André Graf - Zeitenwende
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André Graf
Zeitenwende
Sieben Tage und eine Ewigkeit
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Inhaltsverzeichnis
Titel André Graf Zeitenwende Sieben Tage und eine Ewigkeit Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog Prolog »Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod, Herr Cutter?«, fragte der Reiseführer mit ruhiger Stimme. »Ich bin noch nicht einmal sicher, ob ich an ein Leben vor dem Tod glaube«, antwortete Cutter instinktiv und scheinbar zynisch, ohne auch nur einen Moment überlegt zu haben. Eine Sekunde später hätte er sich dafür ohrfeigen können. Prometheus hatte ihn mit seiner unerwarteten Frage so überrascht, dass er eine vorschnelle, viel zu persönliche Antwort gegeben hatte, die Prometheus nur falsch interpretieren konnte. Weder wollte er bestreiten, dass es ein Leben nach dem Tod gab, noch die Existenz der Menschheit als solche in Frage stellen. Natürlich hing der Tod letztlich mit der Frage nach der Körperlichkeit des Lebens zusammen, war es doch unbestreitbar, dass unser Körper nur für eine begrenzte Zeitspanne geschaffen war. Doch der Tod, wie auch das Leben selbst, setzte neben der Körperlichkeit noch etwas Weiteres voraus: die Zeit. Seit dreißig Jahren befasste sich Cutter als Physiker mit dem Phänomen von Raum und Zeit, doch erst vor gut zwölf Jahren hatten seine Frau Jennifer und er begonnen, an der Dimension Raum, wie die Menschen sie zu kennen glaubten, zu zweifeln. Da Raum und Zeit untrennbar miteinander verbunden waren, war es nicht überraschend gewesen, dass sie kurze Zeit später auch die Beschaffenheit der Zeit in Frage gestellt hatten. Diese Zweifel waren zur schmerzhaften Gewissheit geworden, als Jennifer starb. Seit jenem Ereignis lag er nachts oft wach im Bett und überlegte, wo die Seele seiner Frau sich in diesem Moment wohl befinden mochte und in welcher Form Jennifer weiterexistierte. Diese Fragen waren bis heute offengeblieben, war es ihm doch nie gelungen, sie befriedigend und widerspruchsfrei zu beantworten, weil er Jennifer sein Wort gegeben hatte, den letzten, entscheidenden Schritt nicht zu Ende zu führen, den er mit ihr begonnen und den seine Frau mit dem Leben bezahlt hatte. »Eine gute Antwort, die vieles – wenn nicht alles – offenlässt«, sagte Prometheus mit einem kaum sichtbaren Lächeln um die Lippen. Er war offensichtlich mit der Antwort zufrieden. Elegant wechselte er das Thema und plauderte über eine Belanglosigkeit, die in fast schmerzhaftem Kontrast zu der eben gestellten Frage stand.
Der erste Tag
Der zweite Tag
Der dritte Tag
Der vierte Tag
Der fünfte Tag
Der sechste Tag
Der siebte Tag
Die Ewigkeit
Epilog
Impressum neobooks
Prolog
»Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod, Herr Cutter?«, fragte der Reiseführer mit ruhiger Stimme.
»Ich bin noch nicht einmal sicher, ob ich an ein Leben vor dem Tod glaube«, antwortete Cutter instinktiv und scheinbar zynisch, ohne auch nur einen Moment überlegt zu haben.
Eine Sekunde später hätte er sich dafür ohrfeigen können. Prometheus hatte ihn mit seiner unerwarteten Frage so überrascht, dass er eine vorschnelle, viel zu persönliche Antwort gegeben hatte, die Prometheus nur falsch interpretieren konnte. Weder wollte er bestreiten, dass es ein Leben nach dem Tod gab, noch die Existenz der Menschheit als solche in Frage stellen. Natürlich hing der Tod letztlich mit der Frage nach der Körperlichkeit des Lebens zusammen, war es doch unbestreitbar, dass unser Körper nur für eine begrenzte Zeitspanne geschaffen war. Doch der Tod, wie auch das Leben selbst, setzte neben der Körperlichkeit noch etwas Weiteres voraus: die Zeit. Seit dreißig Jahren befasste sich Cutter als Physiker mit dem Phänomen von Raum und Zeit, doch erst vor gut zwölf Jahren hatten seine Frau Jennifer und er begonnen, an der Dimension Raum, wie die Menschen sie zu kennen glaubten, zu zweifeln. Da Raum und Zeit untrennbar miteinander verbunden waren, war es nicht überraschend gewesen, dass sie kurze Zeit später auch die Beschaffenheit der Zeit in Frage gestellt hatten. Diese Zweifel waren zur schmerzhaften Gewissheit geworden, als Jennifer starb. Seit jenem Ereignis lag er nachts oft wach im Bett und überlegte, wo die Seele seiner Frau sich in diesem Moment wohl befinden mochte und in welcher Form Jennifer weiterexistierte. Diese Fragen waren bis heute offengeblieben, war es ihm doch nie gelungen, sie befriedigend und widerspruchsfrei zu beantworten, weil er Jennifer sein Wort gegeben hatte, den letzten, entscheidenden Schritt nicht zu Ende zu führen, den er mit ihr begonnen und den seine Frau mit dem Leben bezahlt hatte.
»Eine gute Antwort, die vieles – wenn nicht alles – offenlässt«, sagte Prometheus mit einem kaum sichtbaren Lächeln um die Lippen. Er war offensichtlich mit der Antwort zufrieden. Elegant wechselte er das Thema und plauderte über eine Belanglosigkeit, die in fast schmerzhaftem Kontrast zu der eben gestellten Frage stand.
Der erste Tag
Die Sekundenzeiger der fünf Uhren in der Lobby des Münchner Luxushotels liefen synchron. Man glaubte, das Ticken der lautlosen Uhrwerke hören zu können. Man glaubte fühlen zu können, wie die Zeit verstrich, ohne eine Spur zu hinterlassen. Und doch änderte sich mit jeder Sekunde der Zustand in der Lobby. Dieser Vorgang war so selbstverständlich, dass sich keiner der Menschen in diesem Hotel darüber Gedanken machte. Es war ein uraltes, einfaches Gesetz: Die Zeit schreitet unaufhaltsam in die gleiche Richtung, die Zukunft, voran, und der Zustand unserer Umgebung verändert sich im Laufe der Zeit.
Auch wunderte sich keiner der Hotelgäste darüber, dass an der Wand neben der Rezeption nicht nur eine, sondern gleich fünf Uhren angebracht waren und dass jede von ihnen eine andere Zeit anzeigte. Die mittlere zeigte die Lokalzeit in München an, 8 Uhr 56, die beiden Uhren rechts von ihr die Uhrzeit in Singapur beziehungsweise Peking und die beiden links von ihr jene von New York beziehungsweise San Francisco.
Jedem Reisenden des 21. Jahrhunderts, ob Tourist oder Geschäftsmann, sind die Zeitzonen ein Begriff. Reist er nach Osten, so muss er seine Uhr, am Bestimmungsort angekommen, vorstellen – schließlich geht die Sonne ja im Osten auf. Reist er nach Westen, so stellt er sie dementsprechend zurück. Wir alle kennen dieses alltägliche Phänomen, das noch Alexander dem Großen, der mit seinem Heer bis nach Indien vorstieß, ebenso fremd gewesen ist wie Dschingis Khan, der durch die Steppen Asiens bis nach Europa zog, oder Kolumbus, der den Atlantischen Ozean durchsegelte.
Doch kennen bedeutet nicht zwangsläufig verstehen. Auch heute, zu Beginn des 3. Jahrtausends, verstehen die meisten Menschen das Phänomen Zeit noch immer nicht viel besser als ihre Vorfahren vor einigen Jahrhunderten oder Jahrtausenden. Bereits die Frage nach der Datumsgrenze überfordert viele von uns. Und seit am Anfang des 20. Jahrhunderts ein gewisser Albert Einstein eine neue Theorie postulierte, die als »Spezielle Relativitätstheorie« in die Wissenschaftsgeschichte einging, ist die Zeit endgültig zu etwas schwer Verständlichem geworden. Dieser erst vor etlichen Jahrzehnten entdeckte Aspekt der Zeit wird noch von viel weniger Menschen verstanden als das Phänomen der Datumsgrenze. Und selbst viele von denen, die begriffen haben, dass die Natur – und dort vor allem Raum und Zeit – anders funktioniert, als es die Wissenschaft jahrhundertelang gelehrt hat, haben große Mühe, sich die wirkliche Beschaffenheit von Raum und Zeit vorzustellen, erscheint sie uns doch so fremd, so ungeheuerlich, dass sie die Vorstellungskraft der meisten Menschen übersteigt. Nur wenige verstehen, dass jedes Objekt – ob lebend oder tot – seine eigene persönliche Uhr bei sich trägt, die durchaus nicht gleich schnell laufen muss wie die Uhren der anderen Lebewesen oder Objekte. Natürlich sind diese Abweichungen im täglichen Leben des 21. Jahrhunderts absolut irrelevant, denn selbst die Uhr eines europäischen Geschäftsmannes, der einen beträchtlichen Teil seines Lebens bei großen Geschwindigkeiten in Flugzeugen verbringt, weicht von jener eines asiatischen Bauern, der sich noch nie schneller als mit der Geschwindigkeit eines von Wasserbüffeln gezogenen Wagens fortbewegt hat, nur um einige Milliardstel einer Sekunde ab. Erst bei Geschwindigkeiten, die die Möglichkeiten der Menschen dieses Jahrhunderts weit übersteigen, würde es zu relevanten Unterschieden zwischen den verschiedenen, ganz persönlichen Uhren kommen.
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