahre alt war. Sie hatte in England zunächst ein Internat, dann eine Eliteuniversität besucht, wo sie Politik studiert hatte, und war erst vor wenigen Monaten nach Abu Dhabi zu ihrer Familie zurückgekehrt.
Ihren acht Jahre älteren Bräutigam Karim hatte ihr Vater ihr - auf Anraten ihres großen Bruders Hassan – im letzten Jahr bei einem Pferderennen in Dubai vorgestellt. Für mich klang das zunächst alles sehr nach einer arrangierten Ehe. Aber Layla schien mit der Wahl ihres zukünftigen Mannes – wer auch immer diese getroffen haben mochte – sehr zufrieden und berichtete mir davon, dass Karim ein sehr angesehener Geschäftsmann hier in der Region und stets großzügig und liebevoll zu ihr sei. Außerdem hätten sie ein großes gemeinsames Interesse: Pferde.
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